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platzenden Stadt seit langem erstmals wieder die innere Leere; einige entfernte Verwandte nähmen ihm diese Empfindung auch nicht. Er geht in die nächste Pinte, um etwas dagegen zu tun, aber er hält sich nicht lange auf. Steel pflegt auch dann pünktlich zu sein, wenn er sein Bewußtsein mit Promille wattiert hat. Lautsprecher rufen zur letzten Wahlrede von Präsident Truman; ein Wagen nach dem anderen, die Durchsagen jagen sich wie ein Echo. Der Demobilisierte schüttelt den Kopf; Trumans Mut in der Höhle des Löwen ist beachtlich. Sein Rivale Dewey, schon zum zweitenmal gewählter Gouverneur des Staates New York, hatte in der Mitte der dreißiger Jahre als Generalstaatsanwalt mit Verve, Ungestüm und harten Bandagen die Mafia zerschlagen – von deren Existenz die US-Bürger erst zu dieser Zeit erfuhren. Hier kämpft David gegen Goliath, aber das eine ist biblische Geschichte und das andere ein moderner Massenwahlkampf.

      Der Heimkehrer sieht auf die Uhr und zahlt. Der CIC-Offizier ist gewohnt, seine Umgebung im Blick zu haben, bewußt oder unbewußt. Was seine Netzhaut erfaßt, speichert sein Gedächtnis, auch Nebensächlichkeiten, die er später abrufen kann. Schließlich war er Abwehroffizier der US-Army und laut Beurteilung einer der besten. Das ist Robert S. Steel so gut wie immer: Er erhielt die Platzziffer eins beim juristischen Examen seines Jahrgangs an der New York University. Man überreichte ihm als erstem Rekruten seines Regiments das Offizierspatent. Er schnappte sich die hübschesten Mädchen und durchlief die schnellste Karriere. Einer, der sich in jedem Sattel zurechtfindet und zwei gegensätzliche Voraussetzungen für den Erfolg mitbringt: Härte und Flexibilität.

      Kurz bevor Steel die Bank erreicht, stehen auf einmal alle Autos still. Veteranen des Zweiten Weltkriegs blockieren die Fahrbahn. Es ist eine Großdemonstration. Die demobilisierten Soldaten führen Schilder mit: ›Wir warten auf den Dank des Vaterlands‹, ›Gebt uns endlich Arbeit!«, ›Wir haben für euch gekämpft, jetzt laßt ihr uns im Stich‹, ›Fünf Kinder und kein Job‹. Nicht wenige, die Arbeit oder eine bessere Versorgung verlangen, sind auch in den USA einarmig oder einbeinig. Auch bei Siegernationen gibt es Verlierer, so wie auf der anderen Seite keineswegs alle Geschlagene sind. In jedem Krieg fallen viele und profitieren etliche.

      Am ersten Tag bedrängt Amerika den Heimkehrer mehr, als es ihn beglückt; aber New York ist nicht Amerika, und dem ersten wird ein zweiter Tag folgen. Ohnedies ist er entschlossen, künftig da zu leben, wo es ihm Freude macht, und die Voraussetzungen dafür bringt er mit.

      Er betritt die Schalterhalle der Chase-Manhattan-Filiale und wird vom Kassierer sofort als Stammkunde erkannt.

      »Mr. Sillitoe erwartet Sie schon in seinem Büro, Mr. Steel«, begrüßt ihn der aufmerksame Bankbeamte, öffnet die hölzerne Barriere und gibt den Weg in die erste Etage frei.

      Der Mann, der ihn empfängt, ist gekleidet wie ein Bestattungsunternehmer an seinem freien Tag. »Coming home?« begrüßt er den Kunden und geht ihm entgegen. »Willkommen in der Heimat. Ich hoffe, Sie werden sich rasch wieder einleben.« Mr. Sillitoe achtet sorgfältig darauf, erst nach dem Besucher Platz zu nehmen. Er wirkt beflissen, fast devot, aber er ist ein mit allen Wassern gewaschener Profi, vertraut mit den Finten und Schlichen seines Gewerbes. »Ihre Wertanlagen wachsen und gedeihen, Mr. Steel«, erklärt er. »Sie haben wirklich eine glückliche Hand in Geldgeschäften, aber das wird Ihnen Ihr Börsenmakler schon gesagt haben.«

      »Ich war noch gar nicht bei ihm.« Übergangslos setzt er hinzu: »Ich habe der Einfachheit halber aus Zürich ziemlich viel Bargeld mitgebracht; ich wollte es unten in der Schalterhalle nicht einzahlen.«

      »Ich erledige das für Sie«, erwidert der Bankbeamte.

      Steel schiebt ihm das dicke Kuvert zu. »Zählen Sie bitte nach«, fordert er ihn auf. »Es sollten sechzigtausend Dollar sein.«

      Obwohl Sillitoe weiß, daß der Betrag bis auf den letzten Cent stimmen wird, geht er die zwölf ›Madisons‹ zweimal durch. Pedanterie ist das Gewissen des Bankbeamten. »Was soll mit dem Geld geschehen?«

      »Legen Sie es zunächst aufs Girokonto«, ordnet der Heimkehrer an. »Ich weiß noch nicht, was ich beruflich anfangen soll. Jedenfalls werde ich flüssige Mittel brauchen.«

      »Wollen Sie wieder als Jurist tätig werden?«

      »Möglicherweise«, erwidert der Demobilisierte. »In jedem Fall lasse ich mir Zeit damit.«

      »Das würde ich an Ihrer Stelle auch tun«, versetzt Mr. Sillitoe.

      Als wäre er bei einer Schweizer Bank in die Schule gegangen, stellt der Beamte keine Frage nach der Herkunft des Geldes. Die meisten Besatzungssoldaten kehren aus Europa als an Liebeserfahrung reiche Habenichtse zurück. Doch einige der Have-Nots haben bewiesen, daß man auch in einer Trümmerlandschaft noch nach Gold graben kann. Mr. Sillitoe und seine Kollegen stellen keine Fragen (eine Bank ist ein Erwerbsunternehmen und kein Beichtstuhl), und wenn sie sich als neugierig zeigten, gingen die Kunden in eine andere Geld-Kirche.

      Auf dem Rückweg zum Hotel vermeint Steel, einem Übergewichtigen mit Knollennase und Sommersprossen heute schon zum zweiten Mal zu begegnen. Das mag Zufall sein oder auch nicht. Irgendwie fühlt sich Steel beobachtet, aber wer sollte ein Interesse an einem Ex-Captain haben, der seine Bücher in Germany sorgfältig abgeschlossen hat?

      Er bleibt stehen und läßt den Dicken passieren, sieht ihm nach, bis er im Gewühl verschwunden ist.

      Der Portier übergibt dem Gast eine Message: Colonel Wringler bittet um Rückruf. »Soll ich gleich verbinden, Mr. Steel, oder wollen Sie den Anruf in Ihrem Apartment entgegennehmen?«

      »Oben«, ordert der Heimkehrer, wenig begeistert über ein Gespräch mit dem Colonel, der im Regiment seit vielen Jahren als eine Art uniformierter Frühstücksdirektor wirkt; im Krieg kann das lebenserhaltend sein, aber im Frieden ist es ein lächerlicher Job, wenn auch mit einem hohen Rang. Aber die Armee wird er ja nun bald hinter sich haben.

      »Hallo, Steel!« schmettert der Mann mit der Trompetenstimme. »Wir sind alle stolz auf Sie.« Der aufgeregte Wichtigtuer muß vor Begeisterung nach Luft schnappen. »Sie sind zum Rapport befohlen. Ins Pentagon. Morgen. Der Verteidigungsminister will Sie persönlich aus der Armee verabschieden. Eine ganz große Ehre ist das, wonderful …«

      »Morgen schon?« unterbricht Steel ihn mehr überrascht als erfreut.

      »Eine Militärmaschine bringt Sie in die Bundeshauptstadt. Ich fliege natürlich mit, als offizieller Vertreter unserer Division. So was lasse ich mir nicht entgehen. Anschließend sind Sie zu einem kleinen Lunch gebeten. Am Abend sind wir wieder zurück. It will be a great moment in your life …«

      »Ja«, erwidert der Heimkehrer schwächlich. »Wirklich ein großer Augenblick.«

      »Ich will Ihnen etwas verraten, Steel.« Der Colonel versucht, seine Begeisterung anzuheizen. »Aber Ihr Ehrenwort, daß Sie die Klappe halten!«

      »All right«, entgegnet der Ex-Captain.

      »Sie werden befördert und als Major aus der Army entlassen.«

      »Ach nein«, erwidert Robert S. Steel und setzt hintergründig hinzu: »Hat denn die Armee etwas an mir gutzumachen?«

      »Immer noch der alte«, sabbert Colonel Wringler. »Wie gesagt, wir sind alle stolz auf Sie. Ich schicke Ihnen morgen um neun Uhr einen Wagen. Sie erscheinen in Ausgehuniform mit allen Orden und Ehrenzeichen. Congratulations, Bob, and have a good day«, sagt er, gütig wie der Erzengel Michael, der einer armen Seele an der Himmelspforte begegnet.

      Irgendwie – vielleicht ist es auch sein sechster Sinn – hat Steel sogar mit der späten Beförderung gerechnet. Er ist nicht dagegen, und seiner zivilen Reputation kann es nur nutzen, wiewohl er auf seine zivile Reputation eigentlich pfeift. Früher, als er sich als Untergeordneter mit Stabsoffizieren herumschlagen mußte, die von Falschgeldbekämpfung nichts verstanden, aber streng auf Subordination achteten, wäre es weit nützlicher und notwendiger gewesen. Vielleicht stellt die Ehrung in Washington nur eine Art subtiler Rache dieser Barrashengste dar. So oder so, Steel wird sich auf die Visitenkarte ›Major a. D.‹ drucken lassen, ob er nun künftig als Anwalt arbeitet oder als Businessman oder sich entschließt, den Rest seines erwartungsgemäß noch längeren

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