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ein Tässchen Mokka. Die Etagere mit dem Vanillegebäck stand wie von Zauberhand auf dem Tisch. Der Haushalt von Antoinette de Meli funktionierte geräuschlos und perfekt. Bei den jungen de Melis in der neuen Wohnung in der Räcknitzstraße ging es etwas anders zu. Gott sei Dank wohnten sie jetzt nicht mehr in derselben Straße, dachte Florence oft. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie ruhig noch ein bisschen weiter wegziehen können. Doch Henri war dagegen gewesen. Und so lebten sie nun in zwei Parallelstraßen. Immer noch ein Katzensprung für Antoinette de Meli, die viel zu oft vorbeikam, um nach dem Rechten zu sehen, fand Florence.

      Sie schaute aus dem Fenster. Zwischen den französischen Vorhängen mit den aufgestickten Pfauen war ein Stück blauer Himmel zu sehen. Immerhin – dann könnten sie wenigstens einen Spaziergang machen. Sie mochte die viel zu große Wohnung ihrer Schwiegermutter nicht. Die Vorliebe für strenge dunkle Möbel nach gotischem Vorbild stieß sie ab.

      Nur einmal fand Florence Gefallen an neugotischen Möbeln. Im Restaurant »Hubertus« in Pillnitz, wo sie mit Baron von Geyso im vergangenen Sommer einmal zum Essen verabredet gewesen war. Sie hatten sich blendend verstanden, der Baron und Florence. Endlich einmal ein Mann, der genauso gern lachte wie sie. Er könnte ihr Vater sein vom Alter her. Aber ein fröhlicher Charakter ist keine Frage des Alters, dachte sie versonnen. Es war alles ganz harmlos. Es war alles ganz wunderbar gewesen …

      »Na, freust du dich schon auf den Spaziergang? Du scheinst ja bester Stimmung zu sein«, hörte sie die Stimme von Henri. Und ihr wurde schwer ums Herz.

      5. Arztbesuch

      Dresden, 04. Oktober 1881, am Nachmittag

      Florence stand auf dem Balkon und rauchte. Henri war im Club. Wahrscheinlich würde er erst spät am Abend nach Hause kommen. Doch ihre Schwiegermutter war schon wieder in der Wohnung und blieb einfach, auch wenn Henri gar nicht da war. Mittlerweile kam Antoinette fast täglich vorbei und verbrachte die Nachmittage in der Räcknitzstraße. Sie hatte ihr Stickzeug dabei oder etwas zum Lesen. Manchmal beschäftigte sie sich mit den Enkelkindern. Dann wieder ließ sie sich in der Küche blicken und warf einen kritischen Blick in die Planung der Mahlzeiten. Florence seufzte. Zum Glück hatte sie jetzt gerade ein paar Minuten Ruhe vor ihr. Hier, auf dem schmalen Balkon, der zum Hof hinausging, würde sie niemand sehen, glaubte sie.

      Sie hörte ein Klopfen. »Gnädige Frau, hier ist der Aschenbecher, ich habe ihn sauber gemacht.« Es war die Stimme von Adele, dem Dienstmädchen. Was musste sie sich nicht alles anhören, nur wegen ein paar Rauchwölkchen am Tag. Sogar die Kaiserin von Österreich sollte eine starke Raucherin sein. Die berühmte Elisabeth mit ihren prachtvollen Haaren – Florence hatte neulich erst ein Bild von ihr in einem Modemagazin gesehen. Sie überlegte, wer ihr erzählt hatte von dem Laster der Kaiserin. Irgendjemand vom Hof des sächsischen Königshauses hier in Dresden. Florence kannte einige deutsche Herzoginnen und Gräfinnen, die im Dienste der königlichen Familie standen. Florence’ Deutsch war gut, ihre Stellung durch die Heirat mit Henri herausragend. Die de Melis wurden auch unter den Deutschen als schwerreiche, adelige Familie aus New York betrachtet. Dabei gab es das doch gar nicht. Adel in Amerika.

      Sie stieß die Luft aus. Wie unwürdig, dass sie hier stehen musste für diesen kleinen Moment der Entspannung. Wenn Henri am Abend seine Zigarren rauchte, saß er im Salon und musste sich nicht rechtfertigen. Eine Frau hatte es nicht leicht, dachte sie und erinnerte sich an ein Gespräch mit ihrer Freundin Minna von Funcke, die ihr von der Frauenbewegung berichtet hatte. Unvorstellbar, was diese kämpferischen Frauen forderten: Wahlrecht, Mitbestimmung, eine richtige Ausbildung, vielleicht sogar den Zugang zur Universität. Nun, bestimmt nicht für mich, überlegte Florence. Aber vielleicht für Minnie? Wer wusste schon, was die Zukunft brachte? In einem Punkt würde sie ihrer Tochter jedoch unbedingt helfen, sie sollte einen guten Mann heiraten. Nicht nur eine gute Partie, nein, einen guten Mann. Genügend Geld war wichtig, Bildung und Stand auch. Doch es durfte nicht an Herzenswärme und Güte fehlen, fand Florence und fragte sich zum x-ten Mal, warum diese Seiten bei Henri so im Verborgenen lagen.

      Wieder klopfte es zaghaft von innen an die Glasscheibe. Adele knickste. »Gnädige Frau, Dr. Zumpe ist da.«

      »Dr. Zumpe? Ich habe ihn nicht herbestellt. Wollte er zu Henri? Der ist im Club.«

      Adele zuckte die Schultern. »Was soll ich ihm ausrichten?«

      »Ach, ist schon gut, Adele. Bitte führen Sie ihn in den Salon. Ich bin gleich so weit. Und sagen Sie doch bitte der Kinderfrau, dass sie die Kinder zurechtmachen soll. Ich möchte mit den beiden zur Brühl’schen Terrasse und einen Kakao trinken.«

      Das Dienstmädchen machte sich auf den Weg, und Florence ging in den Salon, nicht ohne sich noch einmal etwas von dem Orangenparfüm aufzutragen.

      Der Arzt saß zusammengesunken auf dem Sofa und schien seinen Gedanken nachzuhängen. Als Florence den Raum betrat, erhob er sich schnell. »Meine liebe Frau de Meli, wie schön, Sie zu sehen!«, begrüße er sie galant und deutete einen Handkuss an.

      Sie tauschten ein paar Höflichkeiten aus, bis Florence direkt nachfragte: »Wer hat nach Ihnen schicken lassen? Wenn Sie zu meinem Mann wollen, müssten Sie morgen noch einmal wiederkommen. Henri ist im Club.«

      Der Arzt schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Ich wollte tatsächlich zu Ihnen, meine liebe Frau de Meli. Gucken Sie nicht so überrascht! Ganz harmlos, ganz harmlos«, sagte er mit einem Lächeln.

      »Dann klären Sie mich doch bitte auf! Ich fühle mich sehr gut. Kommen Sie in einer anderen Angelegenheit?«

      »Nun«, fing Carl Julius Zumpe an. »Manchmal hat man selbst das Gefühl, man sei in ausgezeichneter Verfassung. So will ich es einmal vorsichtig formulieren.«

      Florence runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen …«

      »Ich hörte, dass Sie matt sind, erschöpft. Wir kennen Sie doch alle als eine fröhliche Person. Ja, geradezu schwungvoll. Und mir kam zu Ohren, dass Sie häufig unter Kopfschmerzen leiden, sich zurückziehen. Dass Ihnen möglicherweise alles zu viel wird. Es ist ja auch kein Wunder. Sie müssen ein vornehmes Haus führen, haben Kinder, einen anspruchsvollen Ehemann, sind in der Kirchengemeinde aktiv… Frau de Meli, ich würde Sie gern kurz untersuchen.«

      Florence runzelte die Stirn. Wie kam der Arzt darauf, dass es ihr schlecht ging? Sie hatte nirgends Andeutungen dieser Art gemacht. Nun gut, in letzter Zeit hatte sie sich in der Öffentlichkeit etwas zurückgehalten. Es war Anfang Oktober. Die Wintersaison würde erst in ein paar Tagen beginnen. Die ersten Einladungen für abendliche Gesellschaften und Bälle waren schon eingetrudelt.

      »Hat mein Mann Sie rufen lassen? Oder von wem kam die Bitte, zu uns zu kommen?«

      »Das tut doch nichts zur Sache, meine liebe gnädige Frau. Gehen Sie einfach davon aus, dass es Menschen in Ihrer Umgebung gibt, die sich um Sie sorgen und die Sie unbekümmert und fröhlich wissen möchten«, erwiderte der Arzt mit undurchdringlicher Freundlichkeit.

      »Da Sie sich extra auf den Weg gemacht haben. Bitte sehr, Herr Dr. Zumpe, dann untersuchen Sie mich. Ich habe allerdings nicht viel Zeit, ich möchte mit den Kindern einen Spaziergang unternehmen.«

      Der Arzt klappte seine abgegriffene Tasche aus Schweinsleder auf und zog ein Stethoskop heraus. Er horchte das Herz ab, die Lungen, befühlte ihren Puls, sah in ihre Pupillen und in ihren Hals. Als die kurze Prozedur beendet war, packte er seine Geräte umständlich wieder ein.

      »Wir sollten uns setzen, liebe Frau de Meli«, begann er. »Der erste Eindruck ist durchaus gut. Nur der Puls scheint mir etwas schwach. Ich meine auch, ein leichtes Pfeifen in der Lunge gehört zu haben. Sagen Sie, rauchen Sie noch diese türkischen Zigaretten?«

      Florence nickte. »Aber ich habe nicht bemerkt, dass mein Atem rasselt.«

      »Um Gottes willen, das habe ich auch nicht gesagt!« Julius Zumpe schüttelte den Kopf. Er legte die Hände zusammen, sodass sie ein Dreieck bildeten. »Ich mache es kurz. Meine Arzt-Augen sehen, dass Sie ein wenig erschöpft sind und Ruhe benötigen. Und bevor dieser Zustand Sie wirklich krank macht, sollten Sie auf mich hören und sich schonen.«

      Dann zog

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