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in Rolands Alter – berief am Nachmittag alle acht Mitarbeiter zu einem Briefing ein. Er war ein sehr sozialer Mensch, der viele verschiedene Sportarten betrieb, unter anderem Rudern und Fechten. Früher hatte er als Abteilungsleiter in der Reichspolizei gearbeitet, Abteilung A, bevor sie 2002 kurz vor dem 75-jährigen Jubiläum aufgelöst wurde, was ihn zutiefst enttäuscht hatte. Er hatte damit gedroht, den Beruf zu wechseln, doch dann hatte er sich doch noch ins NEC, das Nationale Ermittlungshilfezentrum, und danach in den PET, den dänischen Inlandsnachrichten- und Sicherheitsdienst, versetzen lassen.

      Als die DUP gegründet wurde, hatte er sich sofort als Leiter beworben, sobald die Stelle ausgeschrieben war. Seine Bewerbung war wegen seines großen Erfahrungsschatzes aufgrund der Arbeit in der Abteilung A freudig entgegengenommen worden. Und worin bestand schon der Unterschied, hatte er sich gedacht. In dieser Abteilung hatten sie auch nie ein besonders hohes Ansehen genossen, wenn sie auf anderen Polizeistationen auftauchten und die Ermittlungen übernahmen, selbst wenn diese – fast immer ohne es selbst zu wissen – ihre Hilfe benötigten. Die Stellenausschreibung hatte gut zu Viktor Enevoldsens eigenen Überlegungen, etwas Neues auszuprobieren, gepasst.

      Er ging jeden einzelnen Fall zusammen mit den verantwortlichen Ermittlern durch. Roland lauschte und genoss seinen Kaffee, der viel besser war als das Gebräu, das er vom Präsidium gewohnt war. Ganz generell war das Umfeld hier viel besser. Große, neu renovierte Räumlichkeiten im ersten Stock in den alten Lagerhallen der dänischen Post, neue Hebe- und Senktische, modernste IT-Ausstattung und ein toller, geräumiger Besprechungsraum. Und der war auch nötig, wenn alle versammelt waren. Einmal im Monat kamen die leitenden Führungskräfte hier zusammen. Fünf unabhängige Mitglieder, die vom Justizministerium einberufen wurden. Der Polizeibeschwerderat, genannt Der Rat, bestand aus dem Vorsitzenden, welcher obligatorischer Weise Richter am Landgericht war, einem Rechtsanwalt, einem Universitätsprofessor der Rechtswissenschaften und zwei Repräsentanten der Öffentlichkeit. Der Rat arbeitete eng mit dem Direktor der Polizeibeschwerdestelle zusammen, der bei diesen Treffen auch immer anwesend war.

      Viktor Enevoldsen kam in seiner Runde bei Roland an.

      „Du hast die Fehlverhaltensklage aus Odense abgeschlossen, Benito?“

      Er nickte, den Mund voller Kaffee, den er nicht mehr hinunterschlucken konnte, bevor er an der Reihe war. Er schluckte.

      „Ja, unserer Einschätzung nach gibt es keinen Grund, Kritik am Verhalten des Beamten zu üben.“

      „Jetzt hängt man uns sicher auch noch Rassismus an“, seufzte Kenneth Ejersen, der gerade einen Bericht über eine Klage wegen Gewaltanwendung während der Verhaftung eines jungen Immigranten in Gellerup abgeliefert hatte, die auch nicht wirklich begründet zu sein schien. Niemand kommentierte die Aussage.

      „Es war jedoch kein angemessenes Verhalten, das der Beamte an den Tag gelegt hat, was so auch zur Kenntnis genommen worden ist“, fuhr Roland fort, der aufgrund seines südländischen Aussehens selbst schon mehrmals Opfer von Rassismus geworden war.

      „Ich habe einen neuen Fall, um den du dich zusammen mit Karina kümmern könntest“, sagte Viktor und nickte der einzigen weiblichen Ermittlerin der DUP zu. Besonders weiblich wirkte sie nicht, da Roland im ersten Augenblick gedacht hatte, sie wäre ein Mann. Sehr maskuline Züge und ein kräftiger Körperbau, jedoch keineswegs übergewichtig. Aber sie hatte das süßeste Lächeln, das er je gesehen hatte – daran war bestimmt nichts Männliches. Außerdem war sie eine tüchtige Ermittlerin bei der Polizei von Mittel- und Westjütland gewesen, wo ihr Spezialgebiet in der IT-Kriminalität lag. Eine richtige Westjütin, die in Thyborøn aufgewachsen war. An ihrem Akzent hörte man es ein wenig. Aber sie war kein Vergleich zu der hübschen Polizistin Isabella am Polizeipräsidium. Wenn er so darüber nachdachte, vermisste er sie, das musste er sich eingestehen.

      „Die Polizei von Südostjütland hat einen Vorfall gemeldet, den wir uns näher ansehen sollen. Wenn an dem Vorwurf gegen den Beamten, die Beamtin oder die Beamten, etwas dran sein sollte, könnte das ein richtig ernster Fall werden. Wir sollen herausfinden, wer Informationen aus dem System fischt und ob diese an Dritte, zum Beispiel an Zugehörige aus einem kriminellen Milieu, weitergegeben werden.“

      „Verdächtigt man jemand Bestimmtes?“, fragte Roland.

      „Ja, ein Beamter wird verdächtigt, aber es ist nur eine Vermutung, die der leitende Polizeidirektor Thor Isaksen hegt, ihr dürft euch also nicht zu hundert Prozent darauf verlassen. Ihr fangt in euren Ermittlungen bei null an.“

      „Da sind wir ja auch“, sagte Karina mit ihrem besonderen Lächeln.

      „Ihr könnt euch morgen früh auf den Weg nach Horsens machen. Thor Isaksen erwartet euch um neun.“

      Roland und Karina nickten und machten sich Notizen.

      „Und dann gibt es da noch Neuigkeiten im Einsatzfall. Das Projektil ist auf höchst ungewöhnliche Weise aufgetaucht. Haldbjerg, möchtest du berichten?“

      Wie immer erhob sich Mark Haldbjerg, wenn er etwas vortragen musste. Er räusperte sich mit einem beinahe unmerklichen Lächeln.

      „Ja, wir sind von einem Fahrer kontaktiert worden, der ein seltsames Loch in einer der Hintertüren seines Wagens, einem weißen VW Transporter, entdeckt hat. Auf dem Boden des Fahrzeugs hat er dann das Projektil gefunden. Wir haben es zur technischen Untersuchung weitergeleitet und hoffen, dass sie etwas Brauchbares herausfinden können. Ist es Kaliber 9 x 19 mm Parabellum und stammt es aus der Dienstwaffe, dann haben wir einen weiteren Anhaltspunkt.“

      „Wie in aller Welt ist es in seinem Lieferwagen gelandet? Ist das nicht verdächtig?“, fragte einer der Ermittler.

      „Der Fahrer hat wohl einen merkwürdigen Knall gehört, nachdem er gestern Abend die Parkanlage des Shops Magasin verlassen und die Kurve am Åboulevard passiert hat – der Zeitpunkt passt exakt mit der Schießerei im Tunnel in der Busgasse zusammen. Im ersten Moment hat er geglaubt, es wäre nur ein Stein, der das Auto getroffen hat, aber dann stellte sich heraus, dass es das Projektil war.“

      „Aber wie in aller Welt …?“, rief Roland.

      „Es wird vermutet, dass das Projektil die Mauer im Tunnel getroffen hat, daran abgeprallt ist, einen der Räuber gestreift und sich seinen Weg weiter in den hinteren Teil des Wagens gebahnt hat. Eine Kerbe in der Mauer wurde allerdings nicht gefunden, dort sind ohnehin schon so viele kleine Einkerbungen vom Rollsplitt. Aber Gott sei Dank ist kein Mensch von dem Querschläger getroffen worden“, sagte Mark Haldbjerg und setzte sich wieder.

      „Doch, einer der Diebe. Hat der Fahrer sie nicht gesehen?“, fragte Karina.

      Mark schüttelte den Kopf.

      „Sie sind durch den Tunnel geflohen, nachdem geschossen worden war, also passt es, dass er sie nicht gesehen hat. Das Ganze ist hinter ihm passiert.“

      Viktor Enevoldsen nickte.

      „Wie ihr bestimmt schon gehört habt, wurden die Räuber in der stillgelegten Tulip-Schlachtanlage in Brabrand gefunden. Sie sind nun identifiziert und leider hat sich herausgestellt, dass einer der Jungen, Rune Gudbergsen, der 15-jährige Sohn des Polizeipräsidenten ist. Daher liegt natürlich dieser Fall im Brennpunkt des Interesses.“

      „Hat der Polizeibeamte ihn getroffen?“, fragte Karina entsetzt.

      „Nein, aber sie sind alle tot. Erhängt. Die Polizei von Ostjütland nimmt sich der Sache an, unsere Aufgabe ist es nur, in dem Einsatzfall zu ermitteln, das müssen wir immer im Hinterkopf behalten“, sagte Viktor Enevoldsen abschließend.

      Kapitel 10

      Robin trottete hinter den anderen Jungs her, die ihn hinter der Hecke zu sich gerufen hatten, als er versucht hatte, die Reste seines Schneemanns zu retten. Seine Arme waren bereits geschmolzen und die Karottennase war ihm aus dem Gesicht gefallen, wo sie ein großes Loch hinterlassen hatte. Die schwarzen Steine, die er als Augen verwendet hatte, saßen schief im Gesicht. Das eine war abgedriftet und hing nun an der Seite. Mama hatte gesagt, dass der Schneemann zum Fürchten aussah und dass er ihn entweder reparieren oder plattmachen sollte. Morgen

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