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Die Poesie des Biers. Jürgen Roth
Читать онлайн.Название Die Poesie des Biers
Год выпуска 0
isbn 9783941895478
Автор произведения Jürgen Roth
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
So verging eine Zeit. In einem Moment jedoch schreckte der Bauersmann hoch, weil er hinten am Waldesrand, im Gebüschsaum, ein Geräusch glaubte gehört zu haben. »Ein Franke täuscht sich nicht«, dachte er da, und er fügte für sich noch einen Gedanken hinzu: »Das ist der Russ’, auf der Lauer liegt er dort, das ist mir gewiß.«
Also berappelte sich der Franke, erhob sich, zog die Stoffhos’ »auf Äquator«, schritt hinüber zu seinen grasenden Tieren und flüsterte jeder einzelnen Kuh ein Wort ins flauschige, hochgestellte Ohr.
Daraufhin taten die Tiere, wie ihnen geheißen, sammelten sich auf einer Linie und begannen, auf den Waldesrand zuzumarschieren.
Aus dem Buchen- und Tannengeflecht waren sogleich deutlich gewisse undeutliche und erschreckend blecherne Laute wie »Kuczynski, Katastrophia!« und »Kommando kehrtysky!« zu vernehmen, derweil dem wacker’n Franken schon wieder hold liegend daran lag, jenen Gedanken zu denken, an den er schon so lange gedacht hatte, ohne ihn bereits vollends zur Reife gebracht, geschweige denn begonnen zu haben.
*
Fitneßfinte
Dem Russ’ fiel einmal ein, es anders zu probieren. Er machte einen Plan, den er selbst beinahe verstand, und nach diesem Plan verheerte der Russ’ sodann folgende Gemarkungen: Sachsendorf-Süd, Keilstätten, Fürth (komplett), die ebermannsstädtische Schweiz und einen erheblichen Teil von Aufseß. In Aufseß hatte der Russ’ nämlich außerdem ein Wirtshaus ausgemacht, in dem pechschwarzgebrannt wurde, und das packte ihn sehr an der eig’nen Ehr’.
Nun, der Erfolg der Mission war augenscheinlich. Aber nach zwei Tagen stellte sich heraus, daß der Russ’ nur Sachsen, Holsteiner und Albaner hingemeuchelt hatte. Dieselben waren vom Franken zu einem »Extreme Wellness Weekend« eingeladen und überall dort einquartiert worden, wo die Kunde von des Russ’ Vorhaben vorher hingedrungen war.
Der Franke seinerseits aber war längst über den Wellness-Wanderweg nach Kathi-Bräu entflohen, wo er jetzt der Katze ein Prosit entbot und jene zarten Maiden orgelte, von denen der Russ’ abermals bloß schmachtend träumte.
*
Von der Wendigkeit der Gefühle
Einmal verlief sich der Russ’ bei Nürnberg-Langwasser so arg, daß er nach Stunden entbehrungsreichen Marschierens schon aufgeben und die Fehde, verärgert über sich selbst, für beendet erklären wollte. Vorerst.
Gerade hatte er sich also in einem großen Kiefernwald mit seinen erschöpften Mannen auf ein Lager gebettet, um zu rasten und den Friedensvertrag aufzusetzen, da fiel ihm auf, daß er die nämliche Schrift ja gar niemandem würde überbringen können, wo man doch so furchtbar herumgeirrt war und nun in der erbärmlichsten Einöde verdammt schien, immerdar unter sich zu bleiben und nie mehr eines Franken ansichtig zu werden.
Bei dieser trüben Aussicht änderte der Russ’ seine Meinung deshalb sofort und schwor sich, in den nächsten Tagen wenigstens auf Reuth droben und jenseits des Wernsbaches alles kompromißlos kurz und klein zu hauen.
Obschon dort ja schon lange kein Stein mehr auf dem anderen lag, hatte jene Gegend früher nämlich als Übungsgebiet für die »Operation Schnatzkolkaja« herhalten müssen. Aber das war dem Russ’ in seinem Frust nun gleich ganz scheißegal. So war er eben …
*
Ankündigung schlimmer Ereignisse
Von Mund zu Mund ging oft die Geschichte, daß der Russ’ etwas fürwahr Furchterregendes im Schilde führte, das schlimmste Not über die Gauen des Frankenlandes bringen würde und manches Ungemach, etwa trocken Brot, Gift in der Suppe und grüne Fahrradreifen. Was genau, wußte man nicht.
Aus der Welt der Wahrheit
Schlagfertig con Schaschlik
An einem Frankfurter Stehimbiß, an dem Eckhard Henscheid in unregelmäßigen Abständen zu einem Gemeinschaftssnack und zum anschließenden »Elendstrinken« lädt, wurde der Romancier, als er gerade einen Happen Schaschlik zum Mund führte, von einem Redakteur gefragt, ob er gedenke, demnächst wieder »einen großen Roman« zu schreiben.
»Nein«, versetzte Henscheid und kaute weiter.
*
So nicht!
Vor vielen Jahren war der Dichter Henscheid mit einem Freund während einer Anhalterreise zwischen Rastatt und Iffezheim sehr lange hängengeblieben. Also beschloß Henscheid, in die nächstgelegene Ortschaft zu wandern, um durstlöschendes Bier zu holen. Es war um sechzehn Uhr herum, zudem glutheiß.
Der Wirt des ersten erreichbaren Lokals beschied das Ansinnen des jungen Henscheid, zwei kühle Flaschen Bier kaufen zu wollen: »Ein Bier für zwei genügt!«
*
Perfekte Pannenhilfe
»Tatsächlich? Mit der Flasche?« Ja, er bitte ihn darum, mit der Bierflasche auf den Anlasser zu hauen, eigentlich genüge auch ein Klopfen, um den Wagen zu starten. Nur weil der Anlasser hinüber sei, liege diese Bierflasche überhaupt hier im Auto herum.
»Ach so«, sagte Eckhard Henscheid und stieg mit der Bierflasche in der Hand aus, ging um den Wagen herum, öffnete die Motorhaube, beugte sich über den Motorblock und begann, mit der Bierflasche auf den Anlasser einzuschlagen. Der Mann hinterm Steuer drehte den Zündschlüssel um, und schon lief der Motor.
»Das wäre ein Romananfang«, sagte Henscheid, als er wieder auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. »Eine interessante Szene.«
Die Bierflasche war unversehrt geblieben.
Der Staub der Seele und das Grün des Gemüts
Nach Westen, junger Mann, nach Westen! Dort findest
du Glück, Ruhm und Abenteuer.
Der Mann, der Liberty Valance erschoß
Es ist schwer.
Townes Van Zandt
Das Lagerfeuer lodert, orange und honiggelb züngeln die Flammen. Unterhalb der Terrasse neben dem Hauptgebäude der 71 Ranch im Nordosten von Nevada erstrecken sich im Halbdunkel riesige Weiden, die in die Ausläufer der Ruby Mountains übergehen. Gütig konturieren die »Alpen von Nevada« den Horizont, die Szenerie einhegend und beschützend.
Es riecht nach Bohnen, gegrilltem Huhn, gegarten Kartoffelscheiben. Jay Dalton, eine optisch präzise Inkarnation des Marlboro-Mannes, greift zur Gitarre, legt sie noch mal zur Seite, nimmt einen Schluck Bier und beginnt sie dann zu besingen, die unstillbare Sehnsucht nach dem Westen, nach dem Leben im »Big Empty«, nach der Unabhängigkeit, aber auch nach der Familie, der Geborgenheit, der Sicherheit, die die tradierten Werte gewähren. Oder gewähren sollen.
Der Mythos vom weißen Mann, der sich kraftstrotzend, hartgesotten und selbstbewußt, mit Entschlossenheit, Unerschütterlichkeit und Gottes Segen ein wildes, unermeßlich weites Land untertan gemacht hat, ist melancholisch legiert. Die verflossene Liebe, die ausgespannte Braut, »heartache and tears«, all das kennt das Liedgut der Cowboys nur zu gut, und Jay Daltons schwebender, wellenförmig an- und abschwellender Gesang zeichnet die Welt bisweilen tief anrührend nach dem Melos der Schwermut. Das Leben, »sometimes it makes me mellow« – manchmal macht mich das Leben mürbe.
Nicht, daß Jay Daltons Darbietung an die Auftritte des großen, verlorenen Sohns der Country- und Bluesmusik heranreicht, an Townes Van Zandt, der laut Willie Nelson »Poesie und Musik« wie kein zweiter Songwriter und Folksänger vermählte; an den abgewetzten, ausgemergelten, verstörten Tramp und Troubadour, der das Bild vom gebrochenen Cowboy, der auf der Straße die Freiheit und Reinheit des Lebens sucht und dabei scheitert, verkörperte wie sonst kaum jemand: »Alleinsein ist ein Zustand. Einsamkeit dagegen ist ein Gefühl.« – »Ich habe ein paar Lieder, die sind nicht traurig, nur hoffnungslos.« Aber der Staub, der sich auf