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den Geisteswissenschaften recht ordentlich umgesehen habe (und weiterhin umsehe), kann man noch überraschen. Denn daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein »Forschungsprojekt zur Terminologie der Weincharakterisierung« fördert – und das wohl seit Jahren oder gar Jahrzehnten –, damit hatte ich nicht gerechnet.

      Ist aber so, ist wahr. Was ich, es sei mir gestattet, mit einem tiefen Schluck aus einer kalten Flasche Jever quittieren muß. Und noch einem. – So, jetzt glaube ich es wirklich.

      Laut dem Literaturverzeichnis in Hans Peter Althaus’ Kleinem Wörterbuch der Weinsprache (München 2006) hat der Trierer Germanist bereits 1973 erste Überlegungen »zur Strukturierung einer Terminologie der Weinsprache« präsentiert. In der Folge »wurden die weinsprachlichen Beschreibungen von knapp zehntausend Weinen untersucht, die auf Weinpreislisten deutscher Weingüter und Kellereien sowie auf Weinkarten der Gastronomie geführt worden sind«, und nachdem Althaus und seine Mitarbeiter das Material sortiert und kategorisiert haben, liegen nun Begriffserklärungen zu »mehr als tausend deutschen Weinwörtern« vor, »sprachwissenschaftlich überprüft und verständlich dargeboten«.

      Althaus will Ungereimtheiten und Polyvalenzen, die aus der Vermischung der Sphären der Alltags- und der Fachsprache resultieren, beseitigen und einen einigermaßen verbindlichen Korpus präziser vinologischer Termini unterbreiten, einen »Kern- und Aufbauwortschatz der Weinsprache«, aus dem historische Irrtümer und mäandernde Bildlichkeiten getilgt sind. Sein Plädoyer für einen exakten, konzisen Stil und eine entschieden deskriptive Haltung, die sich den cartesianischen Idealen der Klarheit und Distinktheit verpflichtet, geht einerseits mit der Ablehnung des geläufigen Weinkennerjargons und des damit verbundenen Standesdünkels einher, andererseits mit der Zurückweisung allzu ungestümer Poetereien.

      Das leuchtet nur bedingt ein, hat sich doch etwa der gargantueske Weinverschlinger (und Bierumdrescher) E. T. A. Hoffmann als gewaltiger Ausdruckserneuerer und Wortverwirbler erwiesen, der »auserlesenen« und »vortrefflichen« Wein ebenso zu belobhudeln verstand, wie er einen »Würzwein« als »Absud von höllischen Kräutern« verdammte. Dem unergründlichen Saufaus einen bisweilen sachunangemessenen Gebrauch von Weinwörtern zur Last zu legen, das mutet schon ein wenig kauzig-penibel an, zumal weil, einer Einsicht Nietzsches gemäß, die menschliche Sprache aus nichts anderem als einem »beweglichen Heer von Metaphern« besteht und somit bloß scheinbar exakt die Eigenschaften der Dinge (und unsere Vorstellungen und Eindrücke) wiedergibt.

      Eine im strengeren Sinne vinologische Fachsprache begann sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herauszubilden. Althaus zeichnet sorgsam die Ausdifferenzierungsprozesse, an deren Ende eine weitreichende Trennung von gemeinsprachlichen und fachsprachlichen Gebrauchsweisen zu konstatieren ist, in grammatikalischer und semantischer Hinsicht nach, ohne so zu tun, als ob die entwickelte Sondersprache in Sachen Weinbeschreibung keinen Bedeutungsschwankungen mehr unterläge. »Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache«, heißt es bei Wittgenstein, und Althaus merkt an: »Die Fachsprache ist im Gebrauch festgelegt, ohne daß die Ausdrücke definiert worden wären. Das hat zur Folge, daß es konkurrierende Bezeichnungen gibt und die Reichweite der Weinsprache als Fachsprache begrenzt ist.« Die wankenden Relationen zwischen Wort, Bedeutung und Gebrauch nötigen daher zu dem Schluß: »Eine systematische Weinsprache gibt es […] bis heute nicht.«

      Obschon der Weinthesaurus also keineswegs starr oder stabil ist, legt Althaus anschließend durch Sacherklärungen und wortgeschichtliche Erläuterungen dar, was es mit Lexemen wie »Bukett«, »Geschmack«, »Duft« oder »trocken«, »rein«, »pappig« und so fort auf sich hat, das heißt, wie sie unter Degustationsgesichtspunkten korrekt verwendet werden. Nicht selten kreiselt er dabei in pleonastischen Zirkeln oder bemüht banale Synonymreihen. Zumindest mir als Bierlexikographen, der seine Nase immerhin ein- oder zweimal in ein Weinlexikon gesteckt hat, muß man nicht partout unter dieselbe reiben, daß »flach« »ausdruckslos« bedeutet oder »jung« halt »unfertig«. Das, nehme ich außerdem an, wissen auch gemeine Getränkekonsumenten.

      Trotzdem bin ich auf den einen oder anderen mir unbekannten und daher ausdruckserweiternden Begriff gestoßen. Das Adjektiv »bauernhell«, mit dem man einen leicht trüben Wein charakterisiert, werde ich mir merken, ebenso das schöne alte Wort »rahn«, das für rötlich-bräunlich verfärbte, nach Dörrobst oder frischem Brot schmeckende geistige Getränke reserviert ist.

      Gleichfalls Einzug in mein in Arbeit befindliches drittes Bierlexikon werden halten »Deckengeschmack« (»unangenehmer Geruch und Geschmack nach Kahmhefen«; bei mir dann vielleicht eher für: »mundet, wie es morgens unter der Decke riecht, wenn …« oder »…, daß man an dieselbe gehen könnte«), »farbebrechend« (»farbkrank«; »verursacht schon beim bloßen Angukken Erbrechen und Kopfweh«), »Hagelgeschmack« (»Geschmack nach Schimmel«; »verhagelt einem die Bierlaune gründlich«) oder auch einfach mal der »Sackgeschmack«, des holden Wortbinnenreimes wegen.

      Daß ein Bier indes niemals »grundsig« oder »durchsoffen«, geschweige denn »blau« sein könnte, das halte ich meinem Lieblingstrank gegenüber dem geringfügig zu stark adorierten Wein nach wie vor eisern zugute. Und wenn ich im Rahmen meiner nicht abreißenden Bierforschungen jemals einen »Teergeschmack« (»Beigeschmack von Weinen aus Lagen an frisch geteerten Straßen«) erspüren sollte, werde ich die Schließung der in Frage kommenden Verkehrswege veranlassen – oder ihn, den »Teergeschmack«, genau so notieren und danach bei der DFG einen Antrag auf Alimentierung des »Forschungsprojekts zur weiteren Erweiterung der Terminologie der Biercharakterisierung« stellen. Das wäre ein prächtiger Circulus, in dem ich mich da bewegen würde – Urheber und wissenschaftlicher Auswerter in einem zu sein, das soll mir mal einer nachmachen!

      Und ein paar assistierende blonde Bräute fielen ja wohl auch noch ab, ha.

      Der oder das Radler – akzeptabel?

      Gewiß nicht. Beides nicht. Unter keinen Umständen. Das ist klar.

      Diese symptomatischen Symptome unserer am Gesundheitswahn krankenden Zivilisation, das Radler und der Radler, sind zugleich ihre beinahe schlimmsten Flüche, sie ordnen sich direkt hinter dem Atom, al-Qaida, Austern und der Arschbombe ein.

      Gründlich zu preisen wären im Grunde alle Fahrraddiebe der Welt, insbesondere die in Frankfurt am Main augenblicklich äußerst agil agierenden, denn sie säubern unser Straßenbild zumindest lokal und temporär von arroganten, bewegungsfetischistischen Elementen mit nußschalenartigen Kopfbedeckungen, an die Gott bei der Schöpfung nicht gedacht hatte und über deren unheilbare geistige Verwirrung später wenigstens Flann O’Briens Roman Der dritte Polizist (1940) ordentlich Auskunft gab, indem er an Hand des Fahrrads über die unheilvolle »Atomtheorie« aufklärte.

      Keiner näheren Erörterung bedarf der Radler in Gestalt des Sportlers, zu dem wir zudem den Paraphänotyp des sogenannten Radkuriers zählen müssen, der sich in ohnehin unzumutbaren Städten wie Münster und München (ergänze: Frankfurt, Freiburg, Frankenthal et cetera) zu einem Massenärgernis ohnegleichen entwickelt hat. Mastbullen in synthetischen Wurstpellen (Radlerhosen) bringen jeden Verkehr zum Erliegen und verhelfen einer furchterregenden Alltagskleidungsästhetik zum Durchbruch, vor der wir nur die Augen verschließen können. »Der Radsport soll abgeschafft werden«, forderte deshalb der Radphilosoph Michael Rudolf (Das Fahrradbuch, Leipzig 2003) im Juli 2005 in der taz.

      Auch gegen das Radler erhob er ebenda die Stimme, denn das Radler ist sehr übel und untrinkbar. Das entsetzliche Mischgetränk wurde im Sommer 1922 vom Wirt der Kugler Alm, dem ehemaligen Gleisarbeiter Franz Xaver Kugler, erfunden. Noch heute zieht das in Rede stehende Etablissement in Oberhaching nahe München-Süd Tausende von Radlern an, die nach nichts anderem trachten, als ihrem frevlerischen Tun durch den Verzehr einer »Radlermaß« (Bier mit Zitronenlimo) die Krone aufzusetzen.

      Für seine Innovation gehörte Kugler post mortem aufs Rad geflochten. Die Frankfurter Henninger-Bräu, die 1994 anläßlich der dreiunddreißigsten Auflage des Radrennens »Rund um den Henninger-Turm« das erste industriell gefertigte Radler auf den Markt kippte, ist hernach verdientermaßen in die Klauen des Konkurrenten Binding gefallen. Im Verbund mit anderen professionellen Schändern des Biergedankens

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