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in Dubai macht. Wann kann ich dich abholen?“

      „Ähm, gib mir eine Viertelstunde, dann stehe ich unten an der Straße.“

      „Musst du jetzt zur Arbeit?“, fragte Sabina neugierig, als Anne aus dem Bad kam, das Duschtuch um sich gewickelt. Komplexe? Vielleicht ein bisschen. Sabina, die diese Art Hemmungen offenbar selbst nicht kannte, lag auf dem Bett und rauchte eine neue Zigarette. Immerhin hatte sie inzwischen einen Slip angezogen. Das schwarze T-Shirt mit Spitze auf den Schultern und einem von roten Rosen umgebenen grinsenden grauen Schädel vorne drauf, das sie gestern Abend angehabt hatte, lag neben dem Bett auf dem Boden. Eigentlich war es sehr hübsch. Sabina hatte dazu einen superkurzen, schwarzen Rock mit Unmengen von Nieten und Tüll getragen, der nur spärlich die Oberschenkel in grobmaschigen Netzstrumpfhosen bedeckte, die sicher mit Absicht löchrig und zerrissen waren. Es erinnerte ein wenig an die Kleidung, die Anne selbst getragen hatte, als sie in Sabinas Alter war und bei Demos auf Nørrebro ganz vorne ging, ohne immer genau zu wissen, wogegen demonstriert wurde. Die Klientel entschied, ob sie teilnahm.

      Anne nickte und zog einen Pullover über den Kopf. Sie kramte im Schrank nach einer sauberen Jeans. Es war nur noch eine übrig, die sie schnell anzog. Es war sicher an der Zeit, die Waschmaschine mal wieder anzuschmeißen.

      „Ja. Solltest du nicht ein bisschen mehr anhaben?“

      „Darf ich mitkommen? Ist es ein Mord?“

      „Nein, es ist kein Mord“, log sie. „Und nein, du darfst nicht mitkommen.“ Sie stopfte das Handy in den Rucksack.

      Sabina setzte sich auf in den Schneidersitz und hielt die Zigarette über den Bettrand; es war besser, die Asche auf die Dielen fallen zu lassen als auf das Laken.

      „Ich bin doch selbst bald Journalistin, Ann. Es wäre echt cool, wenn ich sehen würde, wie du arbeitest“, nervte Sabina weiter mit einem kindlich bittenden Gesichtsausdruck.

      „Ich arbeite bei einem Fernsehsender und nicht bei einer Zeitung, wo du sicher starten wirst, falls du überhaupt in die Schule kommst.“ Sie nahm den Rucksack an dem einen Riemen über die Schulter. „Jetzt geh erst mal duschen. Du siehst wie nach ’nem Unfall aus!“

      „Okay.“ Sabina langte zu dem Aschenbecher auf dem Tisch und drückte die Zigarette mit einem kleinen, schiefen Lächeln aus. Genau so wollte sie ja aussehen.

      Sie wartete nicht lange, bis das TV2 Ostjütland-Auto am Bürgersteig hielt. Ninna öffnete die Tür zum Beifahrersitz, damit Anne einfach reinspringen konnte.

      „Was weißt du über den Mord?“, fragte sie und spürte das Adrenalin bereits in den Ohren sausen. Das Gefühl, das sie an ihrem Job als Kriminalreporterin liebte. Das Sausen, auf das sie nicht verzichten konnte.

      Es war nicht viel Verkehr. Die Leute hatten frei und viele verbrachten ihren Pfingst-Kater drinnen mit zugezogenen Gardinen, obwohl sich der Sommer heute von seiner schönsten Seite zeigte. Anne öffnete das Fenster und genoss den Wind in den Haaren, die noch nicht ganz trocken waren. Die Kopfschmerztabletten hatten angefangen zu wirken.

      „Nur, dass es ein Messermord in einer Wohnung in Fjældevænget ist.“

      „Mann oder Frau?“

      „Mann. Warst du gestern feiern?“

      Anne schielte zu Ninna und strich sich linkisch die Haare zurück. War das wirklich so deutlich? Ninna dagegen sah ungewöhnlich frisch aus.

      „Und ob. Du nicht?“

      Ninna guckte in den Außenspiegel, bevor sie links abbog und über die Ringstraßenbrücke weiterfuhr. Hier herrschte normalerweise ein Gewimmel von Fahrradfahrern und Fußgängern, aber so war es heute nicht, sie hatten fast freie Fahrt. Anne guckte nach unten auf die Züge, die einer Reihe ungeduldig wartender Stahlwürmer ähnelten, die zum Einsatz bereitstanden. Jedes Mal, wenn sie über die Brücke fuhr, dachte sie an damals, als sie angefangen hatte, Risse zu bekommen, und Betonstücke unter der Brücke herunterfielen. Die DSB, deren Team da unten an den Schienen arbeitete, kontaktierte die Gemeinde Aarhus wegen des Problems, aber die Ingenieure meinten, die Brücke sei sicher genug. Als das Problem bestehen blieb, musste die Gemeinde doch in die Tasche greifen und sich den Beton nochmals anschauen. Anne hatte als Neuling bei der nun geschlossenen Lokalzeitung Tageblatt mehrere Artikel über die Sache geschrieben. Heute war die Brücke umgebaut mit extra Linksabbiegerspur in die Værkmestergade.

      „Nee, wir betrinken uns nicht.“

      „Wir?“

      „Ja, in unserer Familie.“

      „Okay.“ Anne musste nicht wissen wieso, deshalb nickte sie nur und sah die Eisenbahn unter sich verschwinden.

      „Mein Vater ist Moslem“, fuhrt Ninna dennoch fort. „Wir trinken nicht.“

      „Du bist Muslimin?“, fragte Anne überrascht und schaute Ninna verblüfft an, die nicht nordischer hätte aussehen können.

      „Ich nicht. Nicht so. Ich bin auch nicht getauft, wir Kinder durften selbst entscheiden, an welche Religion wir glauben wollten. Natürlich wäre es meinem Vater am liebsten gewesen, dass wir Moslems geworden wären. Ein moslemischer Vater hat die Pflicht, seine Kinder im islamischen Glauben zu erziehen.“ „Was ist denn mit deiner Mutter?“

      „Die ist Dänin und Christin, wie es Dänen nun mal sind.“

      Darf ein moslemischer Mann wirklich einfach so eine Christin heiraten?“

      „Dem Islam zufolge ist es einem moslemischen Mann gestattet, aber eine Muslimin darf keinen Christen heiraten.“

      „Und da reden wir von Gleichberechtigung …“

      Ninna sah schnell zu ihr. „Ja, das war eine große Herausforderung für meine Mutter, die Familie zum Funktionieren zu bringen, sodass auch Platz für Allah ist, aber es hat geklappt.“ „Du siehst aber gar nicht besonders … fremd aus“, konstatierte Anne und lächelte, damit es nicht missverstanden wurde.

      „Mein Vater ist Türke und ist in den 70ern der Arbeit wegen nach Dänemark gekommen - damals gab es einen Mangel an Arbeitskräften. Hier hat er meine Mutter getroffen, der ich ähnlich sehe.“

      Ninna schaute wieder in den Außenspiegel, als sie vom Herredsweg abbog. Es war leicht zu sehen, wo der Mord passiert war. Das blaue Auto der Kriminaltechniker parkte neben einem Streifenwagen. Ninna bog ein und parkte hinter dem blauen Lieferwagen vor den gelben Gebäuden. Der Großteil der städtischen Presse war ebenfalls erschienen und drängelte hinter dem Absperrband der Polizei, das die Haustür und ein Stückchen des Gebüschs davor einrahmte.

      Bevor Anne aus dem Auto stieg, hatte sie Vizepolizeidirektor Anker Dahl entdeckt, der aussah, als wolle er den Schauplatz verlassen, aber nun auf dem Parkplatz von Journalisten mit Mikrofonen als verlängerte Arme gestoppt wurde. Sie hatte mit dem neuen Vizepolizeidirektor keinen guten Start gehabt und atmete tief ein. Wäre Jytte nicht im Luxusurlaub in Dubai, hätte sie ganz sicher den Auftrag übernommen. Sie war die Topreporterin und -moderatorin von TV2 Ostjütland und wusste immer, wie sie sich benehmen musste. Das war Annes Strafe dafür, einmal ein Interview mit dem Vizepolizeidirektor falsch angegangen zu haben, dass Jytte sich nun darum kümmerte, wenn es um Interviews mit Polizisten, Politikern und Beamten ging, sodass der kleine Fernsehsender seinen guten Ruf nicht ruinierte. Alle hatten Vertrauen zu Jytte, und der Vizepolizeidirektor hätte ihr ganz bestimmt nicht den Blick zugeworfen, den Anne nun hinnehmen musste, als sie sich den Weg nach vorn gebahnt hatte. Deswegen fragte sie auch nicht sofort etwas, sondern hielt lediglich ihr Diktiergerät hin, um die Antwort auf die Frage eines anderen Journalisten aufzuschnappen.

      „Das Einzige, was ich gerade sagen kann ist, dass es sich um einen Messermord handelt“, war die abweisende Antwort. „Sie müssen auf die Pressekonferenz warten.“

      Aber das war eine Phrase, mit der sich Journalisten nie abspeisen ließen.

      „Ist der Tote polizeibekannt?“, wollte einer von ihnen wissen.

      „Dazu kann ich mich nicht äußern.“

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