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Vampire, Wiedergänger und Untote. Wolfgang Schwerdt
Читать онлайн.Название Vampire, Wiedergänger und Untote
Год выпуска 0
isbn 9783864081323
Автор произведения Wolfgang Schwerdt
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Schon im 18. Jahrhundert waren sich die Mediziner darüber im Klaren, dass die vermeintlichen Vampirmerkmale exhumierter Verstorbener Phänomene natürlicher Verwesungsprozesse sind. Auch der Milzbrand und andere Krankheiten waren der Wissenschaft nicht mehr fremd. Der Bevölkerung übrigens auch nicht: Milzbrandepidemien beispielsweise waren Teil des bäuerlichen Lebens der südosteuropäischen »Vampirregion«. Wie die zeitgenössischen Berichte zeigen, waren die Menschen durchaus in der Lage, den Zusammenhang der Todesfälle mit dem Verzehr von »vampyrisiertem« Schafsfleisch in Verbindung zu bringen. So manche der recht merkwürdig anmutenden Maßnahmen gegen Vampire könnte sich bei genauerer Betrachtung sogar als sinnvolle Seuchenprävention entpuppen. Die Vernichtung, vor allem die Verbrennung der »vampyrisierten« Toten als Träger der gefährlichen Milzbrandsporen, macht Sinn, wenn man weiß, dass sich diese Sporen dauerhaft im Boden erhalten können. Manche Wissenschaftler erkennen im Essen der Erde aus einem »Vampirgrab« oder dem Einschmieren mit Blut als Abwehrritual sogar eine Art Impfung.12
Der Vollständigkeit halber seien hier noch die wesentlichen anderen Krankheiten aufgelistet, mit denen das Phänomen Vampir medizinisch-wissenschaftlich erklärt werden soll:13 Tollwut, Schwindsucht, Krebs, Syphilis, Skrofulose (eine Tuberkuloseart), Rachitis oder Porphyrie, eine genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung, die unter anderem eine schmerzhafte Lichtempfindlichkeit zur Folge hat. Gerade die Porphyrie, die die Lichtempfindlichkeit und die vermeintlich charakteristische äußere Erscheinung der Vampire wissenschaftlich erklären soll, zeigt beispielhaft, wie wenig die Medizin allein geeignet ist, das Wesen des Vampirs zu erfassen. Im Volksglauben ist nämlich von schmerzhafter Lichtempfindlichkeit nichts zu finden. Zudem ist die Porphyrie als Gendefekt beziehungsweise Erbkrankheit nicht einmal geeignet, die Vampirisierung der Opfer zu erklären. Porphyrie ist naturgemäß nicht ansteckend, zur Auslösung einer Epidemie also völlig ungeeignet. Und so wird die moderne wissenschaftliche Vampirforschung am Ende oft zu einer Plausibilitätsprüfung einzelner Eigenschaften meist moderner literarischer Vampirerfindungen.
Die Vorstellung vom Vampir als Schreckgespenst abergläubischer und rückständiger Völkerschaften im hintersten Winkel des Habsburgerreiches und das geradezu zwanghafte naturwissenschaftliche Erklärungsbedürfnis hatten auch einen politisch-propagandistischen Hintergrund. Während sich in den österreichischen Publikumszeitungen keine Nachrichten über die Vampirvorkommnisse der rumänisch-serbischen Grenzgebiete fanden, wurden sie von den preußischen Medien begierig aufgenommen und verbreitet. Zeitungen waren in jener Zeit ein ausgesprochen populäres Massenmedium, das sowohl die gebildete Oberschicht als auch die Unterschicht erreichte. Mitte des 18. Jahrhunderts waren Zeitschriften und Zeitungen in Salons und Kaffeehäusern, an den Höfen und in den Bürgerstuben verfügbar. Über die Auslage in den Wirtshäusern, über Lesekreise und Gemeinschaftsabonnements gelangten sie auch zu den niederen Ständen.14 Diese Reichweite machte das Medium zu einem interessanten Propagandainstrument.
Der Vampirfall von Hermersdorf dokumentiert, wie der südosteuropäische Volksglaube zum Spielball machtpolitischer Interessen wurde. Im Februar 1755 entsandte die Habsburgerin Maria Theresia die Ärzte Johannes Gasser und Christian Wabst zur Untersuchung eines Vorfalls in das schlesische Hermersdorf. Zahlreiche Leichen waren dort – so der Bericht der Ärzte – auf dem örtlichen Friedhof ausgegraben worden, weil sich die Bewohner von Toten »beängstigt und beunruhigt« fühlten. 19 der Toten wurden als vampirisiert erkannt und verbrannt. Und selbstverständlich wurde von der Dorf bevölkerung auch die bereits zuvor verdächtigte Person als Verantwortliche für die Todesserie ausfindig gemacht, die 18 Monate zuvor verstorbene Marianna »Saligerin«, eine Hexe.15
Man könnte diesen Fall zu den Akten legen, gäbe es da nicht einige Aspekte, die ihn von den oben beschriebenen unterscheiden. Abgesehen von den üblichen medizinischen Erkenntnissen scheint der Bericht der beiden Ärzte vor allem ein Pamphlet gegen den ländlichen Aberglauben zu sein. Im Gegensatz zur gelehrten Debatte des Jahres 1732 versuchten sie ein Programm gegen den Aberglauben zu formulieren und vor allem »verurteilten die Ärzte in ihrem Bericht die für die Exhumierungen verantwortliche Allianz aus kirchlichen und weltlichen Behörden«.16 Maria Theresias Hofarzt, Gerard van Swieten, nutzte den Fall für seine Pläne zur Reformation des Gesundheitswesens und der Ärzteausbildung. Ganz im Sinne der Aufklärung hatte er sich den Kampf gegen Aberglauben und Unwissenheit, für Bildung und Wissenschaft auf die Fahnen geschrieben. Als Instrument zur Einführung der »neuen Moral« hatte der Wiener Hofarzt bereits 1751 eine Reform der Zensur durchgesetzt, damit »der Pöbel vor einer Überlastung durch neues und ungewohntes Wissen geschützt und zunächst in der Verwendung des eigenen Verstandes geschult«17 werden könne. Ganz offensichtlich gehörte der Bericht über den Fall Hermersdorf zum schädlichen Wissen, das konsequenterweise keinen Eingang in die populären Medien des Habsburgerreiches fand. Für den Preußenkönig Friedrich II. war der Fall Hermersdorf dagegen ein gefundenes Fressen. Ganz offensichtlich hatte der kräftig an seinem Image des aufgeklärten Herrschers und dem Großmachtanspruch Preußens arbeitende Konkurrent Maria Theresias entsprechende Berichte in die Berliner Zeitungen lanciert. Dass das aufgrund der Kritik am Aberglauben und an der Inkompetenz der lokalen österreichischen Institutionen und Ärzte ohnehin schon tendenziöse Traktat des habsburgischen Hofarztes in den preußischen Zeitungen journalistisch noch ein wenig aufgearbeitet wurde, versteht sich von selbst. Letztendlich war der schon längst nicht mehr dem Original des Volksglaubens entsprechende Vampir zur »politischen Figur« geworden. Der Vampir verkörperte nicht nur abergläubische Rückständigkeit, sondern symbolisiert als blutsaugendes Monstrum bis heute auch den gierigen Kapitalisten oder den tyrannischen Herrscher.
Das Wesen des Vampirglaubens
Bei genauerer und unvoreingenommener Betrachtung des Volksglaubens erschließt sich die ursprüngliche Funktion des schädigenden Wiedergängers südosteuropäischer Herkunft.18 Zunächst einmal ist der Vampir des Volksglaubens ein konkreter, individueller Leichnam, der nach seinem Tode leibhaftig weiterexistiert. Er hat in seinem Kern weder etwas mit (Krankheits-)Dämonen, noch mit Werwölfen, noch mit Hexen oder Zauberern zu tun, selbst wenn einzelne Elemente dieser Wesen im Laufe der Jahrhunderte in den Vampirglauben eingeflossen sind. Der echte Vampir ist nie ein liebenswerter Geselle oder auch nur ein harmloser Unsympath. Es liegt in seiner Natur, zu schädigen. Für seine »Lebensaufgabe« verwendet der Tote Magie. Sei es, dass er Mensch und Vieh die Lebenskraft entzieht – ganz ohne Biss –, sei es, dass er die Ernte verderben lässt. Die Seele des Vampirs kann sich zeitweise vom Körper lösen und dabei die Gestalt anderer Wesen und sogar von Gegenständen annehmen, angefangen bei Fröschen, Flöhen, Wanzen, über Esel, Ziegen oder Katzen, bis hin zum Heuschober oder einem mit Öl gefüllten Ziegenschlauch.19 Und er kann Herrschaft über niedere Lebewesen ausüben.20 Sein Erscheinungsbild ist regional unterschiedlich. Er taucht hier als aufgedunsener Leichnam, dort als triefäugig glotzender Unhold, anderenorts ohne Knochen auf. In einer Region treibt er in ganz normaler Alltagskleidung sein Unwesen, woanders hüllt er sich bei seinen Zügen durch die Gemeinde in sein abgewetztes Leichentuch. Bei den Serben schlagen dem Vampir sogar Flammen aus dem Mund, der in anderen Regionen mal mit eisernen Zähnen bestückt, mal blutverschmiert oder beides ist.21
Gerade hinsichtlich