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bei laufendem Motor aus. Er trug eine olivfarbene Uniform mit einem großen roten Stern auf dem Ärmel seiner Jacke. Ton grüßte zackig wie ein Soldat, indem er die rechte Hand an die Stirn hielt, und lachte. Der Mann erwiderte nichts, ging auf Ton zu, und Nok hörte, wie Ton etwas auf burmesisch sagte. Der Mann hielt die Hand auf, und Ton legte einen Umschlag hinein, den der Grenzer schnell in der Innentasche seiner Uniform verschwinden ließ, ohne etwas zu sagen, ohne jegliche Regung. Der mürrische Blick blieb auf Ton haften, wechselte dann auf den Akha, der mit einem Fuß auf dem Bootsrand stand, und schließlich auf Nok. Kalt, ein kalter Bick, und Nok bekam von Neuem Angst, während sich einige der Krathongs mit ihren flackernden Lichtern an der Außenwand des Bootes vorbeimogelten. Kleine Stücke von Kiwis und Bananen lagen darin sowie chinesisches Gebäck. Nok erkannte die roten Schriftzeichen darauf, die aussahen wie gestempelt, wie postalische Absender aus China. Nok wusste, dass auch Fingernagelstücke und Haarsträhnen derjenigen darin lagen, die die Krathong aufs Wasser gesetzt hatten, vielleicht 500 Meter entfernt von hier, unter der Grenzbrücke. Eine Kerze auf einem der Krathongs war bereits im Wind erloschen, und Nok hätte sie am liebsten wieder angezündet, um die Wünsche, die mit diesem Krathong ausgesandt worden waren, erfüllbar zu halten, aber auch um etwas zu tun zu haben, da der Blick des Grenzers immer noch auf ihr lag. Dann drehte er sich abrupt um, stieg in den Wagen und fuhr mit hohem Tempo los. Sand spritzte auf. Nok nahm erst jetzt wieder die Zikaden und die Frösche wahr, als wären sie für Minuten verstummt gewesen.

      Ton sprang die Böschung hinab und stieg ins Boot, während der Akha sich das Ruder nahm und mit langsamen Bewegungen das andere Ufer ansteuerte.

      »Wenn du diese verdammten Pillen nicht wieder dabei hättest, könnten wir uns sogar das Boot sparen und durchs Wasser gehen«, hetzte Nok. »Aber das Zeug darf ja nicht nass werden.«

      »Weißt du noch, wie du als Kind hier abgetrieben bist, bis dort drüben? Weil du dich mit der Strömung verschätzt hast?«

      »Rubine können ruhig nass werden. Das schadet denen nicht.«

      »Und wie Vater dich anschließend verprügelt hat, weil du ins Wasser gegangen bist, obwohl er es uns verboten hatte?«

      »Er hätte besser dich verprügeln sollen!«

      »Lass mal, Nok. Vielleicht haben wir solche Aktionen in Zukunft nicht mehr nötig.«

      »Wie meinst du das?«

      »Ich meine, dass unser leider verblichene Bun gar nicht so unrecht hatte. Man kann das ganze Zeug doch viel leichter über Burma verkaufen. Auch die Steine, und mit den Amphetaminen, das geht dich ohnehin nichts an. Wir brauchen diesen Übergang hier eigentlich gar nicht. Dann sparen wir uns auch das Geld für diesen burmesischen Grenzer. Irgendwann wird der ohnehin noch gieriger oder er wird komisch, fängt an zu drohen, was weiß ich?«

      »Ich sag’s dir doch: Das ist zu riskant, nicht nur wegen diesem Grenzer. Das alles gefällt mir nicht«, erwiderte Nok, während der Akha das Boot seitlich gegen den Uferrand der thailändischen Seite steuerte. »Das wird vor allem Dääng nicht gefallen. Wenn du an dem vorbeiwirtschaftest, kriegst du schnell ein Problem. Da kannst du sicher sein. Hast du schon mal daran gedacht, dass Bun vielleicht deswegen getötet worden ist?«

      Ton antwortete nicht. Nok sprang aus dem Boot und lief flink die wenigen Meter die Böschung hinauf, schaute sich um und lauschte in die Nacht: nichts als Frösche und Zikaden. Drüben am Wegesrand stand das Motorrad, mit dem sie am Morgen gekommen waren, bevor sie übergesetzt hatten.

      »Man darf das eben nicht so plump machen wie Bun«, rief Ton hinauf, während er sich vom Akha einen der Rucksäcke reichen ließ. Nok stand oben mit verschränkten Armen und beobachtete, wie der Akha den zweiten Rucksack ans Ufer legte und begann, das Boot an einem kleinen Steg zu vertäuen. Um das Motorrad drüben auf der burmesischen Seite würde sich ein Freund kümmern. Die Akha siedelten zu beiden Seiten der Grenze. Sie führten ein möglichst unabhängiges Leben und wickelten ihre Geschäfte ab, als wäre da keine Grenze. Und auch, wenn ihre Dörfer auf beiden Seiten immer mal wieder vom Militär nach Rauschgift durchsucht wurden, war die Gefahr, des Handels überführt zu werden, sehr gering, zumal Offiziere oft selbst in den Handel verstrickt waren. Die Kuriere, die an den Kontrollposten der thailändischen Armee und der Polizei im Hinterland erwischt wurden, waren »kleine Fische«, Gelegenheitsdealer, die so unvorsichtig waren, den Bus in die Provinzhauptstadt Chiang Rai zu nehmen.

      Ton startete das Motorrad und wartete darauf, dass Nok und der Akha hinter ihm Platz nahmen. Die Strecke ins burmesische Hinterland, die sie am frühen Morgen genommen hatten, war weitaus beschwerlicher als das, was jetzt noch vor ihnen lag, ein paar Hügel, mehr nicht. Aber die 40 Kilometer bis zu diesem kleinen burmesischen Ort an der laotischen Grenze waren zu dritt kaum zu bewältigen. Mehrere Male musste der Akha absteigen und hinter dem Motorrad herlaufen, weil die Anstiege zu steil waren, während Ton seine Schwester auf der Bergkuppe absetzte und ein Stück weit zurückfuhr, um den Akha nachzuholen. Was für ein Aufwand!

      Dann die endlos lange Zeit, die sie in der stickigen Hütte des Edelsteinhändlers beisammen hockten, weil Nok die Rubine ewig lange hin und her schob und von allen Seiten durch die Lupe ins Visier nahm, auf der Suche nach irgendwelchen Mängeln wie Gaseinschlüssen, Kratzern und Kerben, die mit einem Schliff nicht zu beseitigen waren. Nok hatte mehr Erfahrung als Ton. Sie holte sogar aus ihrer Handtasche eine kleine Kunststoffbox mit heller Immersionsflüssigkeit hervor, legte ein paar Steine hinein, um verborgene Mängel, Risse oder Einschlüsse besser erkennen zu können. Das dauerte, und das spindeldürre Männlein hinter dem groben Holztisch verdrehte genervt die Augen. Es verfluchte die Tatsache, dass Ton auf die Idee gekommen war, unbedingt seine Schwester mitbringen zu müssen.

      Nok hatte schon früher in Mae Sai mit Rubinen gehandelt. Ihr machte man so leicht nichts vor. Lange Jahre hatte sie inmitten des Viertels der Edelsteinhändler ein kleines Geschäft betrieben, hatte wie alle anderen an der Straße mit einer Lupe gebeugt an einem Tisch gesessen, mit einer Pinzette in kleinen Häufchen von Rubinen gestochert und die aussortierten Steine an einen jungen Mann mit flinken Fingern weitergereicht, der hinter ihr am Schleifband saß. Schon damals reihte sich ein Laden an den anderen, immer mehr zwielichtige Händler waren hinzugekommen, die ahnungslose Touristen übers Ohr hauten. Einige Ladeninhaber sahen sich genötigt, auf großen Metallschildern zu verkünden, dass sie garantiert mit echten Steinen handeln würden. Das Geschäft im Ort war zusehends verkommen und das Misstrauen untereinander schnell gewachsen. Das war der eigentliche Grund, warum Nok nach Bangkok gewechselt war.

      Als Nok die Lupe endlich beiseitegelegt hatte, und man sich nach weiteren zähen Verhandlungen über den Preis einigte, wünschte sich das Männlein, diese Frau nie wieder zu sehen, strich freudlos die thailändischen Banknoten ein und sah gequält lächelnd Ton an, während Nok die in kleine Cellophantüten verstauten und in Papier eingewickelten Steine in einen der Rucksäcke legte. Draußen fuhr sie sofort ihren Bruder an, weil sie diese kleinen, fest verschnürten Bündel im Rucksack entdeckt hatte, die nur zu einer Gelegenheit dort hineingekommen sein konnten: Als der Freund des Akha ihnen das Motorrad gleich hinter der Grenze überlassen hatte.

      »Sag mal, wie leichtsinnig bist du eigentlich? Wir führen das ganze Zeug hier 40 Kilometer in Burma spazieren und jetzt wieder zurück! Schleichen zu dritt über die Berge mit diesem klapprigen Motorrad. Ich hatte doch deutlich gesagt, ich will das nicht. Schmeiß es weg!«

      »Nun bleib mal ruhig, Schwesterchen! Ich mach das nicht zum ersten Mal, das weißt du. Vor allen Dingen schreie nicht so rum! Es gibt nicht wenige hier, die verstehen Thai. Und unsere Steinchen sind ja schließlich auch nicht gerade legal, wenn wir die so einfach über die grüne Grenze mitnehmen.«

      Die nächtliche Rückfahrt war nicht ganz so anstrengend. Nur zwei Mal sah sich der junge Akha genötigt abzusteigen und einen steilen Berg zu Fuß hochzulaufen, bis Ton kam und ihn mit dem Motorrad nachholte.

      Nun auf der thailändischen Seite tuckerten sie zu dritt die Hügel hinauf, während über ihnen erleuchtete Ballons in die Höhe stiegen. Zu Tausenden wurden sie von den Straßenrändern in Mae Sai emporgeschickt. Wie die kleinen Krathongs auf dem Grenzfluss sollten sie die Wünsche der Menschen weitertragen. Irgendwo dort unten saß auch Wagner und hatte zumindest einen Wunsch.

      9.

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