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Die Vernichtung aller persönlichen und politischen Freiheit

      in Deutschland steht unmittelbar bevor, wenn es nicht in letzter Minute gelingt, unbeschadet von Prinzipiengegensätzen alle Kräfte zusammenzufassen, die in der Ablehnung des Faschismus einig sind. Die nächste Gelegenheit dazu ist der 31. Juli. Es gilt diese Gelegenheit zu nutzen und endlich einen Schritt zu tun zum

       Aufbau einer einheitlichen Arbeiterfront,

      die nicht nur für die parlamentarische, sondern auch für die weitere Abwehr notwendig sein wird. Wir richten an jeden, der diese Überzeugung mit uns teilt, den dringenden Appell, zu helfen, daß ein Zusammengehen der SPD und KPD für diesen Wahlkampf zustande kommt, am besten in der Form gemeinsamer Kandidatenlisten, mindestens jedoch in der Form von Listenverbindung. Insbesondere in den großen Arbeiterorganisationen, nicht nur in den Parteien, kommt es darauf an, hierzu allen erdenklichen Einfluß aufzubieten. Sorgen wir dafür, daß nicht Trägheit der Natur und Feigheit des Herzens uns in die Barbarei versinken lassen.

      [Unterzeichner:] Chi-yin Chen Willi Eichler, Albert Einstein, Karl Emonts, Anton Erkelenz; Hellmuth Falkenfeld, Kurt Großmann, Emil J. Gumbel, Walter Hammer, Theodor Hartwig, Vitus Heller, Kurt Hiller, Maria Hodann, Hanns-Erich Kaminski, Erich Kästner, Karl Kollwitz, Käthe Kollwitz, Arthur Kornfeld, E. Lauti, Otto Lehmann-Rußbüldt, Heinrich Mann, Pietro Nenni, Paul Oestreich, Franz Oppenheimer, Theodor Plivier, Freiherr von Schoenaich, August Siemsen, Minna Specht, Helene Stöcker, Ernst Troller, Graf Emil Wedel, Erich Zeigner, Arnold Zweig

       Der Funke, 25. Juni 1932

       Willi Eichler

      Der 1886 in Berlin geborene Willi Eichler und absolvierte nach dem Schulabschluss eine kaufmännische Lehre. 1915 wurde er als Soldat eingezogen und kämpfte bis 1918. 1923 trat er in die SPD ein, später auch in den »Internationalen Jugendbund«. Da sich beide Mitgliedschaften nicht vertrugen und er aus der SPD ausgeschlossen wurde, beteiligte er sich 1925 an der Gründung des »Internationalen Sozialistischen Kampfbundes« als Nachfolgeorganisation des Jugendbundes und wurde Sekretär der Organisation, 1927 wurde er dessen Vorsitzender. Der ISK legte sich 1932 als Organ die Tageszeitung »Der Funke« zu. Diese strebte den Zusammenschluss linker Gruppierungen gegen den Nationalsozialismus an. Eichler schrieb darin und in späteren Zeitschriften unter den Pseudonymen Buchholz, Friesius, Holz, Hart sowie unter verschiedenen Kürzeln.

      Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler emigrierte Eichler zunächst nach Frankreich, wo er mit anderen Gegnern des NS-Regimes am Lutetia-Kreis teilnahm, und dann nach England. Er gab die »Reinhart-Briefe« und »Die Sozialistische Warte« heraus und arbeitete bei der BBC an deutschsprachigen Sendungen zur Aufklärung der Bevölkerung mit. Mit Gleichgesinnten deutschen Emigranten gründete er die »Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien«. Gleich nach dem Kriegsende kehrte er nach Deutschland zurück und wurde wie auch die meisten anderen Mitglieder der Union Mitglied der SPD. Er gab 1946–1971 die Zeitschrift »Geist und Tat« heraus und war 1946–1951 Chefredakteur der »Rheinischen Zeitung« in Köln. Das Godesberger Programm der SPD entstand unter seiner Leitung. Auch war er 1947–1948 Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtages und in der ersten Wahlperiode Bundestagsabgeordneter. Willi Eichler starb 1971 in Bonn.

      Quellen und Literatur: Werner Link: Die Geschichte des Internationalen Jugend-Bundes (IJB) und des Internationalen Sozialistischen Kampf-Bundes (ISK). Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Meisenheim am Glan 1964; Sabine Lemke-Müller: Ethischer Sozialismus und soziale Demokratie. Der politische Weg Willi Eichlers vom ISK zur SPD. Bonn 1988

       Wissenschaftler und Intellektuelle

      Obwohl die NS-Ideologie im Gegensatz zu anderen Weltanschauungen mit einem wissenschaftlich-kritischen Weltbild nicht vereinbar war, stellten sich nach 1933 viele Wissenschaftler in ihren Dienst: Geisteswissenschaftler und Juristen nicht selten im Interesse ihrer Karriere, Mediziner, Physiker und Ingenieure, weil ihnen diese Ideologie zu tun gestattete, was eigentlich gegen die Prinzipien ihrer eigenen Wissenschaft verstieß. Andere versuchten, durch Stillhalten und Zugeständnisse ihre Arbeitsstelle zu erhalten, wenigstens solange, wie sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten.

      Dabei wurde auf die politische Gefahr von rechten Bewegungen schon sehr früh hingewiesen, beispielsweise von dem Mathematiker Emil Julius Gumbel (1891–1966), der bereits 1922 in seinem Buch »Vier Jahre Politischer Mord« die Einseitigkeit der deutschen Justiz gerügt hatte.

       Emil Julius Gumbel

      Gumbel wurde am 18. Juli 1891 geboren. Er studierte Nationalökonomie und Mathematik in München und Berlin und promovierte 1913. Nach dem Kriegsdienst von 1914 bis 1916 arbeitete er als Ingenieur bei verschiedenen Firmen und war anschließend Lehrer an der Betriebsräteschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin. 1923 habilitierte er sich und war mit Unterbrechungen an der Universität Heidelberg als Dozent für Statistik tätig, gleichzeitig Pazifist und Publizist.

      1931 erschien seine Flugschrift: Lasst Köpfe rollen. Faschistische Morde 1924–1931, in der er von den beobachteten Tatbeständen auf die vermutliche Art der Machtausübung der Nationalsozialisten schloss:

      Die nationalsozialistische Bewegung, das Sammelbecken der Enttäuschten, der Verbitterten, der Desperados, der Illusionäre, die mit einem Schlag durch die nationale Revolution alle Probleme unserer Zeit lösen wollen, steht, wenn wir die neuen Erklärungen ihrer Führer mit der bisherigen Geschichte vergleichen, in einem tiefgründigen Umbildungsprozeß. Die zuchtlose Soldateska soll gebändigt werden, die echten Revolutionäre werden desavouiert, das »Dritte Reich« soll legal herbeigeführt werden. Nach diesem Gedanken modelt sich auch das Bild von der eigenen Geschichte, also das, was die Führer heute, als bisher geschehen, wahr haben wollen.

      In dem gegen die Ulmer Reichswehroffiziere vor dem Reichsgericht wegen Hochverrat geführten Prozeß hat Herr Hitler am 25. September 1930 beschworen, die militärische Ausbildung der Sturmabteilungen von 1923 sei auf amtlichen Wunsch geschehen; bei seinem Putsch habe er unter Zwang gehandelt; heute sei die nationalsozialistische Bewegung streng legal; sobald sie gesiegt habe, werde er einen neuen Staatsgerichtshof einrichten und ganz legal »Köpfe rollen« lassen.

      […] Wer soll ihn, den großen Mann, zum Putsch genötigt haben? Seine ganze Vergangenheit beweist die Unglaubwürdigkeit solcher Schwüre. […] Der Terror ist keineswegs neu. [… Es folgt eine detaillierte Liste der seit 1919 begangenen Morde durch Rechtsradikale, geordnet nach Jahren; die Zahl der Toten steigt 1930 auf das Fünffache (20) gegenüber dem Vorjahr (4) und kommt auf die Gesamtsumme von 63 Morden.]

      Diese Zahlen verlaufen ungefähr parallel dem Anwachsen der nationalsozialistischen Bewegung, von 1924 bis 1929 sehr langsam, dann sprunghaft rasch. In diesen Bluttaten offenbart der Faschismus sein wahres Gesicht. Er zeigt dem deutschen Volk die Methoden, deren er sich bedienen wird, wenn er zur Macht kommen sollte.

      Republikaner! Vergleicht Hitlers Schwüre mit dem Wirken seiner Anhänger! Nieder mit den Faschisten, ihren offenen Anhängern und versteckten Freunden! Wer den Faschismus nicht will, der kämpfe mit uns gegen dieses Mordsystem, der komme zur Deutschen Liga für Menschenrechte!

       Gumbel: Lasst Köpfe rollen, S. 3,4 und 23

      Auch förderte er die Aussöhnung mit Frankreich, bis er 1932 nach Disziplinarverfahren und Entzug der Lehrerlaubnis nach Frankreich emigrierte, von dort 1940 in die USA.

      In New York lehrte er bis 1955 an verschiedenen Universitäten; im Sommersemester 1955 übernahm er eine Gastprofessur an der FU Berlin. Gumbel starb am 10. September 1966 in New York.

      Literatur: Emil Julius Gumbel: Vier Jahre Lüge. Berlin 1919; ders.: Zwei Jahre Mord. Berlin 1921;

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