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Auf Gottes Wegen. Bjørnstjerne Bjørnson
Читать онлайн.Название Auf Gottes Wegen
Год выпуска 0
isbn 4064066118426
Автор произведения Bjørnstjerne Bjørnson
Издательство Bookwire
Ole verstand sie, trotzdem sie sich nie verriet. Auch ihm gegenüber sprach sie selten anders von Edvard als von einem "Ekel", einem "Wicht", einer "Plappermühle" usw. Aber durch die treuen Dienste, die er ihr erwies, so oft sie vom Bruder übersehen oder gekränkt dasaß, sammelte Ole sich Schätze in ihrem Herzen.
Mit Edvard war eine große Veränderung vorgegangen; seine Neugierde war zur Wißbegier, seine Unruhe zu Energie geworden. Aber gleichzeitig durchlief auch die Schwester verschiedene Stufen der Entwicklung, von denen er nichts ahnte. Zweiundeinhalbes Jahr waren jetzt verflossen, seitdem er sie zum letztenmal gesehen hatte; sie war zwei Jahre in Frankreich und Spanien gewesen, und in den letzten Ferien, als sie zu Hause war, hatte er mit dem Apotheker eine Reise nach England gemacht; auch in diesem Jahr waren sie ein paar Monate zusammen fort gewesen. Die Schwester, die er jetzt sah, die kannte er nicht. Nach der ersten Begegnung war er ganz von ihr erfüllt.
Schön sei sie nicht, sagte er zu Ole (zu dessen größter Verwunderung), sobald die beiden sich trafen. Aber er wurde nicht müde, von dem neuen und eigenartigen Eindruck zu sprechen, den sie hier unter all den andern mache. Ihre Mutter müsse sich an einer Spanierin versehen haben, als sie mit ihr schwanger ging. Wäre nicht dieses Unnennbare — die Augen gewesen, was auf der ganzen Welt Volk von Volk unterscheidet — wären nicht die Augen gewesen, sie hätte unter Spaniern ruhig für eine Landsmännin gelten können. Wie das in einem norwegischen Hause wirkte! Sie sprach gut — lebendig und rasch — war aber eigentlich wortkarg, und hielt sich zurück. Kühn in ihrer Kleidung, mit einer Vorliebe für starke Farben, ganz modern, fast herausfordernd, aber in jeder andern Hinsicht eher scheu.
Fortan war Edvard ihr Bruder. Der Vater war verreist, und während der Zeit wohnte sie bei Rektors und war nicht immer zu haben; aber so oft es sich machen ließ, waren sie zusammen. Sie hatte die Empfindung, als ob er sie gern "entdeckt" hätte, und war auf ihrer Hut; aber es schmeichelte ihr, daß er in Gesellschaft seine Worte an sie richtete und daß seine Augen stets die ihren suchten.
Während Ole, tief unglücklich, sein Gesicht ins Gras des Waldbodens preßte, standen sie alle vor ihm, die Stunden, da sie auf dem Ball den Bruder hatte tanzen sehen — mit der und mit jener — manchmal mehrere Tänze mit einer und derselben — und mit ihr bloß eine "Pflichttour".
Und jetzt?
Jetzt war sie Edvards Schwester — seine geliebte Schwester — und Oles und ihre Wege gingen auseinander ...
Weshalb mußte Edvard sich in ein Verhältnis eindrängen, von dem er doch gar nichts wußte? Sich Rechte anmaßen, die er sich durch nichts verdient hatte? Nach ein paar Tagen des Zusammenseins einfach entscheiden, wer für sie passe — und wer nicht?
Weshalb vor aller Augen ihn angreifen und ihn verhöhnen in dem, was ihm Lebenssache war? Und nicht allein ihn — sondern Gott selber.
Und wie Ole Tuft diesem Gedanken nachhing, verbreitete sich um ihn ein seltsam heller Lichtschimmer — und in diesem Schimmer stieg etwas Großes empor über den Bergen jenseits des Fjords ... Er fühlte, wie es ihn im Nacken packte, während er so dalag, das Antlitz tief in den Rasen gedrückt. Und es flüsterte, und das Flüstern erfüllte den ganzen Raum — von dort bis hier —: "Was hast Du aus mir gemacht?"
Ah — wie plattgedrückt kam er sich vor — wie in die Erde hineingepreßt! Und er begriff jetzt, weshalb der Schmerz wie mit einem Schermesser das Kranke aus seinem Fleische schnitt. Er hatte verloren heute, weil er als Lügner dastand. "Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!" "Gott, Gott! Vergib mir! Schone meiner! — Und Deine fleischlichen, Deine eitlen Träume!... Nimm, gleich Israel, der Nacht wahr, um zu ringen mit mir!... Wurm, der Du Dich krümmst!" — — —
Über ihm den Raum durchbrauste der Klang von tausend Schwingen.
Es war nicht das erstemal, daß der Ernst des Alten Testaments von den Höhen auf ihn herniederstürzte und seine Wohnstatt aufschlug in ihm. All diese Fragen — ob "groß" — oder "klein" — ob er das "Höchste" wagen oder sich, wie die andern, mit dem Mittelmäßigen begnügen sollte — sie waren ihm nichts Neues.
Doch wenn er dann Josefine wieder traf — bei guter Laune — so waren diese Fragen wie weggeblasen. Mit einem einzigen guten Händedruck schob sie sie beiseite. Auch jetzt war es wieder so. Ohne jeden Übergang strömte von ihr ein gesunder Protest in ihn über. Nimmermehr hätte Josefine sich heut von ihm abgewandt, bloß weil der Bruder es wünschte! Nimmermehr! Wenn sie es so aufgefaßt hätte, dann hätte sie gerade entgegengesetzt gehandelt. Nein — weil er ein Schwächling war, wandte sie sich von ihm ab, einzig deswegen. Vielleicht auch, weil sie sich nicht gern in einen Streit mischen mochte; sie war so scheu. Sie wandte sich ja eigentlich auch nicht dem Bruder zu. Sie hatte mitten unter den andern auf dem Hügel gesessen und später, beim Essen, mit einigen Freundinnen an einem besonderen Tisch. Und auch beim Aufbruch hatte sie sich nicht an den Bruder gehalten, der doch fast alle um sich sammelte.... Warum hatte er denn daran nicht eher gedacht? Sie war ja doch treu.... Ganz gewiß! Sie war treu! Er stand auf. Wieso in aller Welt hatte er das nicht gleich gesehen?
Er hätte gern gehabt, daß sie ihm auf eine oder die andere Weise geholfen oder ihn wenigstens getröstet hätte, ihm gezeigt hätte, wie leid er ihr tat. Aber dergleichen lag nicht in Josefines Natur. Was fiel ihm denn nur ein? Besonders, wenn irgendwie ein Aufsehen entstanden war, und die Leute sie beobachteten.
Ein rechter Schafskopf war er gewesen. Und im Bewußtsein dieser erfreulichen Entdeckung sprang er das Gehölz hinab über den Straßengraben und machte sich ebenfalls auf den Heimweg.
Großer Gott im Himmel, wie er sie liebte! Er sah sie vor sich, wie sie sein konnte, wenn er ihr zu kindisch war; er sah den guten, großen Blick, bei all ihrer Majestät!...
Der späte Sonnenuntergang hinterließ keine Röte am Himmel; die Nacht war grau und schlaff, der Weg, am Fuß einer kahlen Anhöhe entlang, anmutlos; zu beiden Seiten kleine Anwesen, die Häuser auf der Anhöhe, ärmlicher Kleinbetrieb, da und dort ein paar dürftige Sommervillen, niedrige Bäume und vereinzelte Büsche.
Er sah es und sah es nicht, während er seinen eigenen Gedanken nachhing. Keine Seele unterwegs; ja, doch, ganz da vorn ein einzelner Mensch, der auf die Stadt zuging. Ole mäßigte seine Schritte, um diesen einen nicht einzuholen, und merkte gar nicht, daß vor dem, der dort ging, einer war, der kam. Jetzt konnte er auf einmal beide unterscheiden. Himmel!... War das nicht...? Oder täuschte er sich?... Nein, er kannte den Hut, und nun auch den Gang, die Figur! Es gab nur eine solche! Josefine kam zurück, um ihn zu holen! Das sah ihr ähnlich.
"Aber wo steckst Du denn?" sagte sie. Ihr großes Gesicht war gerötet, ihr Busen wogte, die Stimme klang gedämpft, der Sonnenschirm, den sie in der linken Hand trug, war nicht ganz ruhig. Ole antwortete nicht; er sah ihr Gesicht, ihr Kleid, die Hutfeder, die stolze Gestalt an, bis sie unwillkürlich lächelte; so viel stumme Bewunderung und Dankbarkeit durchbricht am Ende jeden Panzer. "Josefine, ach, Josefine!" Von seinem flachen Strohhut bis zu den Stiefeln herab war alles ein einziger Widerschein von Glück und Bewunderung. Da kam sie heiter heran, legte ihre rechte Hand auf seinen linken Arm und schob ihn sachte vorwärts: er solle gehen.
Sein Gesicht trug die Spuren des Grases, in das er sich geworfen hatte; sie glaubte, er habe geweint. "Du bist zu dumm, Ole!" flüsterte sie.
Die graue Sommernacht, die nicht schlafen kann und auch nicht wachen, erweckt leicht das Gefühl von etwas Halberreichtem, —