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Auf Gottes Wegen. Bjørnstjerne Bjørnson
Читать онлайн.Название Auf Gottes Wegen
Год выпуска 0
isbn 4064066118426
Автор произведения Bjørnstjerne Bjørnson
Издательство Bookwire
Von Kindheit an hatten sie zusammengehalten, Ole und sie, hatten einander geschrieben, als er in Kristiania war — er alle vierzehn Tage; sie, sooft sie etwas zu schreiben hatte. Wenn er in den Ferien zu Hause war, kamen sie täglich zusammen. In den zwei Jahren, als sie in der französischen Pension und in Spanien war, wurde der Briefwechsel eifriger geführt, auch ihrerseits, — und als sie wieder nach Hause kam — so sehr sie sich auch sonst verändert hatte — im Verhältnis zu ihm war sie dieselbe geblieben! Ihr Vater unterstützte ihn bei seinen Studien, so daß er sich mit voller Hingabe ihnen widmen konnte; zu Weihnachten sollte er sein letztes Examen machen; und jedermann prophezeite ihm, es würde ganz glänzend ausfallen. Daß man ihn so unterstützt hatte, das verdankte er ohne Zweifel ihr, vielleicht auch ihrem Bruder. Beide hatten ihn seinerzeit bei ihrem Vater, beim Rektor, beim Apotheker und auch sonst eingeführt; auch jetzt verschaffte sie ihm Zutritt überall. Für gewöhnlich war sie wortkarg und manchmal recht schwierig; aber in ihrem Freundschaftsverhältnis von unverbrüchlicher Treue. Sie konnte ihn auszanken (er war gar nicht immer so, wie's ihr paßte); aber das gehörte zu ihrem Verkehr; er nahm das weiter nicht schwer, und sie erst recht nicht. Sie war ja vom ersten Tag an sein Vormund gewesen. Noch hatte er nicht gewagt, ihr zu sagen, daß er sie liebe; es hatte ja auch keine Eile; und im Grunde war es viel zu heilig. Er war ja ihrer so sicher wie seines Glaubens. Er war ein Bauer; sein Wesen war Einheit, sein Grundton Gefestigtheit. Für seinen Glauben sorgte Gott. Für sein Wohlergehen und seine Zukunft sorgte selbstverständlich auch Gott — aber durch Josefine. Sie war in seinen Augen das schönste, gesundeste, tüchtigste Mädchen im ganzen Land — und sehr reich. Das zählte auch mit; er war von kleinauf ein ehrgeiziger Träumer gewesen. Nur daß die Träume jetzt nach einer andern Richtung gingen.
Seine Studienkameraden wußten das recht wohl; sie nannten ihn, außer "Melanchthon", den "Bischofprätendenten der Fjorde" oder auch den "Fjordbischof". Ihm selber war es geradezu ein Bedürfnis geworden, als solcher betrachtet zu werden; und weil etwas Kindliches darin lag, stand ihm diese lächelnde Überzeugtheit ganz gut. Außerdem — er sah so gut aus — hatte ein so hübsches, offenes, rosiges Gesicht —; da wirkt der Ehrgeiz nicht leicht abstoßend.
Und jetzt fühlte er — er war abgestürzt von seiner ruhigen, lächelnden Höhe! Jeder, der sich immer sicher gefühlt hat und zum erstenmal eine gründliche Niederlage erleidet, wird dadurch aus allen Fugen geraten! Das Schlimmste war — Josefine verleugnete ihn. Wieder und wieder blickte er zu ihr hin; aber sie ordnete ihre Blumen und Gräser, als sei er überhaupt nicht vorhanden.
Zuletzt war es wirklich, als rückten alle von ihm ab, oder als sei er tatsächlich nicht mehr da. Er saß, ohne zu sitzen, hörte, ohne zu hören, sah, ohne zu sehen. Droben vor dem Haus deckte man den Tisch zum Abendbrot. Sobald es fertig war, ging man hinauf, aß, trank, schwatzte, lachte; bloß er war nicht mit dabei; er stand und starrte hinaus — nach dem jenseitigen Ufer der Bucht — oder in weite, weite Fernen ... Ein junger Kaufmann redete zu ihm über Dampferlinien — daß sie so gar nicht günstig lägen. — — Ein Mädchen mit schrägstehenden Zähnen, roten Zöpfen und Sommersprossen — er hatte ihr einmal Unterricht gegeben — versicherte ihm, die Seeleute seien gar nicht so gebildet, wie man das von so weitgereisten Menschen erwarten sollte. Die Wirtin kam und fragte, warum er denn nichts esse, und der Wirt stieß mit ihm an; sie erwiesen ihm dadurch etwas vom alten Respekt; aber sie warfen beide einen hastigen Blick auf seine Augen, vor dem er erbebte: er fühlte den Zweifel. In seinem nagenden, immer mehr zunehmenden Schmerz sah er überall Zweifel und Hohn, selbst in der Fröhlichkeit der andern. Edvard war lustig bis zur Ausgelassenheit, und alles drängte sich um ihn. Ihm zu Ehren — er war vor etwa vierzehn Tagen heimgekehrt — war ja auch der ganze Ausflug unternommen. Ole sah wie im Traum, daß Josefines Blumen jetzt auf dem Tisch standen, und hörte, wie die Zusammenstellung der Farben gerühmt wurde. Sie selber hatte mit zwei Freundinnen an einem kleinen steinernen Tischchen Platz genommen, an dem niemand weiter sitzen konnte. Vielleicht, damit er sich nicht anschließen sollte? Ganz drüben, auf der andern Seite war es. Er sah sie plaudern und lachen; sämtliche junge Herren bedienten sie. Edvard war auch ein paarmal dort, und brachte sie zum Lachen. Und das alles beobachtete er mit einem sonderbaren Gefühl von Angst. Der Lärm tat ihm weh, das Lachen war wie ein Hohn, das Essen blieb ihm im Halse stecken, das Getränk brannte, die Menschen waren wie Automaten — das Haus, die Bucht, das Boot, die Berge so erdrückend nahe.
Da Windstille eingetreten war, mußte die Gesellschaft zu Fuß nach der Stadt zurückgehen. In geschlossener Kolonne, singend, begann man zu marschieren; aber bald kamen aus den umliegenden Gehöften Sommergäste herzu, und da es Bekannte waren, machte man halt. Die Neuhinzugekommenen schlossen sich ein Stück Wegs an; dann kamen weitere; und jedesmal gab es einen Aufenthalt, und jedesmal lösten sich einzelne Gruppen los. Dadurch gelang es Ole, unbemerkt zurückzubleiben. Er konnte die Gesellschaft und ihre Lustigkeit nicht mehr ertragen.
Denn jetzt erst konzentrierte alles sich um Josefine. Edvards plötzliches Umschwenken, sein Angriff, die Schmach der Niederlage, das verletzte religiöse Empfinden ... alles verfloß in dem einen Gedanken, daß sie nicht zu ihm gestanden war, mit keinem Wort, mit keinem Blick; daß sie ihm erst ausgewichen war und ihn jetzt ganz im Stich ließ. Das ertrug er nicht; denn sie war ihm viel zu teuer geworden. Er wußte es und er schämte sich dessen nicht. Sein früherer höchster Erdenwunsch — Missionär zu werden — war von ihm abgefallen wie eine Haut, als Josefine keinen Wert mehr darauf legte. Jedesmal, wenn die Mutter ihm gesagt hatte, er möge doch nur nicht Missionär werden, hatte er erwidert: man solle Gott mehr gehorchen als den Menschen. Aber als Josefine, in ihrer kraftvollen Art, in eine nähere Wirklichkeit hineinwuchs, da gab er es auf, ohne daß sie auch nur ein Wort darüber zu verlieren brauchte. Daß es sich strafen müsse, wenn man einen Menschen so liebe, das sagte er sich selber. Aber er konnte nicht anders.
Unter solchen und tausend ähnlichen Gedanken blieb er nach und nach zurück und bog vom Weg ab in ein Wäldchen ein; dort warf er sich nieder und wartete, bis die Sommergäste zurück- und vorbeikommen würden. Er drehte sein Gesicht der Erde zu. Das kühle Gras, das ihm Wangen und Stirn kitzelte, und die feuchte Erde, die er einatmete, redeten zu ihm ... Solch dürftiges, im Schatten wachsendes Gras hat keinen Duft; und so war es auch mit ihm; durch sie hatte auch er die Sonnenseite kennen gelernt; ohne sie war nichts als Schatten.
Und der Bruder hatte sie ihm genommen! schrie es in ihm.
Dieser Bruder, der sich bis vor wenigen Tagen nicht um sie gekümmert hatte, während er, Ole, von Kind auf um sie gewesen war, mit ihr gerudert hatte, ihr vorgelesen, ihr Bruder und Schwester zugleich gewesen war und ihr geschrieben hatte, wenn sie fern voneinander waren! Hatte ihr Bruder das je getan? Selbst seine Niederlage durfte er sich zugute schreiben! Denn hätte er's — ihretwillen — nicht so gewissenhaft genommen mit dem Examen, zu dem ihr Vater ihm verholfen hatte — so hätte er mehr gewußt von den Dingen, um die sich's handelte — hätte vielleicht keinen solchen Abfall erlitten. Auch das mußte er um seiner Treue willen erdulden.
Edvard war, in Josefines Kinder- und Backfischzeit, selten mit ihr zusammen gewesen, ohne sie zu necken. Sie war immer ein hageres Ding gewesen, mit großen schwarzen Augen, meist sehr zerzaustem Haar, roten Händen und einer "schlottrigen" Figur. Er hatte sie nur das "Entenküken" genannt, und als sie einmal gefallen war und hinkte, "das lahme Entenküken". Er konnte nie so recht klug aus ihr werden; sie war so herb und trotzig und immer — drei Schritt vom Leibe. Und dann — sie war so oft der Anlaß, daß er Schläge bekam. Sie hielt es für "gerecht", zu erzählen, wenn er etwas Dummes angestellt hatte. Und wenn er sie dafür verprügelte, so war es "gerecht", auch das wieder zu erzählen. Das empörte ihn gegen sie. Bald kamen sie auch dadurch auseinander, daß er das väterliche Haus verließ. Nach jenem unglückseligen Tag, an dem Vater und Sohn auf dem Weg nach Store-Tuft zusammengetroffen waren, erbarmte sich der Apotheker seines alten Freundes und nahm den Jungen ganz regelrecht als seinen eigenen Sohn zu sich. Und was dem Vater nicht geglückt war, das glückte ihm. Der Junge wurde sofort aus der Schule genommen und durfte seinem Hauptinteresse, den Naturwissenschaften, leben. Chemische und physikalische Analysen oder botanische Ausflüge waren sein Höchstes, und zwei Jahre lang trieb er ausschließlich derartige Studien. Die zum Abiturientenexamen