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hierhergezogen. Und nun wird Evi also doch bei ihrem Vater …«

      »O nein!«, wehrte Betti erschrocken ab. »Es soll nur ein kurzer Besuch sein. Ich nehme Evi wieder mit.«

      »Ein paar Tage werden Sie aber doch bleiben. Anna wird Ihnen gleich ein Zimmer richten. Ich werde Sie zuerst mit meiner Frau bekannt machen und dann … Sie dürfen sich nicht einschüchtern lassen – von Erich, meine ich.«

      Diese Worte trugen nicht dazu bei, Betti zu ermutigen. Sie begann die Begegnung mit Erich Gleisner nun ernsthaft zu fürchten.

      Evi war während des kurzen Wortwechsels durch den Garten gelaufen. An manches konnte sie sich noch erinnern, anderes war ihr fremd.

      »Wo sind denn die Sträucher mit den roten Beeren, die so gut schmeckten? Sind sie noch nicht reif?«, fragte sie.

      »Ach, du meinst die Johannisbeerstauden. Die hat meine Frau weggegeben und dafür Blumen angepflanzt«, erwiderte der Förster.

      Evi war enttäuscht. Als der Förster nach seiner Frau rief und diese herbeigeeilt kam, fragte Evi vorwurfsvoll: »Warum hast du die guten Beeren ausgerissen?«

      »Evi!« Betti war entsetzt. Sonst war die Kleine immer so höflich, und ausgerechnet jetzt …

      »Erst einmal grüßt man«, mahnte sie.

      Evi machte einen unbeholfenen Knicks und wiederholte ihre Frage.

      »Ach, Kind!« Die Frau des Försters bückte sich und strich Evi über die dunklen Locken. Sie war eine freundliche ältere Dame mit aschblondem Haar und Lachfältchen um die hellen Augen.

      »Ich habe doch nicht gewusst, dass du kommst.«

      »Wir sind auch nicht zu den Johannisbeeren, sondern zu deinem Vater gekommen«, meinte Betti.

      Daraufhin verlangte Evi sofort ihren Vater zu sehen.

      »Gleich«, meinte Frau Haslinger. »Zuerst möchte ich dir und deiner neuen Mutti euer Zimmer zeigen.«

      Evi fügte sich, während Betti sich fragte, warum Frau Haslinger das Zusammentreffen des Kindes mit seinem Vater hinausschob. Doch sie wurde gleich darüber aufgeklärt.

      »Es ist so schwierig«, flüsterte Frau Haslinger Betti zu, während sie sie in den ersten Stock führte und die Tür zu einem hübsch eingerichteten Fremdenzimmer aufschloss. »Herr Gleisner ist so schwer zu behandeln. Ich werde ihn darauf vorbereiten, dass Sie mit dem Kind gekommen sind, aber …«

      Was Betti sich schon hundertmal im Stillen vorgeworfen hatte, sprach sie nun laut aus: »Ich hätte doch vorher schreiben sollen.«

      »Nein. So ist es besser«, meinte Frau Haslinger. »Sonst hätte er womöglich Ihren Besuch von vornherein abgelehnt.«

      »Oh!« Mehr brachte Betti nicht heraus.

      »Sie müssen bedenken, dass er ein verbitterter und kranker Mann ist«, bemerkte Frau Haslinger. Leise fügte sie hinzu: »Ich werde Ihnen später alles erzählen.« Dann ging sie, um Herrn Gleisner mitzuteilen, dass seine Tochter zu Besuch gekommen sei.

      Betti begann damit, den Koffer und die Reisetasche auszuräumen und die Sachen in den Schrank zu legen.

      Wenig später kehrte Frau Haslinger zurück. Sie schien bemüht, eine gewisse Aufregung niederzukämpfen. Ein wenig atemlos sagte sie zu Evi: »So, du kannst mitkommen. Dein Vati erwartet dich unten im Wohnzimmer.«

      »Betti muss auch mit«, verlangte Evi bestimmt.

      Betti zögerte, und Frau Haslinger meinte: »Freilich, kommen Sie nur, Frau …«

      »Alle sagen Betti zu meiner neuen Mutti«, warf Evi ein, und Betti nickte bestätigend. »Ja, ich bin das so gewohnt. Nennen Sie mich bitte auch so.«

      »Gern«, erwiderte Frau Haslinger.

      Evi sprang die Treppe hinunter, und Betti schickte sich an, ihr zu folgen, doch Frau Haslinger legte ihr die Hand auf den Arm und hielt sie zurück. »Verlieren Sie nicht die Geduld mit ihm, falls er unfreundlich sein sollte«, bat sie.

      Allmählich kamen Betti die Warnungen der Försterin übertrieben vor, doch bald sollte sie Gelegenheit haben, sie beherzigen zu müssen. Sie hatte Evi eingeholt und betrat zusammen mit Frau Haslinger knapp hinter dem Kind den Wohnraum.

      »Vati, mein liebster Vati!«, rief Evi und lief auf den Mann zu, der in einem großen Ohrenfauteuil neben dem Fenster saß. Sie kletterte auf seinen Schoß und umarmte und küsste ihn mit überschwänglicher Freude.

      Die Försterin räusperte sich. »Das ist Betti, Evis Pflegemutter«, stellte sie die Besucherin kurz vor.

      Ein abweisender Blick aus kühlen graublauen Augen traf Betti. Das Gesicht Erich Gleisners lag im Schatten. Trotzdem ließ sich unschwer seine Ähnlichkeit mit Evi erkennen. Früher musste er ein recht gut aussehender Mann gewesen sein mit seinen dichten dunklen Haaren, die schon von vereinzelten grauen Fäden durchzogen waren, und den regelmäßigen Gesichtszügen. Jetzt aber lagen um seinen Mund scharfe Falten, und seine ablehnende Miene zeigte keinerlei Bereitschaft, Betti willkommen zu heißen.

      Evi merkte von alldem nichts. Sie war überglücklich, bei ihrem Vati sein zu dürfen, und da sie ihn so lange nicht mehr gesehen hatte, sprudelten die Erlebnisse, die sie in der Zwischenzeit gehabt hatte, in kunterbuntem Durcheinander aus ihrem Mund hervor.

      Frau Haslinger bat Betti leise, Platz zu nehmen. Dann verließ sie den Raum.

      Betti saß nun auf einem unbequemen Stuhl mit harter gerader Lehne und wünschte sich meilenweit fort. Sie kam sich so überflüssig vor, wusste aber nicht, ob sie weggehen oder bleiben sollte.

      Gerade als sie aufstehen wollte, unterbrach Erich Gleisner den Redefluss seiner Tochter und sagte: »Sei einen Augenblick still. Du hast genug Zeit, mir alles der Reihe nach zu erzählen. Zuerst möchte ich deine Pflegemutter begrüßen.« Seine Stimme klang tief und angenehm, aber der Blick, den er Betti zuwarf, war alles andere als freundlich. »Ich freue mich über Ihren Besuch«, sagte er steif und wenig überzeugend. »Leider bin ich nicht in der Lage, aufzustehen und Ihnen die Hand zu geben.« Er deutete auf die Krücken, die neben seinem Fauteuil lehnten.

      Betti fühlte sich äußerst unbehaglich. Sie suchte krampfhaft nach ein paar passenden Worten, aber es fielen ihr keine ein. So schwieg sie, kam sich aber lächerlich und töricht vor.

      Evi benützte die eingetretene Stille, um unbekümmert mit ihrem Bericht fortzufahren. Betti hatte befürchtet, dass sie viel von ihrer Mutter sprechen und damit einen wunden Punkt bei ihrem Vater berühren würde, aber Evi erwähnte ihre Mutter und das Eisenbahnunglück nur kurz. Seit diesem schrecklichen Erlebnis, an das sie nicht mehr denken wollte, hatte sie so viel Schönes erlebt, dass sie ihrem Vati unbedingt davon berichten musste. So erzählte sie von den Kindern von Sophienlust, vom kleinen Peterle und vom Tierheim Waldi & Co.

      Im Zimmer wurde es langsam dunkel, doch Evi merkte es nicht. Erst als Frau Haslinger hereinkam und das Licht anknipste, sah sie blinzelnd auf und gähnte herzhaft.

      »Es ist schon spät«, sagte die Försterin. »Ich glaube, das Kind muss zu Bett gebracht werden.«

      »Ja.« Betti stand auf, um Evi in ihr Zimmer zu führen.

      »Nein, erst muss sie noch etwas essen. Ich werde gleich den Tisch decken«, sagte Frau Haslinger.

      Aber Evi war inzwischen so schläfrig geworden, dass sie keinen Appetit mehr hatte. Es fielen ihr bereits die Augen zu. Gehorsam ließ sie sich von Betti aus dem Zimmer führen und zu Bett bringen.

      Betti wäre am liebsten auch schon schlafen gegangen, doch da klopfte Frau Haslinger leise an die Tür und bat sie mit unterdrückter Stimme, zum Abendessen hinunterzukommen.

      Betti war zwar hungrig, aber da sie beim Essen neuerlich mit Herrn Gleisner zusammentreffen musste, hätte sie lieber darauf verzichtet.

      Die Mahlzeit verlief dann auch so ungemütlich, wie Betti befürchtet hatte. Frau Haslinger hatte sich mit dem Essen redlich bemüht und den Tisch liebevoll

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