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      Doch Antoinette hielt ihren Arm fest. »Einen Moment noch.«

      Florence wand sich aus dem Griff. »Kinder, geht langsam weiter. Bis zur Ecke da vorn. Großmama und ich haben noch etwas zu besprechen.«

      Die Kinder gehorchten.

      »Da man dich zu Hause nicht antrifft, müssen wir uns wohl hier einmal kurz unterhalten«, fing Antoinette an.

      »Ich war zu Hause. Und ich hatte dich auch noch gesucht im Salon und im Esszimmer. Aber du warst schon fort. Ich wusste nicht…«, erwiderte Florence.

      Antoinette schnitt ihr das Wort ab. »Es tut nichts zur Sache. Etwas anderes beschäftigt mich sehr viel mehr als das, was du weißt oder nicht weißt.«

      Florence stand mit offenem Mund da. Antoinette war von Anfang an entschieden gegen ihre Verbindung mit Henri gewesen. Und das Verhältnis zwischen den beiden Frauen war über die Jahre immer frostiger geworden. Ihre Schwiegermutter machte ihr Angst. Antoinette de Meli machte einigen Menschen Angst. Ihrem Sohn. Ihrer Tochter. Und auch ihr verstorbener Ehemann hatte sich vor ihrem scharfen Verstand und ihrem noch schärferen Urteil gefürchtet.

      »Florence, ich verabscheue deine Verschwendungssucht! Heute beim Konditor, morgen beim Schneider, übermorgen beim Blumenhändler. Von überallher kommen Rechnungen für Dinge, die du kaufst. Hast du dir jemals Gedanken gemacht, woher das ganze Geld stammt, das du hier mit vollen Händen ausgibst?«

      Florence schwieg. Sie kannte diese Argumente schon.

      »Ich will es dir sagen. Das Geld kommt von Henri. Von unserer Familie. Hörst du? Von unserer Familie. Und wenn du es ganz genau wissen willst, das Vermögen, das dir ein so schönes Leben beschert, stammt von meinem Vater. Du hast gar nichts mit in die Ehe gebracht. Außer Unglück! Ohne uns wärst du eine Bettlerin. Deine Eltern hatten nichts!«, ihre Stimme war lauter geworden.

      »Lass meine Eltern aus dem Spiel. Sie waren sehr anständige Menschen.« Florence schluckte bei dem Gedanken an ihre tote Mutter, die sie in deren letzten Tagen nicht mehr besuchen durfte – weil Antoinette und Henri es ihr verboten hatten. »Du hast kein Herz! Und nun lass mich in Ruhe mit deinen ewigen Vorhaltungen.«

      »Ich denke gar nicht daran. Du bringst meinen Jungen noch um. Merkst du denn gar nicht, wie unglücklich er mit dir ist? Ich habe es von Anfang an gewusst – du bist nichts als eine kleine Erbschleicherin. Hast ihm schöne Augen gemacht, ein Kind angedreht, um ihn dann heiraten zu können. Genau das war dein Plan!«, redete sich die alte Frau weiter in Rage.

      »Mir reichen deine Unverschämtheiten!« Florence starrte sie wütend an.

      »Du brauchst dich hier gar nicht so aufzuführen, meine liebe Florence. Jetzt schreist du hier herum. Dann heißt es wieder, du seist unpässlich und am nächsten Tag blamierst du Henri mit deinem kindischen Verhalten und trällerst auf Gesellschaften wie ein Vögelchen. Da ist ja Minnie schon reifer …«

      Florence stieß die Luft aus. »Ich gehe jetzt«, sagte sie mit bebender Stimme. »Die Kinder stehen da vorn und warten auf mich.« Sie zeigte zur Straßenecke, die weit genug entfernt war, sodass Minnie und Henry nicht jedes Wort verstehen konnten.

      »Ja, geh nur zu deinen Kindern, Florence. Solange du noch kannst.« Die alte Frau nestelte wütend an ihrem Beutel.

      Florence blieb stehen und drehte sich langsam um. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, warf ihre Schwiegermutter ihr ein paar deutsche Münzen vor die Füße und schrie: »Hier, du Bettlerin, noch mehr von meinem Geld!« Die Münzen rollten über den Gehweg.

      Fassungslos schüttelte Florence den Kopf. »Du bist krank, Antoinette«, war alles, was sie herausbrachte.

      »Wenn hier jemand krank ist, dann du, Florence Draper! Man muss die Kinder schützen vor dir! Du gehörst in eine Anstalt.« Jetzt war es heraus. Antoinette de Meli reckte das Kinn in die Höhe und sah sie verächtlich an. »Ich habe schon mit Henri gesprochen, er sagt auch, dass du besser in einem Heim aufgehoben wärst.«

      Florence sah ihre Schwiegermutter ungläubig an. »Was hast du gesagt?«

      »Du hast ganz richtig gehört. Und eines merk dir, meine liebe Flossie«, und ihre Stimme klang vernichtend, »das kann schneller gehen, als man meint …«

      »Du weißt doch gar nicht, was du da redest. Dir bekommt die Sonne nicht«, war alles, was Florence herausbrachte. Ihr Herz klopfte wie verrückt. Sie wollten sie abschieben! In eine Irrenanstalt! Florence lief zu ihren Kindern. Sie weinte vor Wut.

      »Mommy, warum habt ihr euch gestritten, Granny und du? Und warum schmeißt Grandma Geld auf die Straße?« Minnies Hand hinterließ einen Fleck auf Florence’ Handschuh. Irritiert betrachtete Florence den orangefarbenen Punkt auf der gelben Seide. »Zeig mir einmal deine Hände! Was hast du da?« Ihre Stimme zitterte.

      Minnie begann zu weinen. »Es hat so lange gedauert, da haben Henry und ich die roten Beeren abgepflückt. Adele hat mal gesagt, innen drin ist Juckpulver.« Das Mädchen zeigte auf die Heckenrosen, die hinter einem schmiedeeisernen Zaun wuchsen.

      »Ach, Minnie …« Florence seufzte.

      »Bist du jetzt böse mit mir? Henry hat auch mitgemacht!« Minnie zeigte auf ihren Bruder, der seine Hagebuttensammlung längst fallen gelassen hatte.

      »Kinder«, Florence rang um Fassung. »Lasst uns schnell nach Hause gehen«, flüsterte sie. »Schnell.«

      Als sie sich eine Stunde später für das Abendessen umzog, hatte sich Florence äußerlich beruhigt. Sie musste mit Henri reden. Wenn sie an die Begegnung auf der Straße zurückdachte, kehrte der Zorn zurück. Aber auch die Angst. Antoinette war eine beherrschte Frau. Dass sie sich so gehen ließ – auf offener Straße, wo sie jeder hätte sehen und hören können –, war untypisch. Aber vielleicht war es einfach aus ihr herausgeplatzt? Der ganze Plan? War deshalb Dr. Zumpe hier gewesen? Was steckte in dem braunen Tütchen? Florence betupfte nervös ihre Handgelenke mit Eau de Cologne. Im Spiegelbild sah sie eine hübsche junge Frau. Sah so eine Person aus, die in eine Anstalt gehörte? Henri würde diesen Unfug aufklären, dachte Florence und atmete tief durch. Dann ging sie ins Esszimmer.

      6. Schlüsselgewalt

      Dresden, 04. Oktober 1881, am frühen Abend

      Das Speisezimmer lag nach Osten hin. Nur am Morgen schien die Sonne herein. In der übrigen Zeit blieb es ein dunkler Raum – verstärkt noch durch die Eichenholzvertäfelung, die ringsum die Wände zur Hälfte einnahm. Darauf war ein umlaufendes Holzbord angebracht. Hier hatte Florence kleine Zinngefäße aufgestellt. Krüge, Teller und andere Gefäße. So wie sie es bei ihrer Freundin Minna von Funcke gesehen hatte. In deutschen Häusern war Zinn beliebt. Es sah alt aus, historisch. Das hatte ihr Minna erklärt. Sie musste es wissen, schließlich war sie mit einem deutschen Adeligen verheiratet. Minna, die als Mary Emerson in Amerika zur Welt gekommen war, hatte in Sachsen ihr Glück gefunden: Bernhard Oskar von Funcke, Stadtkommandant von Dresden.

      Während Florence auf die Parade der Zinnbecher und den passenden Krug dazu starrte, gelangte Adele unbemerkt in den Raum und stellte eine Kristallkaraffe mit Wasser auf den Tisch. Florence’ Gedankenreise zu den Funckes endete abrupt. Sie seufzte. Heute Abend würde sie sich nicht streiten. Nein, sie würde Henri ganz ruhig erzählen, was vorgefallen war, weiter nichts. Sie würde ihm keine Szene machen. Warum auch? Schließlich war es seine Mutter, die so bösartig zu ihr gewesen war, nicht er. Eine hinterhältige Schlange. Florence trank einen Schluck von dem kühlen Wasser. Henry und Minnie hatten bereits mit der Kinderfrau zu Abend gegessen und lagen im Bett. Beim Gute-Nacht-Kuss und dem gemeinsamen Abendgebet war die Auseinandersetzung mit Granny kein Thema mehr gewesen. Vermutlich hatten die beiden gar nicht so viel mitbekommen, hoffte Florence. Die Hagebutten mit ihrem juckenden Innenleben waren interessanter gewesen.

      »Guten Abend.« Henri stand im Türrahmen und warf ihr einen flüchtigen Blick zu.

      »Henri, wie schön, dich zu sehen!« Sie wollte ruhig bleiben und freundlich. Unbedingt.

      Er setzte sich. »Nanu, so gut gelaunt? Nach so einem Tag?«

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