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begonnen, den Carport des Nachbarn zu demontieren. Das Handy vibrierte. SMS von Gieseking. »Habe die finnische Staatsbürgerschaft beantragt. Werde heiraten. Tattoo etwas entzündet. Morgen will sie mir Ohren dranmachen.«

      Es war wirklich ein zauberhafter Oktober. Die Kirchturmuhr schlug zwölfmal.

      Endlich November.

       Aschermittwochsbrief aus Westfalen

      Liebe Rheinländer!

      Ich weiß, Ihr singt lieber andere Lieder. Ich aber mag Musik und deswegen lasst es mich mit dem Urvater des US-amerikanischen Straßenkarnevals, lasst es mich mit Bob Dylan sagen: It’s all over now, Baby Blue.

      Manche nennen es Kater, manche sagen Melancholie, die einen liegen in Essig, die anderen gehen in Asche und die meisten eint das Gefühl, dass an diesem traurigen Mittwoch nicht nur der Nubbel, sondern mit ihm auch der letzte Witz gestorben ist. Liebe Rheinländer, es ist mir vollkommen klar: Was Ihr jetzt am dringendsten braucht, ist erstens ein Kopfschmerzpulver aus Leverkusen, zweitens etwas sauer Eingelegtes auf der Zunge und drittens, falls Ihr heute durch Eure Innenstädte gehen müsst, eine Nasenklammer. Und natürlich: Das wenigste, was Euch jetzt trösten kann, ist ein fröhlicher Gruß aus Westfalen. Deswegen schicke ich Euch einen Eurer Verfassung angemessenen, einen verhaltenen, einen leisen grauen Gruß aus der Karnevals-Diaspora westliches Westfalen, also östliches Ruhrgebiet, was im übrigen aufs selbe rauskommt.

      Liebe Rheinländer, ich kann mir lebhaft vorstellen, wie vielen von Euch heute zumute ist. Und zwar nicht obwohl, sondern weil ich Westfale bin. Schwermut und Blues sind für uns keine Unbekannten. Hier bei uns kommen die beiden nämlich wesentlich häufiger vorbei als bei Euch. Wir brauchen keine tollen Tage, um aschermittwochs traurig zu sein. Wir sind da nicht so kalenderhörig, wir haben das auch schon mal dienstags oder donnerstags und wenn’s sein muss, auch im August bei 28 Grad im Schatten in der Eisdiele.

      Ihr merkt hoffentlich, dass ich an Eurem heutigen höchsten Trauertag nicht die Gegensätze, sondern unsere Gemeinsamkeiten betonen will. Außerdem will ich als Westfale nicht verhehlen, dass ich Euch manchmal bewundere. Ja schon – auch ich kann mit Alkohol lustig sein. Und ja: Auch ich kann mich schon mal freuen, manchmal sogar verhältnismäßig begeistern. Das Doofe ist nur: Ich brauch’ dafür ‘n Grund.

      Mit neidischen Grüßen

      F.E.

       Rund fünf Millionen Humoristen

       Eine Annäherung

      Was wäre die Ruhr-Region ohne ihren Humor? Sie wäre vor allem menschenleer. Der Mensch kann Humor haben, eine Region nicht. Wie denn bitte? Region besteht doch vor allem aus Gegend, also aus unbebauten, dafür aber bebaumten Flächen, aus Wäldern und, in für Normalwüchsige überschaubarer Ausfertigung, aus Asphaltrandbestrauchung, die je nach Hundeausscheidungsaufkommen ebenso dem baldigen Dahinscheiden geweiht ist wie die jede Normbestrauchung gemeinhin umrandende Berasung. Schön ist jedenfalls anders. Es sei denn, es ist Winter und die Laterne ist kaputt. Dann geht’s.

      Solchermaßen ausgestatteter Region kann man sicherlich einiges zusprechen, zum Beispiel Gewöhnlichkeit, nicht aber Humor. Hat man denn je eine Lärche, einen Liguster oder eine Laterne lachen hören? Na siehste. Und wenn es sich doch mal ein klein wenig so anhörte wie, dann war es wohl doch nur wieder das vom strammen Südwest verursachte Quietschen im Wind, ganz bestimmt aber nicht das den wahren Humor kennzeichnende »Lachen über sich selbst«.

      Ergo: Gegend hat keinen Humor. Weder das erwähnte Inventar, noch die die Gegend vervollständigenden, also in ihr herumstehenden umbauten Räume. Obwohl gerade die ihn am nötigs­ten hätten.

      Hier geht es aber nicht um »Wohnbebauung« genannten Zynismus, also um Architektur, sondern um Menschlichkeit. Denn wenn es in einer Region Humor gibt, dann nur, weil sie bewohnt, vor allem aber beseelt ist. Im Falle des Ruhrgebietes von derzeit rund fünf Millionen Humoris­ten.

      Denn wahrlich, ich sage euch: Die Menschen im Ruhrgebiet haben das Herz auf dem rechten Fleck. Ausnahmslos alle. Diese also durch und durch unkomplizierten, aufgeschlossenen, sympathischen, uneitlen, von harter körperlicher Arbeit geprägten, sich durch die Unbilden des Lebens nicht aus der Bahn werfen lassenden, also nach dem Hinfallen immer wieder aufstehenden, wie gesagt zu einhundert Prozent mit lebensbe-jahender Herzensbildung ausgestatteten und deswegen so liebenswerten Ruhries sind ja vor allem deswegen so liebenswert, weil sie ein so außerordentlich unkomplizierter, aufgeschlossener, uneitler, von harter Arbeit geprägter Menschenschlag sind, der durch die Bank das Herz auf dem rechten Fleck hat und sich nicht unterkriegen lässt.

      Es sind vor allem solche von keinem weitergehenden Gedanken befeuerten Zuschreibungen, die die in der Ruhrregion ansässigen Menschen seit einigen Epochen über sich ergehen lassen, ohne erkennbar unter der Belastung zusammenzubrechen. Nicht wenige haben es sogar geschafft, die Vorurteile über sich so anzunehmen, dass sie nun selber glauben, wer, was und wie sie angeblich sind. Ahnungslose Schlaumeier halten das für einen psychischen Defekt. Dass wir es aber hier mit unabweisbaren Indizien für tief in den Menschen verwurzeltem Humor zu tun haben, erkennen die wirklichen Fachleute.

      So etwa der große amerikanische Volksschriftsteller Mark Twain. Er wusste: »Die verborgene Quelle des Humors ist nicht Freude, sondern Kummer.«

       Heimatloses Osterei

       (auf Norderney)

      Im Januar wurd ich gesichtet

      als selten schickes Einzelstück,

      wer mich bekäme, wurd berichtet,

      hätt fast schon unverschämtes Glück.

      Im Februar war ich verschwunden,

      »verzogen«, wurde kolportiert,

      nach »unbekannt«, nach »falsch verbunden«,

      nach »weißderteufel« emigriert.

      Bereits im März war ich vergessen,

      kein Schwein fragt seither, wo ich bin,

      als Thema sowas von gegessen,

      aus dem Sichtfeld, aus dem Sinn.

      So kam ich im April zu dir,

      in schäbbig braunem Packpapier,

      als blinder Nordseepassagier

      frierend auf der Frisia IV.

      Als heimatloses Osterei

      stelle ich auf Norderney

      die hoffnungsvollste aller Fragen:

      Willst du mich nach Hause tragen?

       Obenrum runtergekommen

      Der Personenkreis, bei dem ich mir einigermaßen sicher bin, wenigstens ungefähr zu wissen, mit welchen Vorstellungen, Erwartungen und Hoffnungen er durchs Dasein strunkelt, ist sehr überschaubar. Doch selbst von dieser kleinen Gesellschaft würde ich mich derzeit nicht zum Vorstandssprecher ernennen lassen. Bedenkenlos könnte ich nur verkünden, dass in einer guten und gerechten Welt selbstverständlich immer »wir«, also »nur der BVB«, Deutscher Fußballmeister sein muss. Für allgemeingültige Aussagen zu Themen von vergleichbarer gesellschaftlicher Re­le­vanz fehlt mir momentan die Traute.

      Ein vollmundiges »wir« kann ich also guten Gewissens nicht anbieten. Dazu mangelt es mir zu sehr an Selbstgewissheit. Der inter­ne Diskus­sionsbedarf ist groß, von einer klaren Beschluss­lage kann nicht die Rede sein. Es scheint mir, dass mein Koordinatensystem gehörig aus den Fugen geraten ist. Ich will mich nicht verallgemeinern, doch wenn mich nicht alles täuscht,

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