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regulierten und sozial abgesicherten Arbeitsmärkten keinen Fuß mehr fassen, und jobben sich durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Dieses ökonomisch abgehängte und kulturell geächtete Prekariat leidet besonders unter den sozialen Folgen der Armut wie Fehlernährung, Drogenabhängigkeit, häuslicher Gewalt und Gewaltkriminalität. Aber auch die Löhne der Mittelschichten stehen unter Druck. Immer weiter frisst sich die Angst vor dem sozialen Abstieg durch die Gesellschaft. An der Spitze nimmt die Konzentration von Vermögen und Macht immer weiter zu. Am unteren Ende fallen immer mehr Menschen ins Prekariat. In Deutschland ist die soziale Ungleichheit so groß wie seit 100 Jahren nicht mehr14.

      Bis tief ins bürgerliche Lager hinein sind daher politische Entscheider bereit, die Selbstreinigungskräfte des Marktes zugunsten des Beschäftigungserhalts zu suspendieren. Aus ideologischen Gründen misstrauen die Ordoliberalen jedoch der direkten Intervention des Staates in den Markt. Die Rolle des Retters in der Not fällt daher den Zentralbanken zu.

      Als in der Finanzkrise 2008 der Infarkt im Herzen des globalen Kapitalismus drohte, begannen die Banken Geld zu drucken. Was ursprünglich als kurzfristige Rettungsmaßnahme gedacht war, hält bis heute an. Um den Bankrott gesunder Unternehmen zu verhindern und die wirtschaftliche Erholung zu ermöglichen, fluteten die Zentralbanken die Märkte in der Coronakrise 2020 wieder mit Liquidität.

      Was geschieht mit dem billigen Geld? An die Unternehmen kann es nicht weitergegeben werden, weil sich Schuldner mit schlechter Bonität nicht für Kredite qualifizieren. Und die Lektion der Subprime-Krise ist, es mit leichten Konsumentenkrediten nicht zu übertreiben. Also geben die Banken das billige Geld nicht weiter an die Realwirtschaft, sondern spekulieren damit in den Casinos der Finanzmärkte.

      Weil es kaum produktivitätsgetriebenes Wachstum gibt, bleibt Pensionskassen, Kleinanlegern und Investmentfonds kaum etwas anderes übrig, als in Vermögenswerte wie Immobilien, Aktien, Kunst oder Gold zu investieren. Ohne attraktive Anlagemöglichkeiten in der Realwirtschaft zirkulieren heute Beträge in Billionenhöhe um den Erdball. Besonders schädlich ist dieses Spekulationskapital auf den Immobilienmärkten. Stagnierende Löhne und explodierende Mieten nehmen Geld aus den Taschen der Konsumenten. Der Hamburger Wirtschaftssoziologe Aaron Sahr sieht in dieser Vermögenspreisinflation die eigentliche Ursache der rasant wachsenden sozialen Ungleichheit. Steigen die Vermögenswerte, profitieren nur die sehr wenigen, denen sie gehören, während die große Mehrheit von steigenden Mieten und Immobilienpreisen aus den attraktiven Wohnlagen verdrängt wird. Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer.

      Der Zombiekapitalismus verbindet das Schlechteste aus beiden Welten: Zocker befeuern mit Unmengen billigen Geldes die soziale Ungleichheit, während es Haushalten an Einkommen fehlt, um zu konsumieren. Genau hier liegt der Grund, warum sich die Wirtschaft trotz der lockeren Geldpolitik nicht erholt und die Bürger Europas unter hohen Mieten und Arbeitslosigkeit leiden. Das zur Rettung des Kapitalismus gedruckte Geld verschärft die Nachfragekrise, an der die Realwirtschaft krankt.

      Gibt es einen Ausweg aus dem Zombiekapitalismus aus wilder Spekulation, platzenden Blasen, teuren Rettungsaktionen und innovationsschwacher Wirtschaft? Die Ordoliberalen hoffen auf die Selbstreinigungskräfte des freien Marktes. In einer gesunden Volkswirtschaft könnte das Platzen von Blasen tatsächlich heilsame Wirkung entfalten. Schwache Unternehmen scheiden aus dem Markt aus, überschüssiges Kapital wird vernichtet, die gesunden Unternehmen werden profitabler, ein neuer Wachstumszyklus kann beginnen.

      Doch in einer politischen Ökonomie, in der acht Milliardäre mehr besitzen als die Hälfte der Menschheit, operieren die Märkte nicht nach wirtschaftlichen, sondern nach politischen Kriterien. Wenn die Einkommen der multinationalen Konzerne größer sind als die Nationaleinkommen von 85 Prozent der Staaten, wird die staatliche Regulierung des globalen Finanzkapitalismus zur Illusion. In einer derartig vermachteten politischen Ökonomie ist es nahezu unmöglich, die Bildung immer neuer Spekulationsblasen zu verhindern. Es ist also kein Zufall, dass der Kapitalismus in immer kürzeren Abständen von Finanzkrisen erschüttert wird.

      Warum aber ist dann die soziale Struktur der neoliberalen Gesellschaft so stabil? Wären sie wirklich die einzigen Gewinner, könnten die Multimilliardäre auf sich alleine gestellt den Verteilungsschlüssel wohl kaum aufrechterhalten. Und tatsächlich haben die Kapitaleliten Verbündete, die von der aktuellen Situation profitieren: Es sind die funktionalen Mittelschichten, die den Status quo absichern. In den Informations- und Wissensökonomien wächst die Rolle der kreativen und akademischen Klassen. Materiell profitieren nicht alle Kreativen und Akademiker von der neoliberalen Suspendierung der Verteilungsfrage. Ganz im Gegenteil: Immer mehr Wissenschaftler, Journalisten, Künstler oder Freelancer leben in materiell prekären Verhältnissen. Dank ihres hohen kulturellen Kapitals (Pierre Bourdieu) erfahren die funktionalen Mittelschichten dennoch Anerkennung als Mitglieder der »guten Gesellschaft«.

      Die Allianz mit den funktionalen Mittelschichten hat den inoffiziellen neoliberalen Gesellschaftsvertrag zumindest zeitweise verändert. Stand zu Beginn noch die autoritäre Durchsetzung der Kapitalinteressen im Vordergrund, werden im progressiven Neoliberalismus die kulturellen Forderungen der kosmopolitischen15 Bündnispartner berücksichtigt. Der Preis für die Ausblendung materieller Verteilungsfragen ist die kulturelle Anerkennung bisher marginalisierter Gruppen. Auf der Ebene der symbolischen Anerkennung haben daher die Kämpfe um die Gleichberechtigung von Frauen beziehungsweise die Inklusion der sexuellen, ethnischen und religiösen Minderheiten Fortschritte erzielt. An der wirtschaftlichen Benachteiligung dieser Gruppen hat sich allerdings, mit Ausnahme der LGBTQ-Gemeinschaft, wenig geändert. Ob diese kulturellen Fortschritte die harten Verteilungskämpfe um die Kosten der Coronakrise überdauern werden, ist offen. Denn unter dem rechtspopulistischen Banner steht mit den alten Mittelklassen bereits ein alternativer Bündnispartner für einen autoritären Neoliberalismus bereit. Wie sich in Polen und Ungarn zeigt, wären in dieser Konstellation die emanzipatorischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte gefährdet.

      Kapitel 7

      Wer zahlt die Zeche für die Krise?

      Die Coronakrise hat in Europa eine Rezession ausgelöst. Die deutsche Wirtschaft wuchs zwar im Sommer wieder kräftig, die darauffolgende Verschärfung der Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens belastete die Konjunktur aber erneut. Im Süden Europas waren die wirtschaftlichen Folgen verheerender. Die Hoffnungen, das Wachstum werde nach einem kurzen, scharfen Einbruch schnell zurückkehren (V-Verlauf), sind in Südeuropa mittlerweile zerstoben. Nun muss alles darangesetzt werden, eine jahrzehntelange Phase säkularer Stagnation mit unkalkulierbaren Folgen für die Demokratie und den sozialen Frieden zu verhindern.

      Über das Management der unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise bestand noch ein breiter Konsens. Die global vernetzten Märkte des Finanzkapitalismus gleichen einem Kartenhaus. Bricht es an einer Stelle ein, laufen die Schockwellen durch alle Systeme und können ganze Volkswirtschaften in den Ruin treiben. Aus der Großen Depression der 1930er-Jahre, aber auch aus dem Kollaps der Lehman Brothers Investmentbank 2008 haben wir gelernt, dass die Selbstreinigungskräfte des Marktes nicht ausreichen, um mit einer Schuldenwelle fertig zu werden, die Banken, Pensionskassen und Unternehmen in den Abgrund reißt. Kurzfristig gibt es also tatsächlich kaum eine andere Lösung, als diese Schulden in die Rechnungsbücher der Staaten zu überschreiben16.

      Doch wie geht es weiter, wenn die unmittelbare Krise überwunden ist, die Volkswirtschaften aber weiter im Loch aus Niedrigzinsen, Investitionsstau und Konsumschwäche hängen? Wie das gelingen kann und welche Rolle die Geld- und Finanzpolitik dabei spielen sollten, ist umstritten. Sollte der Staat auch mittelfristig die Nachfrage stärken? Darf die Europäische Zentralbank (EZB) weiter Anleihen kaufen?

      Die staatlichen Rettungspakete für die Realwirtschaften waren teuer. Allein das deutsche Konjunkturpaket kostete etwa 130 Milliarden Euro; zählt man die zusätzlichen Ausgaben, Hilfen und Stundungen hinzu, die den Haushalt belasten, liegt die Summe mehr als doppelt so hoch17. Der Einbruch der Wirtschaftstätigkeit dürfte zudem erhebliche Steuerausfälle zur Folge haben. Die Übernahme der Schulden des Privatsektors erhöht den Verschuldungsstand mancher europäischer Staaten um bis zu 20 Prozent ihres Bruttoinlandproduktes. Die Eurokrise lehrt uns, dass diese Schulden

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