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der Rettungswagen sich entfernte, wieder mit eingeschaltetem Martinshorn, rief Leon seinen Kollegen Eckart Sternberg an, von dem er wusste, dass er Nachtdienst in der Notaufnahme hatte. »Bist du schon in der Klinik, Eckart?«

      »Gerade eingetroffen, was auch gut ist, denn wir haben sehr viel zu tun.«

      Leon berichtete ihm von Eva Maischinger. »Ich komme noch mal vorbei. Wenn ihr so überlastet seid, kümmere ich mich selbst um die Patientin.«

      »Das wäre eine große Hilfe. Bis gleich.«

      »Fahr ohne mich los, Leon«, sagte Sandra, »ich bleibe noch ein bisschen in der Stadt. Irgendwie komme ich schon nach Hause.«

      Sie umarmten sich zum Abschied, zehn Minuten später parkte Leon auf dem Klinikparkplatz.

      Eckart Sternberg hatte nicht übertrieben: In der Notaufnahme war viel zu tun. Eva Maischinger lag bereits in einem der Behandlungsräume. Marie Laube, die dienstälteste Schwester der Klinik und so etwas wie ihre gute Seele, hatte sich um die junge Frau gekümmert, die einen erschöpften und auch verstörten Eindruck machte.

      »Sie will unbedingt nach Hause, das hat sie jetzt schon mehrfach gesagt«, raunte Marie dem Klinikchef zu. »Es kommt mir so vor, als hätte sie Angst, dass wir etwas herausfinden.«

      Leon sah sie nachdenklich an. Diesen Eindruck hatte er zuvor auch schon gehabt.

      »Ich untersuche sie gründlich, dann wissen wir mehr«, sagte er.

      Marie nickte. »Brauchen Sie mich dabei, Chef?«

      »Danke, Marie, unterstützen Sie die Kollegen, ich sehe ja, was hier los ist.«

      Marie ging, und Leon wandte sich seiner Patientin zu.

      »Ich will nicht untersucht werden, mir fehlt nichts«, sagte sie. »Mir war nur ein bisschen übel.«

      »Nein, so einfach ist es nicht, Frau Maischinger. Sie haben gewirkt wie eine Betrunkene, sie konnten nicht einmal richtig geradeaus gehen. Das passiert nicht, wenn einem nur ein bisschen übel ist.«

      Behutsam begann er mit seiner Untersuchung, wobei er bemerkte, wie angespannt sie war. Als er vorsichtig ihren Bauch abtastete, stutzte er. Ihm entging nicht, dass sie unwillkürlich den Atem anhielt.

      »Ich denke, ich sollte Sie auch gynäkologisch untersuchen«, sagte er betont beiläufig. »Ich bin Gynäkologe.«

      »Nein!«, sagte sie. »Das will ich nicht, und Sie können mich nicht zwingen.«

      Das stimmte allerdings, dennoch war er überzeugt davon, dass er bereits wusste, was mit ihr los war.

      »Dann lassen Sie mich wenigstens einen Ultraschall machen«, schlug er listig vor. »Damit wir sicher sein können, dass wir keine gefährliche Krankheit bei Ihnen übersehen.«

      Sie zögerte, stimmte dann aber zu. Offenbar war ihr nicht klar, was ein Ultraschallbild zeigen würde.

      »Wie alt sind Sie, Frau Maischinger?«

      »Zwanzig«, sagte sie. »Gerade geworden.«

      Er strich Gel auf ihren Bauch, bevor er mit der Untersuchung begann. Der Bauch war ziemlich flach, so dass er sich fragte, ob er sich nicht vielleicht doch geirrt hatte. Aber was er gleich darauf auf dem Monitor sah, war eindeutig.

      »Sie sind schwanger, Frau Maischinger«, sagte er ruhig. »Und sie sind schon ziemlich weit. Beginn sechster Monat, würde ich sagen.«

      »Nein«, rief sie, während sich ihr blasses Gesicht mit hektischen roten Flecken überzog, »ich bin nicht schwanger, auf keinen Fall! Sehen Sie doch meinen Bauch! Sieht so der Bauch einer Schwangeren aus?«

      »Normalerweise nicht«, gab er zu. »Aber ich kann Ihr Kind sehen, hier auf dem Monitor. Und wenn Sie den Kopf wenden würden, könnten Sie es auch sehen.«

      Aber sie wandte den Kopf nicht. Immer wieder stieß sie hervor, sie sei nicht schwanger, er müsse sich irren, auf gar keinen Fall erwarte sie ein Kind.

      Er wischte das Gel von ihrem Bauch. »Sie sind schwanger«, wiederholte er ruhig, »ich irre mich ganz sicher nicht. Und es ist nötig, dass Sie von jetzt an regelmäßig untersucht werden, damit wir uns davon überzeugen können, dass mit dem Baby alles in Ordnung ist. Sie werden eine kleine Tochter bekommen.«

      Dieses Mal blieb sie stumm. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Als er sie erneut fragte, ob er sie untersuchen dürfe, erhob sie keine Einwände mehr.

      *

      »Verstehen kann ich dich nicht, Antonia, wenn ich ehrlich sein soll«, sagte Ingo Ewert. »Was kann denn passieren, wenn du offen mit Leon redest? Eines Tages muss er es ja doch erfahren.«

      Antonia seufzte. »Ich weiß«, erwiderte sie. »Und ich weiß noch mehr: Es wird ihm nicht gefallen. Er wird tausend Einwände erheben, und am Ende wird er es vielleicht sogar schaffen, mir die Sache wieder auszureden. Also warte ich noch, bis ich ganz sicher bin, dass ich meinen Plan nicht aufgeben werde und vor allem, dass ich dem, was ich mir vorgenommen habe, auch gewachsen bin.«

      Ingo betrachtete sie kopfschüttelnd. »Was für ein Unsinn!«, sagte er. »Ich habe selten eine Ärztin getroffen, die so gut mit Kindern umgehen konnte wie du – und die so genau weiß, worauf sie achten muss. Gut, dir fehlt die Berufspraxis, aber es ist ja nicht so, dass du in den letzten achtzehn Jahren auf dem Mond gelebt hättest, wo du von den neuesten medizinischen Entwicklungen nichts mitbekommen hast. Du hast dich immer weitergebildet, und nicht zuletzt hast du vier Kinder auf die Welt gebracht und durch alle Kinderkrankheiten begleitet.«

      »Das weiß ich ja alles, Ingo. Trotzdem ist es so, dass mir die Praxis fehlt, wie du ganz richtig gesagt hast. In ein paar Jahren lache ich vielleicht über meine jetzigen Bedenken, aber im Augenblick habe ich ganz einfach Angst vor meiner eigenen Courage.«

      »Aber die Erfahrungen bei uns in der Klinik müssten dich doch in deinem Vorhaben bestärken! Eigentlich war es so gedacht, dass du bei uns ein Praktikum machst, aber tatsächlich arbeitest du als volle Kraft, wenn du bei uns bist.«

      »Es ist sehr freundlich von dir, das zu sagen, aber ich weiß selbst, dass ich mir vieles wieder aneignen muss, was ich einfach vergessen habe. Und ich lerne nicht mehr so schnell wie früher, leider.«

      »Mit welchen Einwänden von Leon rechnest du eigentlich?«

      »Er ist es gewöhnt, dass ich da bin, wenn er nach Hause kommt. Wir sprechen über seine Fälle in der Klinik, er fragt mich oft um Rat, den ich ihm natürlich gern gebe. Wir sprechen auch über die Angestellten, da gibt es ja auch immer mal Probleme. Dafür werde ich weniger Zeit haben, wenn ich selbst wieder praktiziere. Auch für die Kinder werde ich weniger Zeit haben, das wird ihm überhaupt nicht gefallen. Er meint ja, dass Kyra noch sehr viel Betreuung braucht. Er wird also sagen, dass unser Familienleben leidet, weil ich plötzlich auf die Idee gekommen bin, mit Mitte vierzig noch einmal ein neues Leben anzufangen – und ob ich mich vielleicht nicht ausgelastet fühle? Er wird außerdem sagen, was ja auch stimmt, dass mir die Berufspraxis fehlt und dass er keinen Sinn darin sieht, dass ich mich jetzt, nach beinahe zwanzig Jahren erfüllten Familienlebens, an meine Anfänge erinnere und versuche, nachzuholen, was natürlich nicht nachzuholen ist.«

      Ingo sagte eine Weile lang gar nichts. Er schwieg so lange, bis Antonia schließlich nervös fragte: »Was ist? Klingt das alles so wenig verständlich in deinen Ohren?«

      »Überhaupt nicht, ich kann das gut nachvollziehen. Ich wundere mich nur, wie genau du zu wissen meinst, was dein Mann sagen wird.«

      »Ich kenne Leon ziemlich gut, und ich liebe ihn sehr. Außerdem ist er ein großartiger Arzt, dafür bewundere ich ihn. Aber ich finde, nun bin ich an der Reihe, meinen beruflichen Träumen zu folgen, und das wird bei ihm erst einmal auf Unverständnis stoßen, weil eine Veränderung unserer Lebensumstände nämlich mit Unbequemlichkeiten für ihn verbunden sein wird. Damals, als wir geheiratet haben, gab es gar keine Diskussion, dass ich meinen Beruf würde aufgeben müssen, damit ich mich um die Kinder kümmern kann. Mittlerweile hat sich aber die Welt ein bisschen weiter gedreht.«

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