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der wie Stanniolpapier nachgebenden Stahlplatten, das Knirschen der Eisenträger, das wie Hammerschläge dröhnende Aufspringen der kindskopfgroßen Nieten der Außenhautplatten, nicht das Wimmern der zerknüllten Spanten und Wrangen im Bug, das knarrende Holz, das Zersplittern der Glaskuppel überm A-Deck-Foyer, nicht das Gurgeln und Rauschen der in die beiden vorderen Rumpfkammern einschießenden Wasserfontänen, nein, das Erschütternde war die Stille nach dem Knall. Als das Schiff stand und auf den Eisfels starrte. Diese brüllende Stille.

      Mit einem Schlag liegt der Titanic-Traum in Trümmern, ist zum Trauma geworden.

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       2

      Keine große Kunst, sich auszumalen, wie‘s da unten zuging, im Salon der verlorenen Seelen. Wo sich zu nachmitternächtlicher Stunde immer ein paar versprengte Figuren einfanden, die an Schlafstörungen litten. Nichts schöner, als sich dort ab und zu an einen abgelegenen Ecktisch zu pflanzen und diesen seltsamen Vögeln beim Zwitschern zuzuhören. Schade, dass ich in der vergangenen Nacht Wache auf der Brücke hatte. Aber, wie gesagt, ich kann‘s mir lebhaft ausmalen, wie sich da unten das übliche harmlos-ahnungslose Geplänkel angelassen hatte. Da, mitten drin im Pott, wo man vom Wellengang selbst dann nichts hört, wenn‘s nicht so mucksmäuschenstill zugeht wie letzte Nacht. Mit Sicherheit einer der sichersten Punkte auf dem ganzen Dampfer, oder besser gesagt: einer der Punkte, wo man sich am sichersten fühlt. Eben: mittendrin. Und stabil. Denn da ist wahrhaftig die Mitte. Konnten die Konstrukteure der Harland & Wolff-Werft natürlich nicht ahnen, dass dorthin, nur ein paar Meter vom Massenschwerpunkt entfernt, wo man den Seegang deshalb so wenig spürt, weil hier der Mittelpunkt der Achse ist, über die sich das Schiff dreht, wenn‘s hoch hergeht, dass also die Nachteulen dorthin, ausgerechnet in die Messe für Butler und Zofen retirieren würden. Direkt überm Speisesaal der ersten Klasse. Und konnten noch weniger ahnen, dass diese graugesichtigen, tränensackbeladenen Gestalten sich regelmäßig erdreisten würden, den vorderen Teil der Butlermesse in einen Rauchsalon für späte, für sehr späte Stunden umzumodeln.

      »Hier, wo selbst das Motorengeräusch so verhalten ist, dass man beim besten Willen nicht auf die Idee kommt, man könnte mitten im Atlantik sitzen«, wie diese Brünette jeden zweiten Abend zu sagen pflegt, die attraktive Mittoder meinetwegen Endzwanzigerin, die sich während der fünf Tage, die die Reise bis zum großen Schlag währte, keine Nacht vor vier Uhr in ihre Kajüte zurückzieht. Trotz ihres jugendlichen Alters aber sieht sie jetzt – in der Nacht danach – mit einem Mal so unglaublich schal aus, so blutleer, irgendwie erheblich älter. Falbe, welke Haut. Lichtleere Haut. Ein schattenloses Gesicht ohne jede Kontur. Bei allen Figuren übrigens hier in diesem Panoptikum! Einfach nur eigenartig. So, dass ich auf keinen Fall hinsehn will, aber ich kriege den Blick nicht losgeeist.

      »Aayyyh! Bringen Sie das grässliche Tier zur Strecke!«, schreit die Schöne mir plötzlich ins Ohr! Wie, in drei Teufels Namen, kommt ihr Schrei hierher zu mir in die Haftkabine? Was will die mir sagen? Wieso ist die mit einem Mal vollkommen nüchtern?! Und diese Stimme! Die Stimme hört sich an, als wäre ihr Kehlkopf mindestens hundertzwanzig Jahre alt.

      Der Steward baut sich an ihrem Tisch auf, um ihren spitzen Schrei mit dem Bassbaritonbrustton der Überzeugung zu parieren: »Sie befinden sich hier an Bord eines Luxus-Restdampfers. In unserm Laboratorium gibt‘s keine ...«

      Während die Hübsche gar nicht daran denkt, ihm zuzuhören, sondern vom Stuhl hochschnellt und durch die Gegend kreischt: »Da vorne, unter die Anrichte gehuscht, das Vieh, hat eine, seltsam, eine Hutnadel, größer als es selbst, hinter sich hergezerrt. Tun Sie, machen Sie was!«

      »Wir befinden uns hier an die zweitausend Meter unter der Meeresoberfläche, Lady. Und ich darf Sie daran erinnern, wir haben uns seinerzeit vor, ich weiß es nicht, vielleicht hundert Jahren auf der Jungfernfahrt befunden, und innerhalb der hundert Stunden, die diese währte, bevor … nun, wir haben ja vereinbart, das kleine Malheur nicht mehr beim Namen zu nennen, jedenfalls innerhalb so kurzer Frist nisten sich keine Tiere, auch nicht so wollige drollige, im guten Salon ein.« Der Steward unterbricht seine Expertise kurz, ganz kurz, um den Kragen seines Livrees zurechtzuzupfen und sich bei der Gelegenheit mit flatternden Fingern ein paar aufdringliche Schuppen von der Schulter zu wedeln. »Und sollte tatsächlich eine Maus zwischen den Mehlsäcken an Bord gelangt sein, so dauert‘s eine halbe Ewigkeit, bis das Geschöpf aus den Vorratskammern, die sich bekanntlich ganz hinten im Heck befinden, bis hier rübergewandert ist. Aber, schöne Lady, bis zum Verstreichen dieser halben Ewigkeit waren die Heckräume längst feucht geworden, komplett geflutet. Und schließlich weggebrochen. Hier gibt‘s keine Tiere!«

      »Aber Mäuse«, zischt die verdammt, verdammt gut aussehende Brünette, bei der man eigentlich so eine gestelzte Empfindlichkeit gegenüber Kleinnagern gar nicht vermutet hätte.

      Russel, der hagere Bestatter, der drüben auf der anderen Seite des großen Teichs nicht nur seine kärglichen Verhältnisse abschütteln, sondern auch die Profession wechseln und endgültig zum Lyra-Virtuosen und rechtmäßigen Nachfolger des himmlischen Hermes mutieren will, dieser Russel also gibt eines seiner selbstgestrickten Meisterwerke moderner Lyrik zum Besten:

      »die Toten die Untoten fressen

      die schwarzen Wellen

       der sieben Weltmeere

       spiegelglatt«

      Mme Godot wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel, während Heizer Hart sich auf die Lippen beißt, um nicht loszuprusten, und der Bordanimateur namens Batman sein Fledermauslachen frank und frei durch die betretene Stille gackert. Indes die junge Schönheit mit dem alten Gesicht und der uralten Stimme bleibt – lyrische Höhen hin, atlantische Tiefen her – bei ihren irdischen Problemen: »Eine Maus! Hab‘ ich mit meinen ureigenen Augen gesehn!«

      Aha, verdammt, jetzt – so ganz langsam – kapiere ich, das sind meine eigenen Gespinstgespenster, die mich da in der wasseraufgeweichten Hand haben. Die Hirnwindungen verknäulen sich, Lug und Trug, wilde Schimären gehn mit mir durch! Die rauben mir das Zeitgefühl, lassen alles anfangen zu schwimmen, zerreißen mir die Klarheit des Nautikerbewusstseins, lassen‘s zerfasern, ausfransen und schicken immer wieder irgendwelche ungerufenen Bilder daher. Lassen von jetzt auf gleich alle Farben wegtauchen, alles in Hell und Dunkel, Licht und Schatten sich verwandeln. Lassen die Figuren so eigenwillig schwammige, wellenförmige Bewegungen vollführen, und erwecken in meinem Schädel bei jedem Wort, das diese Untoten da unten über die Lippen stoßen, den Eindruck, als stiegen blubbernde Luftblasen auf.

      Wie‘s aussieht, spielen meine Traum- und Trugbilder hundert Jahre danach und gehen einfach mal eben davon aus, dass der Kahn in der Nacht der Nächte denn doch abgesoffen ist. Wahrscheinlich weil ich Idiot dem Eisberg doch ausgewichen bin, besser: versucht hab, ihm auszuweichen, worauf aber das Saustück uns die Steuerbordseite aufgeschlitzt hat. Völlig anderes Szenario: Der Stoff, aus dem die Alpträume sind. Touché! Stahl schrammt über Eis, ein Geräusch wie klirrende Ketten, die Außenhautnieten fitschen weg, als wären‘s Büroklammern, schäumende grüne Wasser strömen hektoliterweise ein.

      Während man auf dem Luxusdeck zunächst mal nur ein leises Klirren der Kristallgläser wahrnimmt und einen Lufthauch, als gaukle ein schwarzer Engel durch den Salon. Ein, zwei Stunden später sind schätzungsweise die Hälfte der Passagiere und die Hälfte der Crew tot. Vielleicht. Womöglich gibt‘s auch bloß neun- oder sogar nur achthundert Gerettete. Obwohl, selbst das nur dann, wenn wir mal davon ausgehen, dass die Rettungsboote rechtzeitig zu Wasser gelassen werden und das Manöver diszipliniert vonstatten geht.

      Und, um in diesem Fantasiegemälde zu bleiben, nur zwei, drei Rumpfkammern mittschiffs – glorioserweise samt Kessel und Notstromaggregat – sind nicht geflutet worden. Darinnen eine Hand voll Menschlein, die nicht in Panik an Deck gestrauchelt sind, sondern tumb oder willig oder beides ihr Schicksal entgegengenommen und sich in den Tiefen des Salons der Nachtschattengewächse verschanzt haben. Und also ihre bizarre Vorstellung hegen und pflegen, der Kahn sei abgenippelt und auseinandergebrochen. Ein Drittel davon dümple nun mit seinen paar wenigen luft- und wasserdichten Räumen in den Tiefen des Atlantiks einher und sei auch nach diesem elend langsam verstrichenen Jahrhundert noch nicht zur Ruhe gekommen. Wie eine Art U-Boot ohne Antrieb. Von dem eingeschlossenen

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