Скачать книгу

pro Person, und dreimal mehr als noch vor 50 Jahren.

      Champions 12.3, eine Koalition aus über 36 Unternehmens- und Regierungsvertretern sowie Personen aus der Zivilgesellschaft, zieht mit einem Bericht Bilanz zu den Fortschritten im Kampf gegen »Food Waste and Loss« als Teil der im Herbst 2015 verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Zwar würde die Staatengemeinschaft bereits viele Anstrengungen unternehmen, Ziel 12.3. zu erreichen. Diese genügen laut dem Bericht jedoch nicht, die derzeitigen Missstände in der Produktions- und Lieferkette bis hin zum Endverbraucher zu beheben.

      Die Behebung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung, betont der Bericht, würde sich dreifach auszahlen: durch eine verbesserte Ernährungssicherheit, Kosteneinsparungen in der gesamten Wertschöpfungskette sowie durch Ressourcen- und Klimaschonung. Alle Beteiligten müssten nun zügig aktiv werden, sich auf konkrete Reduktionsziele einigen, Fortschritte regelmäßig messen und ohne Wenn und Aber handeln. Teilweise gibt es schon gute Vorbilder: Italien und Frankreich haben dieses Jahr ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung verabschiedet: Anstatt essbare Lebensmittel zu entsorgen, können Supermärkte diese nun spenden. Auch die USA kündigte an, Lebensmittelverluste bis 2030 halbieren zu wollen.

      Bedenklich sei derzeit, dass lediglich einige Regionen und größere Konzerne Bemühungen zur Erreichung des Ziels 12.3 unternehmen würden. Auch bei der Fortschrittsmessung bedarf es vielerorts noch der Verbesserung. Es fehle an professionellen Systemen und Methoden, Bestandsdaten ordentlich zu erfassen und so Problembereiche zu identifizieren, zeigt der Bericht. Fazit: Um das SDG-Unterziel 12.3 bis 2030 zu erreichen, müsse jedes Land, jede Stadt, jedes Unternehmen und vor allem jeder Erdenbürger verstärkten Einsatz im Kampf gegen Nahrungsmittelverschwendung und -verluste zeigen.10

       Zu viel Fleisch

      Eine andere Form der Nahrungsmittelverschwendung ist der hohe Fleischkonsum. Eine Kalorie aus tierischer Produktion erfordert zwei bis sieben pflanzliche Kalorien für Futtermittel.

      Der Fleischverbrauch hat sich in den letzten 50 Jahren weltweit vervierfacht.11 Derzeit liegt er bei jährlich 32 kg pro Kopf der Erdbevölkerung.12 In der Schweiz sind es 51,13 in Deutschland 6014 und in Frankreich 86 kg.115 Während der Konsum in den Industrieländern stagniert oder gar leicht zurückgeht, nimmt er in Schwellenländern teils rasant zu.

      Die Fleischproduktion erfolgt mehr und mehr industriell in Massentierhaltungssystemen. Die Haltungsform erfordert den Einsatz großer Mengen von Antibiotika. Weltweit gehen 70% des Antibiotikaverbrauchs auf das Konto der landwirtschaftlichen Tierhaltung.16 Der exzessive Antibiotikaeinsatz begünstigt die Entwicklung von Resistenzen. In Europa sterben schätzungsweise 25 000 Menschen pro Jahr an Infektionen durch antibiotikaresistente Erreger.17

      Hinsichtlich der Ressourceneffizienz ist ein gewisser Anteil an tierischen Produkten an der menschlichen Ernährung durchaus sinnvoll. Etwa zwei Drittel der globalen Agrarfläche sind nur als Gras- und Weideland18 nutzbar. Wiederkäuer, die Gras fressen, sind keine Nahrungsmittelkonkurrenten für Menschen, sie liefern zudem Dünger. Und Hühner und Schweine können Nahrungsmittelabfälle und Nebenprodukte verwerten – eine gute Sau frisst alles.

      Doch viele Nutztiere werden vorwiegend mit Getreide und anderen Ackerfrüchten gefüttert: Ein Drittel der Weltgetreideproduktion geht heute in die Ställe.19 Ein Großteil der Futtermittel für die Fleischproduktion in den Industrieländern wird zudem importiert. Die so »ausgelagerte« Ackerfläche der EU umfasst 35 Millionen Hektar.20 Das entspricht mehr als einem Drittel der gesamten Ackerfläche der EU,21 die den Entwicklungsländern für den Anbau von Nahrungsmitteln für die eigene Bevölkerung verloren geht.

      Die treibende Kraft für die Fehlentwicklungen in der Tierhaltung ist der ökonomische Druck, möglichst viel und möglichst rationell Fleisch zu produzieren. Für uns in den reichen Industrieländern wird Fleisch damit spottbillig, für eine wachsende Mittelschicht in den Entwicklungsländern erschwinglich, die Armen hingegen gehen leer aus. Sie können sich weiterhin kein Fleisch leisten, und die Nutztiere fressen ihnen die pflanzliche Nahrung weg. Nach einer Berechnung des UN-Umweltprogramms UNEP könnten die Kalorien, die bei der Umwandlung von pflanzlichen in tierische Nahrungsmittel verloren gehen, 3,5 Milliarden Menschen satt machen.22

       Zu arm für eine ausreichende Ernährung

      Mehr als eine Milliarde Menschen leben in extremer Armut: Sie müssen mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen.23 Arme Familien in Entwicklungsländern geben 50 bis 80% ihres Einkommens fürs Essen aus;24 schon eine geringfügige Erhöhung der Nahrungsmittelpreise kann für sie existenzielle Not bedeuten.

      Das war zum Beispiel in den Jahren 2007 und 2008 der Fall. Damals führten wetterbedingte Ernteausfälle, die gesteigerte Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen und Fleisch sowie Spekulationsfieber zu einem Preissprung bei den Grundnahrungsmitteln. Allein von Juli 2007 bis Juli 2008 erhöhte sich der von der FAO berechnete Preisindex um 52%.25 Die unmittelbare Folge: Die Zahl der unterernährten Menschen stieg um 70 bis 100 Millionen an. In manchen betroffenen Ländern kam es zu Hungerrevolten, in Haiti führten diese gar zum Sturz der Regierung.

       Das scheinbare Paradox: Nahrung

      Dennoch sind nicht zu hohe Nahrungsmittelpreise das eigentliche Problem, im Gegenteil: Nahrung ist zu billig. Um dieses scheinbare Paradox zu erklären, muss man ein wenig ausholen.

      Möglichst viel, möglichst billig und mit möglichst geringem Arbeitseinsatz zu produzieren, lautet die Devise der industriellen Landwirtschaft. Dieser reduktionistische, auf Maximalerträge fixierte Ansatz bedingt die maschinelle Produktion in Monokulturen, auf denen Hochertragssorten mit exzessivem Einsatz von Mineraldünger, Pestiziden und Wasser gepusht werden. Dies wiederum bedeutet die Ausbeutung von nicht erneuerbaren natürlichen Ressourcen.

img_01.jpg

      Rein quantitativ war dieser Ansatz in der Vergangenheit durchaus erfolgreich. Obschon sich die Weltbevölkerung in dieser Zeitspanne mehr als verdoppelte, wurde 2011 pro Kopf annähernd 30% mehr Getreide produziert als 1961;26 im Gegenzug zu den steigenden Erträgen sanken die Preise. Gemäß Bundesamt für Statistik gibt ein Durchschnittshaushalt in der Schweiz heute bloß noch 6,4% des Bruttoeinkommens für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke aus,27 in Deutschland sind es 10,5%.28

      Doch von den neuen Agrartechniken profitierte nur eine Minderheit der Bäuerinnen und Bauern, die sich die landwirtschaftlichen Hilfsmittel leisten konnten. Für weitaus die meisten Kleinbetriebe der Entwicklungsländer ist eine Produktion, die einen hohen Input teurer Hochertragssorten und Agrochemikalien erfordert, kein anwendbares Modell, um die Produktion zu steigern und der Armut zu entfliehen.

      Derweilen verhökern Länder des reichen Nordens ihre Überschüsse im Süden mithilfe milliardenschwerer Exportsubventionen. Dort konkurrenzieren die Importgüter die lokale Landwirtschaft. Die Folge ist, dass heute über 70% aller Hungernden auf dem Land leben.29 Als Kleinbäuerinnen und -bauern, Landarbeiter und Landlose sind sie direkt von der Landwirtschaft abhängig. Sorgt günstige Witterung für gute Ernten, werden sie zwar satt, doch mit den über den Eigenbedarf hinaus produzierten Nahrungsmitteln verdienen sie wenig bis nichts. In schlechten Jahren ernten sie zu wenig, um sich ausreichend ernähren zu können. Und für den Kauf von Nahrungsmitteln fehlt ihnen das Geld. Als letzten Ausweg wählen sie die Abwanderung in die Städte, landen meist in den Elendsvierteln, wo sie auf Gedeih und Verderb auf Esswaren angewiesen sind, die aus billigen, subventionierten Importen aus dem reichen Norden verfügbar sind und die zugleich den einheimischen Bäuerinnen und Bauern kein Auskommen ermöglichen.

      Verschärft wird das Problem durch die einseitig auf eine exportorientierte Landwirtschaft ausgerichtete Agrarpolitik mancher Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Die Produktion für den Inlandbedarf wird vernachlässigt, und für eine gesunde Ernährung wichtige traditionelle Kulturpflanzen werden nicht mehr angebaut. Lateinamerika produziert heute dreimal mehr Nahrung, als konsumiert wird;30 dennoch sind 34 Millionen Menschen dieses Kontinents unterernährt.31

      Inzwischen sind rund zwei Drittel der Entwicklungsländer Nettoimporteure von Nahrungsmitteln32

Скачать книгу