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Von kommenden Dingen. Walther Rathenau
Читать онлайн.Название Von kommenden Dingen
Год выпуска 0
isbn 9783940621368
Автор произведения Walther Rathenau
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Feindschaft von Mensch zu Mensch steigert sich zur Feindschaft von Gruppe zu Gruppe, Stamm zu Stamm, Volk zu Volk. Der Mensch ist zum Interessenten geworden; irgendeine kümmerliche Theorie hat ihm und seinesgleichen Abhilfe aller Bedrängnis versprochen, sie schließen sich zusammen, nennen's Partei oder Interessenvertretung, verallgemeinern ihre umgekehrten Beschwerden zu einem positiven Idealbegriff und entrüsten sich, daß der Widersacher, vom entgegengesetzten Interesse ausgehend, nicht zum gleichen Ideal gelangt. In dieser an Spielarten so ergiebigen Zeit ist nichts schwerer zu finden als ein Mensch, dessen Überzeugung und Ideal sich nicht mit seinen Interessen deckt; diese verzweifelte Erfahrung führt dazu, daß es ernste Denker gibt, die eine Weltanschauung, eine transzendente Überzeugung überhaupt nicht mehr als eine Form der Erkenntnis, als einen Abglanz des Ewigen dulden, sondern vielmehr darin nur eine Art von Charakter- und Interessenumsetzung, gewissermaßen eine Krankengeschichte, eine idiosynkratische Sonderlichkeit erblicken. Soweit geht das Vertrauen zur Positivität der Interessen, zur Alleinherrschaft des Intellekts, zur Erdgebundenheit des Gefühls.
Welches Interesse hat nun die Mechanisierung, durch Angst und Not, durch Feindschaft und Kampf ihre Opfer auf die Höhe der Leistung zu [50] treiben? Ahnt sie nicht, daß alles Größte der Welt Werk der Liebe und brüderlicher Gemeinschaft gewesen ist? Zweifelt sie daran, daß Not zwar Eisen bricht, Glaube aber Berge versetzt?
Mag sie es ahnen, doch gleicht sie darin dem armen Satan, daß sie in den Höhen machtlos ist. Sie hat sich verpflichtet, den Menschen mit tausendfach vermehrter Sippe zu nähren, zu unterhalten und zu bereichern, und hält diesen Pakt. Ihre Mittel sind kunstvoll und erfinderisch, aber gemein, denn aus gemeiner Not entstammt sie; den edleren Menschen drückt sie hinab, den niedern zieht sie empor; bis zu ihrer eigenen Höhe, nicht höher. Nun kennt sie ihr Knechtsgefolge; den Glauben hat sie vernichtet, zum guten Willen hat sie wenig Vertrauen, mit Angst und Plage kommt sie zurecht. Wo Wetteifer nicht ausreicht, erzwingt es die Konkurrenz, wo Bruderhilfe erlahmt, erzwingt es der Kampf, wo Volksgemeinschaft ermangelt, erzwingt es die Klassenschichtung. Und abermals in allen diesen Mitteln herrscht der uralte Trieb des Neides, des Hasses, der Angst und Begierde, unter dessen Aspekt die Mechanisierung erzeugt ward.
Auch daran erinnert sie sich ihres Ursprungs, daß sie die Menschen verfolgt, die nicht nach ihrem Bilde geschaffen sind. Der freie Mensch der Phantasie, der Träumer des Göttlichen, der hingegebene Freund der Dinge und Geschöpfe, der Liebende, der für den kommenden Tag nicht sorgt und das Fürchten nicht lernt, ist ihr ein träger und verträumter Knecht. Noch über ein kurzes duldet sie ihn hinterm Pflug, in der Front, auf fremden Meeren, dann denkt sie sein Werkzeug durch Maschinen, ihn selbst durch Schlauere zu [51] ersetzen. Des Menschenfreundes, der glaubt, daß die Seele nach dem Worte der alten Schrift ans Blut gebunden ist, bemächtigt sich Verzweiflung, denn das beste Blut entströmt unwiederbringlich. Wer aber glaubt, daß der Geist das Blut beherrscht, daß aus Steinen Abrahams und Deukalions Same erweckt werden kann, der wird dies verrinnende Blut als die Opfergabe preisen, die dem Geist Befreiung aus mechanistischen Banden verbürgt.
Wir wissen, daß alle Güter dieser Erde nichts sind als amorpher Rohstoff, weder gut noch böse, weder wert noch unwert, solange sie nicht zu zweiter Natur wiedergeboren sind. Die Güte, die aus Gewöhnung und freundlicher Anlage kommt, nicht wiedergeboren aus Stärke des Herzens, ist keine Güte; Natur, durch kein vergeistetes Auge neu erzeugt, ist nicht Natur; das Meisterwerk gewinnt seine Freiheit, indem es durch Kunst zur Natur wiedergeboren wird; der Mensch selbst, ungeläutert durch Fall, Bewußtheit und Aufstieg, bleibt im Seelenhaften ungeboren. Die Wiedergeburt durch Bewußtheit und freien Willen zur Pflicht und zum Liebeswerk war dem mechanistischen Wesen noch nicht beschieden; noch ist es ungebrochenes Natur- und Kriegswerk, in gleichem Stande wie Selbstverteidigung vor Anbruch des Gesetzes oder Ernährung ohne Erkenntnis des Eigentums. Und doch ist die Mechanisierung sittlicher Durchgeistigung fähig; ihr höchster und edelster Teil, der Staat, hat durch vorzeitliche Weihen sie erfahren und könnte ohne diese Verklärung seiner Sendung nicht bestehen. Freilich fließen die tausendfachen Attribute des Staates aus ehrwürdigeren Quellen; Heimatsliebe, Stam- [52] mesgenossenschaft, nationale Gemeinschaft, des Kulturbesitzes und Erlebens, religiös-theokratische Verschwisterung des Empfindens haben sein Reich ins Übernatürliche gesteigert. Doch es entscheidet nicht die Herkunft, sondern die immanente Notwendigkeit des Wesens; es entscheidet das Bewußt sein, daß die geheiligte Institution höher steht als die Notdurft des einzelnen, die Ahnung, daß der Mensch nicht um eines irdischen Glückes willen geschaffen ist, sondern in göttlicher Sendung, der Glaube, daß die menschliche Gemeinschaft nicht eine Zweckvereinigung bedeutet, sondern eine Heimat der Seele. Dieses unausgesprochene Bewußtsein, das auch der unvollkommensten Staatsform noch einen Schimmer von Göttlichkeit verleiht, muß dereinst erwachen für jede Form und Handlung materiellen Lebens und muß selbst die Mechanisierung ergreifen und durchdringen. Stets war das Wirken in Wissenschaft und Kunst, in Heer und Staat sich bewußt, daß kein Werk verantwortungslos für sich allein steht, daß jedes sich selbst und der Welt Rechenschaft schuldet, daß eine Kette der Pflicht und Notwendigkeit alles Schaffen verbindet, daß Losgelöstheit und Willkür die Schmach des Eigennutzes und der sinnlichen Knechtschaft an der Stirn trägt. Das Bewußtsein muß aber erwachen, daß in gleichem Maße alles materielle Handeln und alles, was ihm dient, ein Bauen am irdischen und überirdischen Leibe der Menschheit bedeutet, darin jeder Schritt und Handstreich, jeder Gedanke und Laut Kerne und Zellen formt, daß eine göttliche Verantwortung und Dankbarkeit eines jeden Sache zu jedermanns Sache und jedermanns Sache zur Sache eines jeden [53] macht, daß es kein Unglück und Verbrechen gibt, für das wir nicht alle Rechenschaft schulden, daß kein Recht, keine Pflicht, kein Glück und keine Macht abseits vom Schicksal aller erworben und vertreten werden kann. Ist einstmals auch die Mechanisierung von dieser Erkenntnis durchgeistet, so ist sie nicht länger ein empirischer Gleichgewichtszustand; dann wächst sie empor und hinein als wahrhafter Organismus in das Gesamtorganon des Schöpfungskreises, auf daß nun in seinen Adern ungehemmt vom Herzen zum Herzen der Gottheit die Kräfte strömen und das planetare Leben zum Bilde organischer Theokratie sich vollendet.
Überblicken wir getrost den Umfang der mechanistischen Erscheinung! Die technisch dienende Verrichtung: Das wuchernde Geschlecht zu nähren und zu erhalten, wird von der mechanisierten Ordnung zulänglich geleistet. Zu den Kräften der Natur, zum Bereiche sinnlicher Erkenntnis ist ein bedeutendes Verhältnis geschaffen. Im nützlichen Denken, im Sammeln und Verteilen der Kräfte, in