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von tragfähigen Lösungen sollen nicht per Diktat weniger, sondern durch Übereinkunft vieler geschehen. Bottom-up-Organisation, Mitsprache und laufendes Anpassen an neue Erkenntnisse und Situationen sind erforderlich. Dazu braucht es Leadership: Grundlagen erarbeiten, Daten sammeln, Fragestellungen analysieren und Lösungsansätze im Detail und im Ganzen testen. Die Kommunikation muss transparent, kontinuierlich, dialogisch und konsistent sein, damit Interessierte zu aktiven Beteiligten werden.

      Dieses Vorgehen erfordert großes Fach- und Umsetzungswissen sowie eine hohe Intuition. Mit diesen allein lässt sich jedoch noch nichts »verkaufen«, unabdingbar sind eine ethische Wertehaltung, Authentizität und Herzblut für die Sache. Dabei nicht in Predigerallüren zu verfallen ist für den Erfolg entscheidend. Denn: Glaubwürdigkeit ist alles.

      In Umbruchzeiten werden »alte« menschliche Werte besonders bedeutsam: Mäßigung, Anstand, Klugheit, Güte, Tapferkeit, Menschlichkeit, Wahrhaftigkeit, auch Tugenden genannt. Eine ethische Grundhaltung, man könnte auch sagen, in die Praxis umgesetzte Philosophie, setzt sich aus vielen Ingredienzien zusammen. Meine »Leitplanke« ist Immanuel Kants kategorischer Imperativ27 und die daraus abgeleitete liberale Grundhaltung, die besagt: »Behandle andere so, wie du behandelt werden möchtest.« Es gilt also für die Umsetzung eines tief greifenden sozialen Modells die zugrunde liegende Wertehaltung zu diskutieren und (vorzu-)leben. Die wichtigsten Ingredienzien für eine ganzheitliche Betrachtung und sich laufend verändernde Rahmenbedingungen sind für mich:

      Respekt | Alle Menschen verdienen Respekt – vor allem solche, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, oder solche, die in bestimmten Fragen eine andere Meinung vertreten. Gerade mit ihnen kann sich ein spannender Dialog entwickeln, der breit abgestützte Vorgehensweisen und Lösungen im Interesse großer Bevölkerungskreise ermöglicht. In persönlicher Kenntnis von Nöten und Bedürfnissen in Bezug auf Betreuung können wir gemeinsam Lücken im lokalen oder regionalen Angebot ausloten und füllen, wozu Einzelne oder staatliche Stellen nicht in der Lage sind.

      Anpassungsfähigkeit | Von allen, die an einem Projekt beteiligt sind, wird ein gewisses Anpassungsvermögen verlangt. Eine offene Kommunikationskultur erleichtert es, tragfähige und gleichzeitig flexible Grundstrukturen rechtlicher, organisatorischer und finanzieller Art zu schaffen. Ziel und Aufgabe sind, sich jederzeit neuen Situationen anzupassen und kooperativ weiterzumachen. Jedes neue Modell hat in den Anfangsphasen viele Unklarheiten und Herausforderungen, die ein stetes Adjustieren nötig und sinnvoll machen.

      Teamgeist und Nemawashi 28 | Kein einzelner Mensch kann ein groß angelegtes zivilgesellschaftliches Modell erfinden, auf- und ausbauen. Dazu braucht es ein Team, dem es Freude bereitet, Menschen zusammenzubringen, sie für Gemeinsames zu begeistern, und ihnen auch Unterstützung bietet, wenn der »Hausfrieden« einmal schief hängen sollte. In Japan wurde und wird seit Jahrhunderten »Nemawashi« gepflegt: mit allen Beteiligten und eventuellen Gegnern vorab möglichst unter vier Augen zu sprechen und herauszufinden, ob für anstehende Meinungsverschiedenheiten ein Konsens gefunden werden kann. Durch dieses Ausloten von Meinungen vor bindenden Entscheiden werden alle eingebunden und niemand ausgegrenzt.

      Um solche Vorgehensweisen zu ermöglichen und zu fördern, braucht es eine Rechtsform, die eine »bottom-up«-Mitsprache sicherstellt. Für echte Mitarbeit und Mitbestimmung bietet sich deshalb die sich selbst organisierende Genossenschaft geradezu an.

      Lernen von und mit anderen | Auch bei visionären Projekten muss man kaum je bei null anfangen; in vielen Weltgegenden gibt es vermutlich ähnlich gelagerte Projekte. Von ihnen zu lernen kann nur hilfreich sein.

      Am meisten beeinflusst bei der Umsetzung von KISS hat mich das Projekt ZEITBANKplus mit den ganzheitlichen Ansätzen: gleichzeitiges Geben und Nehmen, die Ausweitung auf Jung bis Älter, Einbezug von vielen, nicht auf den ersten Blick erkennbaren menschlichen Ressourcen, die Integration von Sozialpraktika und Integration von Menschen mit Migrationshintergrund.

      Auch Ideen, die scheinbar gescheitert sind, verdienen Beachtung; sie enthalten nicht selten im Kern eine große Wahrheit, die es neu zu entdecken und auf andere Art einzubringen gilt. So ging z.B. die Rechtsform der Allmende in »Wirtschafts-wunder-Zeiten« etwas vergessen; stattdessen gaben Finanzwirtschaft und Politik den Ton an, und der total ausgebaute Sozialstaat schien ganz selbstverständlich problemlos finanzierbar. Was nicht der Fall ist, wie wir inzwischen wissen.

      Kleinräumigkeit | Alle diese Vorhaben sind nur kleinräumig zu realisieren: Menschen sollen sich kennen, nahe sein und Vertrauen zueinander haben. Es ist also Regionalisierung statt Globalisierung angesagt: kleine Verwaltungseinheiten, in denen sich die Menschen laufend begegnen, immer besser kennenlernen und auch andere verbindende Ideen und Tätigkeiten ausleben können. Und doch: Auch kleinräumige Netzwerke sind froh und gewinnen, wenn sich ihre Mitglieder mit anderen, die aus derselben Haltung heraus tätig sind, austauschen können, also ein Netzwerk auch über größere Distanz möglich ist.

      Langmut | Die Vorbereitungs- und Aufbauzeit für ein Projekt ist erfahrungsgemäß nicht so relevant, sehr wohl aber der richtige Zeitpunkt für den Start. Die Grundlagen gemeinsam zu definieren, gegenseitig menschlich und fachlich Verständnis und Vertrauen zu entwickeln dauert länger. Eine Organisation ist relativ schnell gegründet. Aber sie überlebt und gedeiht nur, wenn die mitmachenden Menschen sie tragen, stützen und weiterentwickeln. Diese Einsicht verlangt in unserer temporeichen Zeit Mut; darum ist mir die rare Tugend Langmut lieber als Geduld, was eher passives Warten beinhaltet. Als Vorbild können die großen Zeitläufe der Ideengeschichte der Menschheit dienen, die allesamt längere Vorbereitungsphasen aufweisen und über Generationen dauerten.

      Beharrlichkeit | Alle philosophischen, rechtlichen und finanziellen Ansätze sind unter einen Hut zu bringen und doch sehr flexibel und regional zu adaptieren. Gefragt ist eine nicht nachlassende Beharrlichkeit bei (scheinbaren) Hindernissen und Rückschlägen. Ohne eine gewisse Sturheit und den unbedingten Willen zur erfolgreichen Realisation ist eine Umsetzung kaum denkbar.

      Freiwilligkeit | Der zivilgesellschaftliche Aspekt wird wichtig, sobald auf Eigeninitiative und Selbstverantwortung aufgebaut und so gleichzeitig die Solidarität gefördert wird. Die Freiwilligkeit kann aber keinem Leistungsdiktat unterworfen sein. Wer Ressourcen hat und diese freudig nutzen will, tut dies nach eigenem Gutdünken. Da Freiwilligenarbeit nicht »einfach so« und immer mehr geleistet wird, bedarf sie häufig einer fachlich begleitenden Organisation. Denn auch auf freiwilliger Basis sind Führungsqualitäten, fachliches Know-how und ein weit reichendes Beziehungsnetz nötig, um breite Akzeptanz und ein gutes Image zu erlangen.

      Gemeinwesenarbeit | Zivilgesellschaftliche Tätigkeiten sind so alt wie die Menschheit: Einander zu unterstützen in alltäglichen Belangen und in Notsituationen schafft Zusammenhalt, Zufriedenheit und Wohlstand aller. In unserer individualisierten, digitalisierten Welt schwindet dieser Kitt in der Gesellschaft nachweislich. Der Aufbau von Beziehungen ist für viele Menschen gar nicht selbstverständlich und will gelernt und eingeübt werden. Es prallen zwei Welten aufeinander: eher anonymisierter, global und finanziell verflochtener Austausch auf soziale Nähe von hohem Wert, aber ohne Preis. Darum bekommen alte gesellschaftliche Organisationsstrukturen wie Allmenden, Commons, Genossame29 wieder Aufwind und Achtung. Und Gemeinden erkennen die Bedeutung kleinräumiger sozialer Arbeit (Gemeinwesenarbeit).

      Ingrid Engelhart, Geschäftsführende Vorsitzende, SPES e.V., Freiburg i. Breisgau

      Integration aller für hohe Lebensqualität

      Das Modell ZEITBANK55+ wurde von der SPES Zukunftsakademie in Österreich mit dem Ziel entwickelt, die Lebensqualität der Menschen auch im Alter zu sichern und ihnen zu ermöglichen, möglichst lange in der vertrauten Umgebung wohnen bleiben zu können.

      Ziel: Lebensqualität. Im Unterschied zu herkömmlichen Modellen der organisierten Nachbarschaftshilfe gibt es in der ZEITBANK keine Aufteilung in Helfende und Hilfebedürftige, sondern ein wechselseitiges Geben und Nehmen von Hilfe und Unterstützung. Auch ältere Mitglieder können die bereichernde

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