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der Wohnung kommen die Kollegen angestürmt und gehen in der Küche in Stellung, wo die Mahnemann vor der aufgebrochenen Vorratskammer steht. Die Hände vors Gesicht gepresst. – Deshalb war sie auch nicht zu verstehn; aber als du näher trittst, verstehst du sie sehr gut!

      »Scheiße.«

      »Kann man wohl sagen«, nuschelt sie durch ihren verkrampften Fingerfächer.

      Noch nicht lange her das hier, verdammt noch mal. Wenn du, statt dir das Psychostündchen zu gönnen, direkt losgefahren wärst, um die Frau festzunehmen, würde sie jetzt wahrscheinlich noch ... Mal ganz davon zu schweigen, wie lebendig die Frau jetzt wäre, wenn die Mahnemann dir’s nicht vermasselt hätte, sie stante pede sofort festzunehmen. Würd’ sie die Welt zwar durch schwedische Gardinen betrachten, aber putzmunter wär’ sie ... Stattdessen ... Stattdessen hockt sie da in der Vorratskammer ihrer Küche. Mit einer klaffenden Wunde am Hinterkopf. Die Hände mit Stricken gefesselt, die Füße mit Handschellen.

      »Erschlagen, eingesperrt, gefesselt! Da wollte jemand ganz sicher gehn.«

      »Na ja«, fährst du der Mahnemannschen übers Maul, »es handelt sich immerhin um eine Kindsmörderin.«

      »Und so eine muss man dermaßen festzurren?«

      »Brutalität mit Brutalität beantwortet«, sagst du möglichst lakonisch. Aufgeregtheit zeigen in deinem Beruf, das war noch nie sonderlich, wie heißt das: zielführend.

      Aber die Mahnemann macht’s dir nicht leicht. »Hört sich glatt so an, Sheriff, als hätten Sie Verständnis für den Mörder!«

      Und hat dich prompt völlig aus dem Konzept gebracht. Dir bleibt die Luft weg. »Ich weiß nicht«, stammelst du, mit Irrsinnspausen zwischen den Wörtern, als müsstest du nach jedem einzelnen in den abgelegensten Dunkelkammern deines Hirnkastens fahnden. »Ähm, Barbara«, flüsterst du ihr zu, »was, ich meine, was müssen wir denn jetzt als nächstes machen?«

      »Die Spurensicherung herbeizitieren.«

      »Klar. Die Spurensicherung.«

      Und als wär nichts gewesen, gibt die Mahnemann über die Schulter weg Rolf zu verstehn, dass er mal eben bei den Kollegen anrufen soll. Und dann funkelt sie dich wieder an: »Haben Sie gesehn, Sheriff, die Handschellen da?«

      »Sicher, hab ich«, sagst du und merkst, wie langsam, ganz allmählich, Gott oder wem sei’s gelobt, das Ganze wieder den Charakter einer Routineübung annimmt und wie du die Knie endlich einigermaßen vernünftig durchdrücken kannst. »Handschellen um die Füße, das haut auch nur bei so dünnen Beinen hin.«

      Aber die Mahnemann meint was andres, offenbar. »Da sind genau so Kratzer drauf wie bei Ihren. Wo Sie mit den Dingern im Parkhaus die Treppe runter geflogen sind, als wir hinter diesem Zuhälter her waren.«

      »Kratzer – scheint ein weit verbreitetes Leiden bei Handschellen zu sein«, versuchst du den Kopf aus der Schlinge zu ziehn.

      Aber wie gesagt, so einfach geht das bei der nicht. »Wo, wo sind eigentlich Ihre? An Ihrem Hosenbund jedenfalls nicht.«

      »Die Handschellen?« Du fasst dir instinktiv an die Hüfte – und, und greifst ins Leere! »Stimmt! Sack und Asche, wo sind die Handschellen? Wo sind verflucht noch mal meine Handschellen?«

      - . -

       10

      »Aber ich weiß von nichts!«

      Es bleibt dir nichts andres übrig, als dich wieder in diesem schauerlich kargen Bürozimmer, oder muss man sagen: Behandlungszimmer auf die knüttelharte Couch zu legen.

      »Das heißt«, schließt die Wernigge messerscharf und blitzgescheit, »Sie fühlen sich ganz grundlegend verunsichert? In allen Sachen, die Sie so anpacken.«

      »Nein, ganz konkret.«

      Verflucht und zugenäht. Versuch sich doch mal einer, in diese Lage hineinzuversetzen! Du bist an einem Fall dran, wo erst eine Mutter total grausam ihr Kind und ein paar Tage später irgendwer diese Mutter umbringt, kaum weniger grausam. Und dann darfst du feststellen, dass die Frau mit deinen, mit deinen eigenen Handschellen ... das muss man sich mal reintun!

      »Ich weiß nur eins, ich hab die Frau nicht umgebracht und auch nicht gefesselt. Schon gar nicht erschlagen! Im Leben nicht! Kann ich überhaupt nicht, würde ich nie bringen.« Aber dann schiebst du doch viel kleinlauter, als du wolltest, hinterher: »Jedenfalls weiß ich nichts davon. Überhaupt nichts.«

      »Haben Sie denn ein Alibi für die fragliche Zeit?«

      Ein Königreich für eine wenigstens einigermaßen schlaue Therapeutin mit wenigstens einigermaßen schlauen Fragen! »Nein.«

      Du weißt, wenn du ehrlich bist, ja selbst nicht mal, wo du zur Tatzeit warst.

      »Wo waren Sie denn da?«

      »Ich weiß nur, dass das über die Bühne gegangen sein muss ungefähr, ungefähr eine Stunde vor meinem Beratungstermin hier bei Ihnen. Aber wo ich in der Zeit war, Sie können mich totschlagen ...«

      »Das hab ich nicht vor.«

      Hach, wie witzig. Madame Wernigge belieben zu scherzen. Als du aber nicht mitlachst, schluckt sie ihr Giggeln runter und kommt gleich wieder zu scharfen Schlüssen. »Wir haben’s also da mit einer von diesen Zeitlücken zu tun, von denen Sie bei unserer letzten Sitzung gesprochen haben.«

      »Ich weiß es nicht.« Du weißt es einfach nicht.

      »Das heißt, Sie haben den Verdacht, Sie könnten selbst der Mörder sein, den Sie jagen.«

      »Ich weiß es nicht, verflucht noch mal!« Soll dir mal einer verübeln, dass du jetzt endgültig aus der Haut fährst, dass du brüllst, bis an der Wand die zwei jämmerlichen Fotos von irgendeiner Eifeldatscha oder was wackeln. »Das ist doch der Wahnsinn. Die Indizien sprechen ’ne ziemlich klare Sprache, und in jedem andern Fall würden Sie sich die Finger lecken nach so einer deutlichen Spur, aber hier ... ich sag ja, das ist Terror. Wenn Sie wüssten, was im Moment für ’n Rodeo abgeht in meinem Kopf!« Und am Ende deiner Einlassung ist aus dem Löwenbrüllen längst das Maunzen eines epileptischen Katers geworden.

      »Dass die Indizienlage sich auf Sie fokussiert«, die Wernigge ist die Ruhe selbst, »das macht Sie so fertig?«

      »Nach dem Motto: ›teilnehmendes Verstehen‹, oder wie? Typisch Psychotante!«

      »Nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung, wie?«, kommt die Retourkutsche. »Aber zurück zur Mordsache Engelsberg: Gäbe es denn irgendein Motiv?«

      »Ich war natürlich entsetzt, total entsetzt. Der Tod des kleinen Jungen in diesem Kellerverschlag, das hat mich umgehauen wie selten ein Fall. Aber ist das ein Motiv für einen Mord?«

      »›Umgehauen wie selten ein Fall‹, mhm«, meditiert die Guteste, »versetzen Sie sich noch mal zurück in die Situation, als Sie im Keller vor dem toten Kind standen!«

      »Nein, bloß nicht. Nein!« Dir steht sofort der Schweiß auf der Stirn. Wer zum Teufel will denn ständig an so was erinnert werden?

      »Könnte es sein, dass da ein kindliches Trauma bei Ihnen selbst im Untergrund rumort?«

      Das reicht jetzt wieder! »Mir geht das auf den Sack hier, dieses Seelsorgergeseiche!«, brüllst du und hievst dich hoch aus der bekloppten Hilflosigkeitsposition auf dieser Knochenkur-Couch. Jetzt weißt du jedenfalls definitiv und unumstößlich, weshalb du so was nie gewollt hast, so Therapien und so ’n Bohei.

      »Sie bleiben bitte liegen«, raunzt sie dich an, »unsere Sitzung ist noch nicht zu Ende. Aber Ihre Reaktion zeigt mir, dass wir da irgendwo einen wunden Punkt erwischt haben müssen. Wenn Sie da allerdings noch nicht ran können, bleiben wir erst mal ...«

      »Was soll dass denn nun wieder heißen? Dass ich ›da noch nicht ran kann‹!« Du denkst überhaupt nicht dran, dich wieder hinzulegen! So nicht. Nicht mit dir.

      »... bleiben wir erst mal im Hier und Jetzt.

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