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hatte gleich fünfzig Buchverlage vorzuweisen. Frankreich dagegen war nicht für seine Offenheit bekannt, erließ man doch zur damaligen Zeit ein Gesetz, das besagte, dass die Schulphilosophie des Aristoteles nicht kritisiert werden dürfe. Aber genau das hatte Descartes vor. Er zog nach Holland und lebte dort an zahlreichen Orten: in Egmond, in Leiden, in Deventer, in Liewarden, in Amersfort, in Endegest, in Harderwic, in Amsterdam und an noch anderen Plätzen. Zum einen wollte er, dass niemand wusste, wo er sich aufhalte, denn er fürchtete die zahlreichen Besuche von Freunden und von Leuten, die sich seine Freunde nannten, ohne es zu sein. Seine Absicht war, sich nur seinen Studien zu widmen. (Dass ihm das nicht ganz gelang, dokumentiert eine 1635 geborene Tochter, Francine, die er mit seiner Magd Helena Jans gezeugt hatte. Francine starb 1640). Wer ihm schreiben wollte, musste den Brief an Mersenne in Paris richten, der als einziger wusste, wo Descartes gerade war; dieser leitete das Schreiben an Descartes weiter. Ruhe für das Nachdenken zu haben war natürlich nur ein Aspekt bei seiner Entscheidung, so unstet von Ort zu Ort zu ziehen. Das machte ihn für eventuelle Nachstellungen von Gegnern seines Denkens ungreifbarer und gab dem Philosophen etwas Geheimnisvolles. Vielleicht mögen ihn auch die Neugründung zweier Universitäten, in Leiden und in Utrecht, nach Holland gezogen haben. Beide Universitäten versuchten durch interessante neue Lehrgegenstände, sich (zahlende) Studenten zu verschaffen. Viele ihrer Professoren waren bekannt für ihre Offenheit gegenüber neuen Denkrichtungen.

      Finanzielle Sorgen kannte Descartes nur wenige: Es gehörte sich für Mitglieder des Adels nicht, Geldgeschäfte zu betreiben oder überhaupt einem Brotberuf nachzugehen (auch das Schreiben von Büchern zählte eigentlich dazu). Sie lebten von den Einkünften aus ihren Liegenschaften, die sie weitgehend gewinnbringend verpachteten. Wenn jedoch dringend Geld gebraucht wurde, blieb ihnen meist nichts anderes übrig als die Ländereien zu veräußern. Auch Descartes war einige Male in seinem Leben gezwungen, einigen Besitz zu verkaufen, um sich den Standard seiner Lebensführung und die häufigen, kostspieligen Reisen zu ermöglichen. Genauso schlugen zahlreiche technische Geräte, die er erstand, um seine Studien der Optik und der Physik zu ermöglichen, zu Buche. Von Descartes Freund Mersenne, dessen Wissensdrang dem von Descartes in nichts nachstand, wird berichtet, dass seine Familie großen Hunger litt, weil er sein ganzes Geld für die neuesten technischen Apparaturen ausgab.

      Mit Enthusiasmus machte sich Descartes daran, Abhandlungen zu schreiben, die das bisherige Wissen über die Welt revolutionieren sollte. Sein erstes philosophisches Werk entstand 1628, »Regulae ad directionem ingenii« (»Regeln zum richtigen Verstandesgebrauch«). Er verzichtete aber auf eine Veröffentlichung, weil er mit der Schrift nicht zufrieden war. Danach begann er die Zusammenfassung seiner naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu schreiben, den »Traité du monde« (»Über die Welt«). In ihr befasste er sich nicht nur mit philosophischen Fragen, sondern auch mit den Himmelserscheinungen, dem Wetter, der Medizin und der Optik. Das Werk war im Gegensatz zu seiner ersten Schrift französisch verfasst, weil Descartes an einen größeren Erfolg glaubte, wenn er von der Wissenschaftssprache Latein abrückte.

      Ungefähr im Jahre 1633 war er bereit, dieses Buch der Öffentlichkeit zu übergeben, doch dann ereignete sich etwas, was Descartes umdenken ließ und ihn bewog, seinen »Traité du monde« in der Schublade verschwinden zu lassen. Galileo Galilei wurde 1633 zum Widerruf seiner Theorien gezwungen. Descartes hatte sich in seiner Schrift wie Galilei auf den Heliozentrismus gestützt. Seit dem Jahr 1616 war dessen Heliozentrismus von der Kirche verboten worden. Doch 1620 gestattete die Kardinalskongregation, dass diese Meinung zu wissenschaftlichen Zwecken als Hypothese benutzt würde, so lange man sie nicht als bewiesene Wahrheit verkündete. Allerdings änderte die Kirche 1633 ihre Meinung wieder und zwang Galilei in die Knie.

      Das Ereignis war ein Schock für die Mehrzahl der Gelehrten Europas, die nie an der Meinung Galileis zweifelten und ihre Arbeiten schon längst auf den Heliozentrismus stützten. Descartes wurde ebenfalls böse überrascht, und es blieb ihm nichts weiter übrig, als seinen »Traité du monde« unveröffentlicht zu lassen. Vor allem dämpfte dies seinen bisher kaum einzudämmenden Optimismus, der auf der Hoffnung beruhte, dass seine neue Philosophie schnell die Welt erobern würde. Er kam nach einigem Nachdenken über die jüngsten Ereignisse in Italien zu folgendem Schluss: Er müsse erst zeigen, dass durch seine neue Philosophie (welche das Wissen auf wissenschaftliche Beine stellen wollte) der Glauben nicht gefährdet werde. Genauso wollte er darlegen, dass sich gesellschaftliche Bindungen nicht auflösen, nur weil man das Wissen auf die Objektivität der Vernunft fußen lässt. In anderen Worten: Descartes brauchte eine Metaphysik, die Glauben und Wissen nicht als Gegensätze erscheinen ließ.

      Descartes machte sich daran, diese Begründung des Wissens auszuarbeiten und als eine Art Vorrede künftiger Wissenschaften herauszugeben. 1637 erschien das Werk unter dem Titel: »Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences, plus la Dioptrique, les Météores et la Géométrie qui sont des essais de cette méthode«, zu Deutsch: »Rede über die Methode, seine Vernunft gut zu leiten und die Wahrheit in den Wissenschaften zu suchen, dazu ›Die Brechung von Licht‹, ›Die Meteore‹ und ›Die Geometrie‹ als Versuchsanwendungen dieser Methode«. Descartes bestand darauf, dass es auf gutem Papier und mit schönen Lettern gedruckt wurde. Er fügte seiner philosophischen Schrift die ungefährlichen Teile aus dem »Traité du monde« als angehängte Aufsätze hinzu, die Optik, die Meteore und die Geometrie. (Allerdings wurde Descartes für einige Bemerkungen, die er über die Himmelsmechanik in »Les Méteores« gemacht hatte, von den Jesuiten so heftig kritisiert, dass er fürchten musste, dass er sich seine ehemaligen Lehrer zum Feind gemacht hatte.)

      Ziel dieser Schrift war nicht nur Abbruch der alten, scholastischen Metaphysik, sondern eine neue, religionsverträgliche Grundlage des Wissens zu schaffen. Der Gottesbeweis, der in der Methodenschrift enthalten ist, sollte seine Philosophie mit der Theologie aussöhnen. Trotzdem plante Descartes zunächst nicht, sich mit den in seinen Augen verbohrten römischen Kirchenideologen auseinanderzusetzen. Er schrieb seine Methodenschrift auf französisch, so dass sie jeder Landsmann lesen konnte, fast im Plauderton, viele Dinge werden nur en passant erwähnt und ohne Diskussion als Wahrheiten ausgegeben. Er wollte so leicht und populär schreiben, dass die Schrift selbst von Frauen verstanden würde, wie er einmal betonte. (Trotzdem werden die Argumentationsketten an manchen Stellen dicht und schwierig.) Mit der Methodenschrift rang Descartes also nach der Anerkennung der gebildeten Welt und nicht ausschließlich der gelehrten Welt; dieses Ziel verfolgte er erst mit der Schrift: »Meditationes de prima philosophia« (»Meditationen/Untersuchungen über die erste Philosophie«), die in lateinischer Sprache 1641 erschien. Sie wiederholt im Kern nur die Argumentation der Methodenschrift, führt aber die Darstellung seiner Metaphysik weiter aus, die in der früheren Schrift nur skizziert ist. Vor dem Druck der »Meditationen« schickte er Auszüge an Theologen und Gelehrte, um vorab ihre Einwände kennenzulernen. Schließlich veröffentlichte Descartes die »Meditationen« zusammen mit den besten Einwänden und einer Entgegnung darauf.

      Die Methodenschrift fand nicht so weit Verbreitung, wie es sich Descartes vielleicht gewünscht hat. Sie erschien anonym bei dem unwichtigen Buchdrucker Jean Maire. Obwohl Descartes eigenhändig 200 Exemplare des Werkes verschickte, wurde es zunächst nur von seinen Freunden gelesen. Trotzdem war die Zeit reif für das Ende des alten aristotelisch-scholastischen Systems. Descartes kleines Büchlein fiel in die Hände zweier Professoren, die beide an der neu gegründeten Universität von Utrecht Medizin lehrten, Reneri und Regius. Beide Professoren entflammten sofort für Descartes hoch methodischen Ansatz und lehrten auf dessen Grundlage. Es war ein äußerster Glücksfall für die Erfolgsgeschichte der cartesianischen Philosophie, dass einer der beiden, Henri Reneri, überraschend im Jahr 1639 starb. Reneri war ein sehr beliebter Professor. Alles, was in Utrecht und Umgebung Rang und Namen hatte (außer Descartes, der seine Einsiedelei nie verließ), war bei der Begräbnisfeier zugegen. Die Leichenrede (die später auch gedruckt wurde) hielt ein gewisser Antonius Melis. Dieser sprach aber weniger über den verstorbenen Professor, sondern über Descartes Philosophie, den Philosophen selbst nannte er einen »neuen Atlas«, den »Archimedes unserer Zeit«. In der Druckfassung wurde ein Gedicht beigefügt, in dem man lesen konnte, dass der tote Reneri im Himmel nun die Erkenntnisse habe, die schon jetzt Descartes auf der Erde besitze.

      Mit der Leichenrede war ein Stein ins Rollen gebracht worden, durch den Descartes ins Zentrum der Diskussionen rückte.

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