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Anregungen aus Italien aufgreifend, wie sie etwa bei Benedikt von Sant’ Andrea zu finden sind, spätestens in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Legende Karls des Großen, die fiktive Geschichte nämlich von Karls Pilgerfahrt nach Jerusalem, von wo er kostbarste Reliquien, darunter die Dornenkrone und die Windeln Jesu, mitgebracht habe, eine Legende, die sich bald als ein Erinnerungsimplantat, als ein scheinreales Konstrukt, im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes einnisten sollte.

      Es machte sich zunächst literarisch, sodann kultisch und nicht zuletzt politisch bemerkbar. Die Aachener „Beschreibung, wie Karl der Große Nagel und Dornenkrone von Konstantinopel nach Aachen brachte und wie Karl der Kahle sie nach Saint-Denis überführte“, entlieh ihr Wissen von dort, aus importierten, nicht aus einheimischen Quellen. In der Ile de France entstand ferner, etwa in der Mitte des 12. Jahrhunderts, der sogenannte Pseudo-Turpin, der den Rolandsstoff fortdichtete, und dem mit über 130 mittelalterlichen Handschriften ein ungewöhnlicher Erfolg beschieden war. Der Liber Sancti Iacobi, eine Sammelschrift zu Ehren des Apostels und seines Grabes in Compostella, vereinte den Rolandsstoff mit dem Jakobskult zur Propagation des Kreuzzuges nach Spanien, an dem tatsächlich zahlreiche Franzosen teilnahmen, und der Pilgerfahrt nach Compostella; als sein angeblicher Autor firmierte der Erzbischof Tilpin von Reims, ein wirklicher Zeitgenosse Karls des Großen. Abermals erschien der Frankenkönig, ohne es schon zu sein, gleich einem Heiligen.

      Beide beriefen sich – wenn auch in unterschiedlicher Weise und aus unterschiedlichen Gründen – auf Karl den Großen. Der Sachsenherzog aus Schwaben betrachtete sich als einen Erben des Franken und streckte die Hand nach einer Königskrone. Der Schwabe auf dem römischen Königsthron aber betrieb die Heiligsprechung seines Vorgängers aus Franken. Ansätze zu einer übergentilen Integrationsfigur sind weder hier noch dort zu übersehen. Doch waren sie eingebunden in das tagespolitische Geschehen.

      Erinnerung ist, so halten wir fest, eine Form der Wirklichkeit, der Wirklichkeit nämlich des kulturellen Gedächtnisses, des sozialen Wissens, des gelehrten Diskurses, der argumentativen, politischen und sozialen Interaktion. Sie lenkt soziale und politische Realitäten, die ihrerseits von vielfach modulierten Erinnerungen durchsetzt und geformt sind. Sie stoßen sich an einer Wirklichkeit, die aus den Folgen realer Taten hervorging. Die legendär überformten Erinnerungsstufen aber können sich den Augenblick nicht aussuchen, in dem sie zu wirken beginnen und eine neue Wirklichkeit schaffen, und müssen sich dennoch an diesen Augenblick anpassen. So war es auch jetzt: Im Westen forderte das Gedächtnis an Karl die Bildung der Nation, im Osten indessen schürte sie den Konflikt mit Frankreich.

      So zeichnete sich nur in Frankreich eine konsequente Entwicklung ab. Sie mündete – leicht fasslich, nachlesbar und zukunftsweisend – in die Grandes Chroniques de France, die, von Ludwig dem Heiligen in Auftrag gegeben und von einem aufwendigen Bildprogramm begleitet, zum Geschichtsbild des spätmittelalterlichen Frankreich schlechthin wurden. Sie wiesen den direkten Weg von den Franken zu den Franzosen, von den Karolingern zu den Kapetingern und später zu den Häusern Valois und Bourbon, von Karl dem Großen zu Ludwig dem Heiligen. Dieser Karl führte mit Selbstverständlichkeit das ruhmreiche Königsbanner, das in ihm und durch ihn geheiligt war und eben gerade, in der Schlacht von Bouvines, über Johann ohne Land und den Kaiser Otto IV. triumphiert hatte: die drei goldenen Lilien auf blauem Grund, das Wappen der französischen Könige.

      In Deutschland indessen war nichts dergleichen eingetreten. Hier etablierte sich allein – zaghaft genug und rudimentär – der religiöse Karlskult. Dazu trat der Reichtum an Karlssagen, der sich keinem einigenden Programm unterwarf. Weder dieser noch jener artikulierte ein übergreifendes Ziel, das sich an Karls Namen heftete und der deutschen Geschichte Richtung und Sinn gewiesen hätte. Die Wirkungen der Realität und der Erinnerungen an dieselbe traten in Ost und West eklatant auseinander.

      Die Antwort muss gemäß diesem Wirkungsfächer differenzieren: Hier

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