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Großen der Wissenschaft, über die ja sonst nur gemunkelt wurde. »Wie glitzernde Gletscher auf zerklüfteten Felsen ...«. Nach diesem ganz besonders treffenden Vergleich versiegte der Redefluss für einen Moment und wirbelte wie ein Strudel gegen einen Deich.

      »Und wie höre ich mich an?«, fragte Cheevy ein paar Minuten später und hielt in der bardischen Totenklage inne, die er nur bei ganz speziellen Gelegenheiten zum Besten gab. Er war nämlich gerade dabei, sein umwerfendes dreiteiliges Eröffnungs-Statement einzuüben, das er auf dem Symposium zum Tod der Beat-Generation vortragen würde. Ehrlich gesagt war er eigentlich so von sich überzeugt, dass er sich eine derartige Frage wirklich schenken konnte — schließlich hatte er sich nicht umsonst unzählige Stunden abgerackert, ins Tonbandgerät gebrummelt und dabei unmerklich seine Stimme so trainiert, dass er sie nach Belieben verändern konnte. Er schaffte es jetzt schon, seine Sprechstimme, die normalerweise als näselndes Gewimmer zu bezeichnen wäre, auf Kommando in einen wirklich wahnwitzigen russisch-orthodoxen Kirchenchor-Bass zu verwandeln, und wenn er ganz besonders gut drauf war, in ein tiefkehliges Summen. Ein paar Jahre später musste die NBC ein ziemlich dickes Bündel Scheine dafür hinblättern, dass er ihnen ihre Dokumentarberichte über das wilde Leben der Schakale sprach. Cheevys Kritiker allerdings hielten seine Versuche, sich mit Mel Torme zu messen, bloß für albernes Shakespear’sches Getue — ihrer Meinung nach riss er ganz einfach sein Maul ein bisschen zu weit auf.

      Unvermittelt brach jetzt die Tormesche Sturzflut ab. »Eigentlich bin ich ja ganz froh, dass diese Macker endlich tot sind — diese hirnrissigen Stinkstiefel — diese kleinen Möchtegern-Rimbauds ...« — »Tot ist natürlich nur symbolisch gemeint, ist doch klar«, fügte er schnell hinzu, als er das leicht verwirrte Gesicht seiner Frau bemerkte, und dabei raffte er sich sogar zu einem breiten Grinsen auf.

       III

      Doris L. Malek, verantwortlich für die Fiction-Abteilung von Schlips & Kragen, Das Magazin für den Herren, verbrachte den Tag vor dem Symposium in ihrem kleinen Büro und ackerte sich durch zweihundertfünfundsiebzig Kurzgeschichten. Ein Gutes hatte es ja: Wenigstens brauchte sie sich heute nicht um den schwankenden, fast zwanzig Zentimeter hohen Stoß von zerknitterten Gedichten und anonymen Briefen zu scheren, der sich während der vergangenen Woche auf ihrem Schreibtisch angesammelt hatte.

      Ab und zu schauderte sie zusammen, schüttelte den Kopf oder pfiff abfällig durch die Zähne — tss tss tss! »Ist denn das die Möglichkeit«, dachte sie verächtlich, »in dieser ganzen Sammlung verschleierter erotischer Fantasien kommt nicht mal ein einziger geiler Höhepunkt vor — gottverdammte Angsthasen!«

       IV

      Die übrigen Diskussionsteilnehmer zerbrachen sich die Köpfe, warum wohl die Banane krumm sei.

      Warner Cleftine befand sich am späten Nachmittag auf einer Party des Living Theatre. Blöderweise schien es völlig unmöglich zu sein, an Judith Malina ranzukommen. Es war also auch zwecklos zu versuchen, ihr mit seiner außerordentlichen Intelligenz zu imponieren — oder, besser gesagt, mit dieser faszinierenden Mischung aus Geilheit, Witz, Scharfsinn und Wichtigtuerei, die er sich für sie ausgedacht hatte.

       V

      Mal kopfschüttelnd, mal starr vor Schreck überflogen sie die druckfrische Ankündigung mit den diversen Themen für das Symposium, die soeben mit der morgendlichen Post gekommen war. Ganz unten am Rand des Programms hatte jemand einen Gruß hingekritzelt und sie zum Auftakt der Feier zu einer Cocktailparty im Club der Fakultät eingeladen.

      Andere hätten sich wer weiß was darauf eingebildet, zu den wenigen Auserwählten zu gehören, die einer solchen Einladung für würdig befunden worden waren — nicht aber Ron und Al. Beide versteinerten, ihre Gesichter wurden kreidebleich und in ihren Köpfen überschlugen sich die Gedanken. Ron presste vor Wut Ober- und Unterkiefer aufeinander und knirschte mit den Zähnen, bis die Wurzeln knackten.

      »Das kann doch nicht ihr Ernst sein!«, flüsterte Al schließlich.

      »Und ob das ihr Ernst ist!«, meinte Ron.

      »Diese blöden Punks! Die scheinen es ja ganz schön eilig zu haben, die Sache endgültig unter die Erde zu bringen. Das bedeutendste literarische Ereignis, seit Pound nach Venedig abdampfte, und die können’s gar nicht abwarten, das Ende an die große Glocke zu hängen!«

      Rons Gesicht hatte sich vor Wut knallrot verfärbt. Er konnte sich kaum noch beherrschen. »Ich habe fast den Eindruck«, sagte er dann plötzlich langsam und fast feierlich, »dass es angebracht ist, einen kleinen praktischen Test des Unternehmens Kartoffelsalat steigen zu lassen ...«. Worauf sie beide gleichzeitig in ein hämisches Gekicher ausbrachen, das dem Glöckner von Notre-Dame alle Ehre gemacht hätte.

      Kurze Zeit später standen Al und Ron über die Glastheke von Smiler’s Deli am Sheridan Square gebeugt und kämpften mit der Qual der Wahl. Sollten sie nun zwei Pfund von dem öligen deutschen Kartoffelsalat nehmen oder doch lieber die andere Sorte, die mit der vielen Mayonnaise?

      Am Ende entschieden sie sich für die weiße glitschige Pampe, und zwar erstens wegen ihrer fotogenen Qualitäten, zweitens wegen ihrer vorzüglichen Gleitfähigkeit und drittens, weil sie wussten, dass dieses Zeug garantiert auf der Haut festpappte. In Gedanken versunken streichelte Al zärtlich die weiße Pappschachtel mit dem Drahthenkel unter seinem Arm. Ron besorgte inzwischen die Plastikteller.

      Ein paar Minuten später trainierten sie in Rons Apartment, volle Salatteller gegen eine Büste von Homer zu schleudern.

       VI

      Es war ein bitterkalter Winterabend. Der Wind draußen machte sie fast genauso high wie die Amylnitrit-Kapseln, die sie sich im Taxi verstohlen in die Nase gepoppt hatten.

       VII

      In der Lobby der Furie Hall hatte der Crabhorne Bookshop eine kleine, aber außerordentlich interessante Ausstellung mit Büchern der Beat-Generation vorbereitet. Ein überpinselter Ace-Books-Ständer aus Metall war von oben bis unten mit Werken wie The Beat Scene, Casebooks on the Beats und Howl vollgestopft; dazu kamen diverse City Lights Pocket Poets, verschiedene Ausgaben von Beatitude, Semina, Black Mountain Review, zahlreiche Publikationen aus der Jargon Press, einzelne Nummern von Kulchur, Yugen, The Shriek of Revolution, Marx-Ra, Gone Muh-Fu Gone und unzählige Heftchen und vervielfältigte Gedichte der Bewegung.

      Gleich daneben stand eine Staffelei, auf der ein eleganter, mit Samt ausgeschlagener Glaskasten zur Schau gestellt war. Darin befand sich, sauber aufgereiht, eine Sammlung von Absagebriefen verschiedener Verlage. Fest davon überzeugt, dass die Literaturgeschichte ihnen eines Tages recht geben würde, hatten diese Banausen insgesamt zwölf Mal das Manuskript von On the Road abgelehnt. Das Ganze war ein bisschen irritierend und mit den dreihundertfünfzig Dollar, die die Sammlung inklusive Glaskasten bringen sollte, hatte Crabhorne offensichtlich ein paar Nummern zu hoch gegriffen.

      Eine Abteilung war für »Manuskripte des Himmels« reserviert. (Tatsächlich hätte sie mit ihrem lächerlichen Zeltdach glatt als Kirmesbude durchgehen können.) Hier durften die Besucher — unter strenger Aufsicht, versteht sich — die Originalmanuskripte von Edward Dahlbergs Garment of Ra bestaunen, Ginsbergs Sunflower Sutra, Corsos Vestal Lady, eine wunderschöne Reed-College-Kalligraphie des frühen Phil Whalen und die eher deplatziert wirkende Korrespondenz zwischen Autoren und Verleger, komplett mit Anmerkungen und Kommentaren zur Veröffentlichung von The Beat Generation and the Angry Young Men.

      Der Buchhändler hatte keine ruhige Minute. Wenn er seine Bücherstapel zurechtrückte, ließ er gleichzeitig, wie eine versteckte Kamera im Supermarkt, seine Augen nach rechts und links schweifen — immer auf der Lauer nach potenziellen Bibliokleptomanen oder, auf gut deutsch, Bücherklauern. Sein Herz

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