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stechen: Soeben hat sich wieder eine unter Hingabe ihres Lebens für den andauernden Honig-Klau gerächt.

      Von der anderen Seite des Tals schallt das Bellen von Pavianen herüber – die Affen sind wie Leoparden, Adler und Warzenschweine die neuen Sorgenkinder der Kooperative. Mit der Wiederbewaldung kämen eben auch die wilden Tiere zurück, sagt Rinaudo: Sie machen sich über die Pflanzungen der Kleinfarmer her und reißen gelegentlich mal eine Ziege oder ein Kalb. Einige Farmer schlugen bereits vor, die Eindringlinge über den Haufen zu schießen. Doch andere erfuhren vom touristischen Wert der Tiere und plädieren nun für einen kleinen Naturpark. »Das ist Entwicklung wie aus dem Lehrbuch«, sagt Rinaudo: »Eine Errungenschaft baut auf der anderen auf.«

      Die wilden Tiere sind nur die jüngste Generation der Probleme, die Rinaudo & Co auf dem Weg zum Goldstandard zur Seite räumen mussten. Andere hingen mit den Köhlern zusammen, die einst Humbos Nilpferdrücken kahl geschlagen hatten. Dass sie ihr zerstörerisches Werk unter der Schirmherrschaft der »Farmer Managed Natural Regeneration« nicht fortsetzen konnten, versteht sich von selbst: Für sie musste eine berufliche Alternative gefunden werden. Rinaudo und Kebede Asafa, sein Weggefährte von der äthiopischen Forstbehörde in Addis Abeba, boten den Köhlern eine alternative Ausbildung an: Sie konnten sich zu Schneidern oder Frisörinnen umbilden lassen und wurden zusätzlich noch mit einem kleinen Salon oder einer Nähmaschine ausgerüstet. Keiner der ehemaligen Holzbrenner scheint mehrere Jahre später den Karrierewechsel zu bereuen. Mit seiner Schneiderei verdiene er heute wesentlich mehr als zuvor, sagt der 24-jährige Wadu Henok: »Und es macht auch deutlich mehr Spaß.«

      Schließlich stießen Sodo und Humbo sogar noch vom Gold- in den Platinstandard auf, indem sie auch aus ihren Wiederaufforstungserfolgen noch Kapital schlagen konnten. Humbo ist mit dem in Kyoto vereinbarten »Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung« verbunden, während Sodo seine Karbon-Kredite auf dem freien Markt verkauft. In beiden Fällen handelt es sich um einen internationalen Finanzausgleich zwischen industriellen Umweltsündern und Ökoinitiativen in Entwicklungsländern. Unternehmen aus den Industrienationen, die die Atmosphäre mit hohen Mengen an Kohlenwasserstoffen belasten, können ihre ökologischen Sünden mit Zahlungen an Projekten in Staaten des globalen Südens sühnen, die etwa zur Wiederaufforstung und damit zur Säuberung der Luft beitragen. Um sich an dem CO2-Handel beteiligen zu können, muss sich ein Projekt allerdings erst einmal lizensieren lassen: ein bürokratischer Großaufwand, an dem mancher potenzielle Nutznießer bereits scheitert. Außerdem ist die Höhe der CO2-Kredite großen Schwankungen unterworfen und derzeit eher niedrig. Kein Wunder, dass die Zahl der am CO2-Handel beteiligten Wiederaufforstungsprojekte gegenwärtig ziemlich gering ist.

      Immerhin haben allein die sieben Kooperativen in Humbo bis August 2017 insgesamt USD 554 681 eingenommen – für äthiopische Verhältnisse gigantische Summen. Das Geld wurde in einen Getreidespeicher, eine Maismühle und Bewässerungsanlagen investiert: lauter Bausteine für eine nachhaltige Entwicklung, die aus armseligen Hütten schließlich blühende Dörfer machen werden. »Ein tolles Ergebnis«, sagt Tony Rinaudo, warnt allerdings davor, in die Bargeldmaschine zu große Hoffnungen zu setzen: »Das lenkt nur vom eigentlichen Ziel der Wiederaufforstung ab und führt leicht zu enttäuschten Erwartungen.« Dagegen sorgen wiederhergestellte Ökosysteme kostenlos für nachhaltige Entwicklung – unabhängig von den Launen des CO2-Handels.

      Unterdessen breitet sich Rinaudos Methode allmählich über den gesamten Kontinent aus. Gemeinsam mit dem World Agroforestry Centre veranstaltete World Vision bereits FMNR-Konferenzen in Malawi und Kenia, zu denen Interessierte aus zahlreichen afrikanischen Staaten kamen: Sie waren von Rinaudos Vortrag dermaßen angetan, dass sie die natürliche Wiederaufforstung sogleich zu Hause ausprobierten. Mittlerweile wird FMNR in mehr als zwanzig Staaten des Kontinents praktiziert: Darunter auch im brottrockenen Somaliland, dem absoluten Härtefall. Wenn in Äthiopien der Platinstandard praktiziert wird, dann muss in Somaliland wohl vom Sandstandard gesprochen werden: Hier jagt eine Dürre die andere, mit höchstens 200 Millimeter Niederschlag fällt in der ostafrikanischen Halbwüstenregion selbst in normalen Jahren lediglich halb so viel Regen wie im Niger. »Sollte FMNR auch hier funktionieren«, sagt Rinaudo, »dann klappt es nahezu überall.«

       Der Sandstandard

      Ein kleiner Konvoi von Geländewagen brettert in sengender Hitze durch ein Terrain, das einer Mondlandschaft gleicht. Während der achtstündigen Holperfahrt von Somalilands Hauptstadt Hargeisa zum Roten Meer sind so gut wie keine Bäume und kaum ein grüner Farbton auszumachen: Dafür immer wieder Kinder, die am Pistenrand um Wasser betteln, oder Ziegen- und Kamelkadaver, für die jegliche Hilfe zu spät kommt. Ältere Bewohner der einstigen britischen Kolonie erinnern sich, dass auf den Hügeln ihres international nicht anerkannten Landes noch vor wenigen Jahrzehnten Bäume wuchsen und Tiere weideten. Doch längst haben die Köhler alles kahl geschlagen – außer ein paar Insekten ist hier kein wildes Tier mehr auszumachen. Holzkohle für den saudi-arabischen Markt herzustellen war eine der wenigen Tätigkeiten, mit denen Somaliländer Geld verdienen konnten: Jahr für Jahr sank der Baumbestand in dem Halbwüstenstaat um 1% – fast doppelt so schnell wie im afrikanischen Durchschnitt.

      Vor uns taucht ein abgezäuntes Areal auf, dessen mannshohe Bäumchen schon von Weitem zu erkennen sind. Das Versuchsfeld sieht nicht gerade wie eine blühende Landschaft aus: Doch immerhin sind die vorsichtig beschnittenen Baumtriebe selbst in den zurückliegenden Dürrejahren weiter gewachsen – zwischen den Büschen wächst Gras, das die Dorfbewohner als Tierfutter und für die Dächer ihrer Hütten nutzen. Auch Bienenstöcke sind zu sehen, mit denen die Mitglieder der Kooperative noch im Vorjahr rund EUR 700 einnahmen: Inzwischen haben die Schwärme wegen der anhaltenden Trockenheit allerdings das Weite gesucht. »In westlichen Augen mag das schrecklich aussehen«, sagt Rinaudo: »Aber diese Büsche leben und werden beim ersten Regen ausschlagen.«

      Nur wenige Kilometer entfernt hebt sich aus der trostlosen Landschaft plötzlich eine sattgrüne Oase ab: Hier experimentiert Ibrahim Muse Elim mit der FMNR-Methode. Der 56-jährige Farmer verfügt über Grundwasser, das er mit einer Pumpe aus zehn Meter Tiefe holt: Wegen der Dürre muss er Monat für Monat allerdings tiefer bohren. Am Rand seines Grundstücks hat Ibrahim ein kleines Gewächshaus für Setzlinge errichtet. Er hält die Ziegen mit improvisierten Zäunen aus dornigen Zweigen fern und lässt zwischen seinen Beeten Bäumchen wachsen. Im Glauben, dass die Bäume seinem Gemüse die Nahrung wegnähmen, habe er früher um sie herum nichts angepflanzt, erzählt der Farmer: Bis ihm Rinaudo zeigte, dass sich sein ungeschützter Boden zur Mittagszeit auf über 70 Grad erhitzt, während er im Schatten eines Baumes höchstens halb so heiß wird. Heute erntet Ibrahim fast doppelt so viel wie früher: Seine Familie isst dreimal am Tag, alle zehn Kinder gehen zur Schule, dem Ältesten konnte er kürzlich sogar seine Hochzeit finanzieren. Tony Rinaudo bückt sich zu einem Büschchen hinab, um ihm vorsichtig mit seinem abgenutzten Klappmesser die Seitentriebe zu beschneiden. »Wenn ich so etwas höre«, sagt der Waldmacher, »dann bin ich glücklich.«

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