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hinreichend eingeschüchterten oder hinlänglich aufgepeitschten Gästen zusetzte, als gelte es, die Abschaffung standrechtlicher Erschießungen medial zu kompensieren, bleibt bis heute unübertroffen. Der Heiße Stuhl, wahrscheinlich lediglich vorläufiger Höhepunkt des dauerhaft zu etablierenden Formats der combat talk show, mußte scheitern, um aufzuerstehen – dort, wo die Schlafmützigkeit augenscheinlich ihren angestammten Ort hat, im DSF, bei Offensiv! Streit live.

      Kein Fernsehkritiker dürfe seine Gegner jemals kennenlernen, befiehlt ein ungeschriebenes Gesetz. Trotzdem ging ich auch da hin. Mitnichten würden jedoch einige zentrale Thesen aus Wieder keine Anspielstation diskutiert, hieß es während einer offenbar unentbehrlichen strategischen Vorbesprechung, hier solle, au contraire, dazwischengefunkt und möglichst spektakulär der Widerpart in die Zange genommen und sowieso Stammtischniveau erreicht werden, denn das Motto der Sendung vom 21. Mai 1996 lautete ja zweifelsfrei: »Stoppt die Schönfärberei!«, eine These, der ich zustimmte und die ich zu vertreten gedachte. War ich eigentlich noch zu retten?

      Daß in Offensiv! Streit live ein Wort das nächste gibt, hätte ich dann schließlich genauso wissen können. Einer tritt, siehe Der Heiße Stuhl, gegen viere an, einer war ich. Der ehemalige Wrestling-Hallenshouter Oliver Dütschke briefte mich vor dem Startschuß, als gehe es um Leben und Tod, der Rest spielte sich ab, wie es die Gepflogenheiten des rasanten Talks verlangen. Einen Dummkopf rufe man den, der hinterher Klage führt.

      Wenigstens opponierten mir zwei Fernsehprofis, die nicht die verlogensten sind: neuerlich Jörg Dahlmann und Ulli Potofski. Sie gaben weder die »Anwälte des Zuschauers«, noch fuhren sie mir, dem die Rolle des einsamen Krakeelers und Arschgesichts zukam, übertrieben forsch an den Karren. Ich teilte freilich ganz gut aus. Allerdings reichen immer zwei, um einem das Leben in der Talkshow zu versauen. Läßt man sich von Jörg Dahlmann die eigenen Redebeiträge durchaus als »hochgradigen Schwachsinn« einstufen und Ulli Potofskis Plädoyers für einen »menschlichen Umgang« mit Beckmann und Wontorra friedfertig passieren, so kläfften DSF-Programmdirektor Kai Blasberg und die kokette Elisabeth Volkmann, bis Verzweiflung zu obsiegen schien. »Sie haben noch nichts Substantielles gesagt«, urteilte Herr Blasberg nach acht Minuten, Frau Volkmann ergänzte: »Konstruktive Kritik bitte, Herr Roth! Das ist ja wie bei der SPD, die kritisiert auch immer, hat aber keine Alternativvorschläge.« Denn höre, Herr Blasberg wußte dito dies: »Das ist ja in der deutschen Linken wohl gang und gäbe – immer alles miesmachen wollen!« Da waren sie eins, da waren sie Bruder und Schwester.

      Wie bei der SPD fühlte ich mich mittlerweile tatsächlich, nur: Was hatte ich eigentlich gesagt? Daß Fußball im ran-Format nicht mehr genießbar, daß die Kommentatorenkunst auf den Hund … – »Der Professor Adorno in Frankfurt«, fiel mir ein, »hat immer …«, doch Blasberg war erneut schneller und hielt einem, den er, verstünde es sein taubes Publikumsvolk, am liebsten Wiesengrund rufen würde, posthum zugute: »Ja, ja, der mußte kommen, der mußte kommen.«

      Irgendwann blökte ich, schändlich der Stallorder gehorchend, identisch retour, bloß der unerwartet fair und mit Fingerspitzengefühl für heikle Gesprächsmomente agierende Moderator Kai Stecker konnte mich vor rabiat unbedachten Äußerungen bewahren. Schließlich sprang mir der TED bei, weshalb, das weiß der Kuckuck. Mit glatter Zweidrittelmehrheit siegte ich bundesweit und bis nach Österreich hinein. »Der Fußball leidet unter der Show«, und ich belobigte mich insgeheim, den Höllenkreis, der Talkshow heißt, glimpflich durchschritten zu haben.

      Gelegenheit fand ich, während die Diskursschlacht tobte, immerhin, darüber zu sinnieren, wieso meine Kontrahenten an pfeilförmigen Tischen aufgereiht worden waren, ich aber hinter einem runden Pult stand.

      Man fragt sich so was. Und übrigens: Das Catering ist nicht übel.

      Wenn ich mich nicht täusche, sind dieser Tage auf bundesdeutschen Straßen mehr Engländer denn je unterwegs. Sie begegnen mir dutzend-, beinahe hundertfach, ob in Krefeld oder in Frankfurt am Main. Nur in Eschwege nicht, wohin es die Herren Gsella, Schiffner, Sonneborn und mich verschlug, um während des Open-Flair-Festivals die EM-Begegnung Rußland – Deutschland vor einem erlesenen, satiregeschulten Publikum live zu kommentieren und simultan zu deuten.

      Wir hatten uns durch nächtelanges Studium einschlägiger Gazetten die erforderlichen Hintergrundinformationen (Sexaffären, Harnsäurewerte) beschafft, eine feine Dialogregie entworfen und gewagte Witzstafetten geprobt. Z. B. wollten wir die russischen Spieler mit Namen wie Oblomow, Gontscharow, Majakowski und Müller belegen, und vor dem Spiel fiel mir noch ein, daß der Ball durch den berühmten russischen Kreisel »wie am Kanonenschnürchen« rolle, während Herr Sonneborn die schlechte deutsche Bilanz gegen Rußland dahingehend zu erklären gedachte, daß Stalingrad doppelt gezählt werde.

      Alles schien sehr schön ausgedacht, die Crew schien bester Laune zu sein. Teilweise magenverstimmt (Gsella, ich) enterten wir um fünf vor vier die Bühne des mit dreihundert Mann vollbesetzten Bierzeltes, manch ein versonnen schmunzelnder Hippie und friedvolle Menschen ließen die Innentemperatur auf 53 Grad Celsius ansteigen. Jubel brach aus, als Schiffner zum ersten-, zum zweitenmal den linken Läufer Ziege »Pickel-Ziege« nannte. Und als Herr Gsella über Pickel-Zieges platzende Ekzeme zu dozieren begann, erklangen starke Gunstbezeugungen: »Werdet ihr dafür bezahlt?« – »Wir wollen Rubenbauer!«

      Es waren keine Engländer und keine Russen, diese Menschen, die da saßen und Fußball sehen wollten, ab Minute fünfzehn aber nicht mehr uns. Nach einer halben Stunde bemängelte man, daß Gsella und ich während der lang und länger werdenden Sprechpausen rauchten, ich vernahm sogar einen Ausdruck (»Arschlöcher«), obschon wir konsequent die Russen lobten (»Trotzki, Stalin, prima gemacht!«) und das deutsche Team in schärfster Satirikermanier miesmachten (»Pickel-Ziege verzogen«).

      Ob wir zur zweiten Halbzeit überhaupt wieder raus sollten, fragten wir uns im Backstagebereich, Gsella aber stapfte tapfer voran und brillierte mit liebevollen Scherzen über nicht vorgesehene Igel auf dem Spielfeld, die in Arztkoffern verstaut würden. Das gutgelaunte Publikum jaulte und sang: »Maul halten!« Zehn Minuten vor Schluß sagten wir: »Wir halten jetzt mal das Maul.« Beifallssturm.

      Nach dem Abpfiff analysierten wir unsere rasante Performance bei Bier und Schnittchen, da stürmte der besoffene Quetschgitarrist einer Eschweger Provinzkapelle (Die Beds oder Die Bads) die Backstagezone, griff in eine auf dem Tisch stehende Obstschale und bewarf uns mit frischen Früchten. Seine Bierflasche sollte Sonneborn erschießen, wurde von ihm jedoch mit dem linken Hoden pariert. Schiffner erlitt mehrere Kiwitreffer, voll ins hämisch grinsende Satirikergesicht, und unter schmählichen Reden zog der schweinisch schnaubende Dorfgitarrero Gsella und mir Bananen über den Scheitel, sprang schließlich Sonneborn an und würgte ihn. Gott sei Dank hatte wenigstens Klinsmann zweimal getroffen, so war der Mensch allein.

      Der Himmel schickte einen Securityschrank. Er packte den Stier am Strunznacken und warf ihn hochkant vors Zelt. Wenige Augenblicke später, die »Szene« beruhigte sich leicht, merkte ich gerade noch rechtzeitig, wie ein Dolch häßlich ratschend durch die ledrige Plane stieß und schon an meinem Rücken spitzelte.

      Bevor wir alle hinterrücks niedergestreckt werden sollten, eskortierte uns die Wachmannschaft zum Pkw. Mit qualmenden Reifen fegten wir über das steinige Festivalgelände und entkamen in die Innenstadt.

      Beim Milchkaffee schüttelten wir uns den Schmutz, den Haß und das Gespött aus den lädierten Knochen. Gsellas Resümee: »Ich war selbst überrascht über meine gute Leistung.«

      Sicher, wir hatten eine Menge »Staub« aufgewirbelt. Trotzdem frage ich Sie: Hat das noch was mit Sport zu tun?

      »Deutsche«, zitierte die BamS vom 25. Juli 1997 Jörg »Wonti« Wontorra, »Deutsche« seien – trotz neunationaler Spaß- und Comedy-Culture – »viel zu ernst«. Und, ergänzte der ran-Kamerad auf den Gesellschaftsseiten, die einen Simulationsjournalisten frühester Stunde beim Biß in Evas Paradiesapfel zeigten, den ihm seine Gattin Ariane zwischen die Hauer geklemmt hatte: Man »trifft immer häufiger auf Leute, die gestreßt

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