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das sittlich Schöne immer für sich in Anspruch nähme, so würde bei einem solchen Manne niemand von Selbstliebe reden und niemand ihn tadeln. Und doch kann man sagen, daß er diese Eigenschaft noch in höherem Grade besitzt. Beansprucht er doch für sich das Schönste und Beste, dient mit Willfährigkeit dem vornehmsten Teil seines Selbst und gehorcht ihm in allem. So wie nun das vornehmste Stück eines Staates oder sonst eines geordneten Ganzen am meisten der eigentliche Staat und das eigentliche Ganze ist, so ist es auch beim Menschen. Und so ist denn auch der am meisten ein Liebhaber seiner selbst, der diesem seinem vornehmsten Teile in Liebe ergeben und willfährig ist. Auch sprechen wir dem Menschen Selbstbeherrschung zu oder ab, jenachdem die Vernunft in ihm herrscht oder nicht, als wäre diese sein eigentliches Sein. Und ebenso (1169a) gilt das am meisten als von uns und freiwillig getan, was wir mit vernünftiger Überlegung getan haben. Es ist also unverkennbar, daß dieses, die Vernunft, der Mensch ist, es wenigstens am meisten ist, und der tugendhafte Mann sie am meisten liebt. Daher ist er am meisten ein Liebhaber seiner selbst, freilich nach einer anderen Art als jener schimpflichen, von der die seine so verschieden ist wie das Leben nach der Vernunft von dem Leben nach der sinnlichen Leidenschaft, und wie das Streben nach sittlichen Zielen von dem Streben nach scheinbarem Vorteil259.

      Diejenigen nun, die bemüht sind, sich in edeln Taten auszuzeichnen, finden Billigung und Lob bei jedermann. Würden aber alle um die Wette nach Sittlichkeit streben und bemüht sein, das Beste zu tun, so hätte nicht nur die Gesamtheit alles, was ihr not tut, sondern es wäre auch jeder einzelne für sich im Besitze der größten Güter, wenn anders die Tugend ein solches hervorragendes Gut ist. Daher soll der Gute die Selbstliebe besitzen, da es ihm selbst und anderen frommen wird, wenn er, von dieser Liebe getrieben, das sittlich Schöne vollbringt; der Schlechte aber soll sie nicht besitzen, da er sonst schlimmen Leidenschaften folgen und sich und seine Umgebung in Schaden bringen wird. Demnach besteht für den Schlechten ein Zwiespalt zwischen Pflicht und Handlung, bei dem Tugendhaften dagegen befindet sich die Handlung mit der Pflicht in Einklang. Denn die Vernunft begehrt in jedem Menschen was für sie das beste ist, die Vernunft aber ist es, der der Tugendhafte gehorcht.

      Aber von dem braven Manne ist es auch wahr, daß er für seine Freunde und sein Vaterland vieles tut, und, wenn es sein muß, selbst dafür stirbt. Er wird Vermögen und Würden und alle die viel umworbenen Güter hingeben, um sich dafür was gut und schön ist, zu gewinnen. Er will lieber kurze Zeit die höchste Befriedigung genießen als lange Zeit nur eine mäßige; lieber ein Jahr voll schöner Taten verleben als viele Jahre, wie es sich eben trifft; lieber eine schöne und große Tat verrichten als viele kleine. Das ist wohl der Fall derer, die für das Vaterland oder die Freunde sterben; denn sie erwählen für sich selbst eine Sache von hoher sittlichen Schönheit. Auch Geld wird der rechtliche Mann opfern, damit seine Freunde dadurch mehr gewinnen; der Freund gewinnt dann Geld, er das sittlich Schöne, und so teilt er sich selbst das größere Gut zu. Mit Ehren und Ämtern hat es dieselbe Bewandtnis: er wird dies alles dem Freunde zuwenden, weil es so für ihn selbst schön und ehrenvoll ist und ihn des Lobes würdig macht. So wird er denn mit Recht als ein trefflicher Mann erscheinen, da er das sittlich Schöne allem anderen vorzieht. Ja, auch Handlungen kann er dem Freunde überlassen, und es gibt Fälle, wo es schöner ist, den Freund zu einer Tat zu vermögen, als sie selbst auszuführen. In allem Preiswürdigen zeigt sich also der brave Mann als den, der den größeren Teil des sittlich Schönen für sich (1169b) selber haben will. In diesem Sinne also soll man, wie gesagt, Selbstliebe haben, doch so wie der große Haufe darf man sie nicht haben.

      Neuntes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      »Wer braucht wohl Freunde, wenn der Himmel hold ihm ist?« –

      Aber es sieht wie eine Ungereimtheit aus, dem Glücklichen alle Güter zuzuteilen und ihm keine Freunde zu geben, die doch als das größte aller äußeren Güter erscheinen. Und wenn es dem Freunde eher zukommt, gutes zu erweisen als zu empfangen, wenn ohne dieses Wohltun der Tugendhafte und die Tugend nicht denkbar sind, und es sittlich schöner ist, dasselbe gegen Freunde zu üben als gegen Fremde, so wird der brave Mann Freunde bedürfen, denen er wohltun kann. Darum wirft man auch die Frage auf, ob man Freunde mehr im Glück oder im Unglück bedarf, da einerseits der Unglückliche der Wohltäter bedürfe, andererseits die Glücklichen solcher, denen sie gutes erzeigen können. Es ist auch vielleicht ungereimt, den Glücklichen zu einem Einsiedler zu machen; niemand möchte allein stehen, wenn ihm auch alle Güter der Welt zugehören sollten. Denn der Mensch ist von Natur ein geselliges Wesen und auf das Zusammenleben angelegt; daher kommt dieses Zusammenleben dem Glücklichen zu, da er ja alle natürlichen Güter besitzt. Es ist aber offenbar besser, mit befreundeten und trefflichen Menschen zu leben als mit fremden und gewöhnlichen Leuten. Mithin braucht der Glückliche Freunde.

      Was ist nun an jener ersten Meinung stichhaltiges, und inwiefern ist sie richtig? Sie ist es wohl insofern, als die Menge diejenigen als Freund betrachtet, die einem Vorteil bringen. Solche Freunde hat der Glückliche freilich nicht nötig, da es ihm an Hab und Gut nicht fehlt. Auch der Lust wegen bedarf er der Freunde entweder gar nicht, oder doch nicht in besonderem Grade. Denn da sein Leben bereits genußreich ist, so bedarf dasselbe einer weiteren, von außen ihm zugebrachten Lust mitnichten. Er braucht also solche Freunde nicht, und so braucht er scheints überhaupt keine.

      Betrachtet man die Sache mehr vom naturphilosophischen Standpunkt, so erscheint ein tugendhafter Freund für einen Tugendhaften als von Natur begehrenswert. Wir haben gesagt, daß das von Natur Gute von selbst für den Tugendhaften gut und genußreich ist. Das Leben aber bestimmt man bei den Sinnenwesen als Vermögen der Wahrnehmung, beim Menschen als Vermögen der Wahrnehmung und des Denkens. Das Vermögen wird nun auf die Tätigkeit zurückgeführt, die das eigentlich Wertvolle und Maßgebende ist, und so muß denn als eigentliches Leben das Wahrnehmen oder Denken erscheinen. Das Leben aber gehört zu dem an sich Guten und Genußreichen, sofern es bestimmt und umschrieben ist, und die Bestimmtheit

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