ТОП просматриваемых книг сайта:
Jockele und seine Frau. Max Geißler
Читать онлайн.Название Jockele und seine Frau
Год выпуска 0
isbn 9788711467749
Автор произведения Max Geißler
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Zuletzt waren es doch nur diese Tränen, die den starken Henrik ins Poltern gebracht hatten. Das Weinen anderer wendete ihm nun einmal das Herz um. Und zu einem Lawinensturz kam es diesmal nicht; denn dieser Gewaltmensch hätte nicht Henrik Tofte zu heissen brauchen, um die lustige Seite der lächerlich frechen Komödie dennoch genialisch zu finden, die die „Jötter“ in seiner Stube aufführten. Er begann also, auf sanfteren Saiten zu spielen, und sagte: „Wenn es nicht ein Kunsthändler wäre, den ihr da foppt, so liesse ich jetzt den Vorhang erbarmungslos über eurer Gaunerposse heruntergehen.“
„Was sagt er?“ fragte Mister Watson.
„Oh, er sagt: unseren Ruhm verdienten wir ja, aber zu beneiden blieben wir trotzalledem. Er selbst hätte doch auch eine Ahnung vom Malen — nur eine Ahnung vom Geschäft hätte er nicht.“
Da schupfte Mister Watson hochmütig die Schultern: „He ’s no Englishman.“
Danach kamen für Henrik Tofte Tage voll Finsternis: Gwendolin verachtete ihn. Sie tat nicht nur so; sie setzte sich nicht in den Schmollwinkel wie eine gekränkte Liebste; sie wich ihm nicht einmal aus, sondern redete sogar mit ihm, aber alle Herzlichkeit und Teilnahme für ihn war verweht. Das dauerte bis zur Einweihung des Neubaus. Da waren alle im Saale versammelt, und es gab ein Fest, wie es nur Künstlerjugend feiern kann, die zuletzt doch ein Reich regiert, in dem die Sonne nicht untergeht. Für diesen Abend hatte Henrik Toste eine Überraschung vorbereitet ...
Jockele, Do und Gwendolin waren nämlich wieder einmal vier Tage auswärts gewesen. Mit Rucksack, Pickel und Nagelschuhen waren sie den Flechten nachgeklettert bis an die Ränder des Folgefondgletschers; denn den Doktor drängte es zu Forschungsreisen dorthin, wo das Geschlecht der Flechten noch den einzigen Pflanzenschmuck liefert an verschmähten und gefrorenen Hochlandzinnen; oder dorthin, wo im glühenden Sonnenbrande jedes andere Pflänzchen verdorrend stirbt. Hundert Arten von Strauch- und Laubflechten hatte er vorher eingetragen. Nun kämpfte er an den letzten Steilhängen der Erde um Krustenflechten, die oft so innig mit ihrer Unterlage verschmolzen waren, dass er sie nur durch Auflösung des Gesteins mit Säuren befreien konnte. So führte er Do und Gwendolin vor ungeahnte Geheimnisse.
Als sie heimkehrten, war Henrik Tofte verschwunden. Mit ihm Nane Thord. Aber in einem Winkel des Krakesaales war ein Webstuhl aufgeschlagen, und ringsherum sah es aus wie in einer Armelentstube. Die blonde Marit lief umher mit wissenden Augen; an der Bedeutung des Winkels mit dem Webstuhle schwieg sie sich vorbei.
Abends jedoch, als alle schon um den runden Tisch sassen, tat sich die Tür auf und Henrik Tofte kam herein als ein Mann von fünfzig Jahren. Nane Thord aber war sein Weib geworden. Und die beiden hatten sieben Kinder, fünf Buben und zwei Mädel. Der älteste mit seinen sechzehn Jahren stellte den Henrik Tofte dar ... Das Spiel begann. Es hiess „Der verlorene Sohn“.
Zuerst sprach der wirkliche Henrik einen Vorspruch in machtvoll gestaltenden harten Versen: er wäre der Weber Skule Tofte, der mit seiner Familie aus dem Aardal käme, wo ihnen alles verbrannt wäre — deshalb wollten sie hier in dem Winkel mit dem Webstuhl ihr Leben der Armut von vorn anfangen. Darauf setzte sich der alte Skule Tofte an den Stuhl, und das Webeschifflein begann seine Arbeit ...
Das Spiel stellte jenen Tag aus dem Leben des Henrik Tofte dar, an dem er gegen Abend ausgezogen war aus der Kümmerlichkeit der väterlichen Mietstube, um sich sein Brot als Anstreicher zu verdienen.
Es war ein Spiel, und es wuchs zu einem gewaltigen Erlebnis. Es war in zwei Stunden von Henrik Tofte herausgeschrieben aus einem Jahre seiner Vergangenheit. Und es war durch vier Tage gelernt worden von Weberkindern und Nane Thord, die sich dabei nicht in eine fremde Welt hineinzudenken brauchten. Und es waren harte und schmucklose Worte, die sie sprachen. Vater Skule Tofte aber war ein Philosoph im Weberkittel, der es sich angelegen sein liess, dem langen Sohne Henrik die Lehre von der Allmacht des Schicksals ohne Mitleid ins Herz zu hämmern:
Das sollst du nicht vergessen: Armut stand
Gevatterin, als dich das Leben fand.
Mit Plack und Sorge salzt es uns das Brot,
Und was es draufstreicht, schmeckt nach Schweiss und Not.
Das Schicksal spinnt in weisse Seide ein,
Die’s heimlich hätschelt, sanft wie Mondenschein.
Der Graben ist dein Grab; Staub ist dein Lohn:
Du bist des lieben Gotts verlorener Sohn.
So sah die Tröstung aus, die Skule Tofte seinem Ältesten Henrik mit auf den Weg gab.
Da es aber doch ein Spiel sein sollte, was man hier trieb, war es von dem Dichter nicht uneben erdacht, dass er am Ende die Schauspieler um einen Tisch gesetzt hatte, während die Mutter in einem Schrank nach Brot suchte und sprach:
Das Fach fast leer — wie ist das Herz mir schwer!
Wo nehm’ ich morgen nur Kartoffeln her?
Und gleich rief das jüngste Töchterlein das Schlusswort:
Es kommt die Nacht, die keine Not bedrängt,
Weil da der Himmel ganz voll Talern hängt;
Leicht fällt den lieben Gott im Traum was an,
Wie er aus Steinen Semmeln machen kann.
Das war für die Zuschauer der gegebene Augenblick zum Mitspielen: im Nu war den Webersleuten der Tisch gedeckt, und auch der lange Henrik durfte umkehren und den Lohn für seine Mühe in Empfang nehmen. Henrik Tofte aber, der richtige, wollte auch nicht zu kurz kommen. Erst überzeugte er sich von der versöhnlichen Stimmung Gwendolins, dann trank er ein Glas Sekt.
So hatte der Abend mit einer ernsten Rückschau begonnen. Vor allem waren James und Johnny an dem Aktus nachdenklich geworden; denn ihnen war die Herkunft ihres jugendlichen Meisters noch ganz unbekannt gewesen.
„Oh, er hat kein Staatsstipendium gehabt!“ flüsterte Johnny Gwendolin in reuevoller Einkehr zu.
Da sagte Gwendolin nicht ohne Härte: „Aber er hat ein Stipendium von Gott: sein Genie. Wendet er es etwa besser an als Sie das Ihre?“
Doch — das hörte niemand; denn die vollen Gläser klangen aneinander, und Henrik Tofte klimperte zum Überfluss auf der Gitarre, die er einstweilen unter den linken Arm geklemmt hatte. Es war ihm ein Lied eingefallen, das er nun singen wollte. Jawohl, auch singen konnte er — furchtbar komisch und mit wunderlichen Gebärden. Wie die Bänkelsänger singen auf den Jahrmärkten vor einer bemalten Leinwand. Er aber hatte diese Leinwand nicht und deutete doch mit dem spanischen Rohre, als ob sie da wäre. Mit der Zunge ahmte er das Klatschen des Stockes gegen die Bilder nach und malte sie mit seinen Worten, grausig und volksmässig. Oder er sang edle alte Balladen. Seine Stimme konnte dabei klingen wie geschlagene Glocken oder wie die See, die vor dem Sturmwind in Klippen zerschellt ...
War es nicht so, als hätte der liebe Gott alle Stipendien, die er für diese Zeit zu vergeben gehabt, in einem Schöpferrausch an diesen einen verschwendet? ...
Wenn er annahm, dass man in seiner Abwesenheit von ihm gesprochen hatte, ärgerte er sich. Aber nicht, weil er fürchtete, man verlästere ihn. Sondern er sagte: „Ich bin ein Mensch, der sich nicht auskennt in sich selber. Lobt oder lästert ihr mich, wenn ich nicht dabei bin, so nützt mir das nichts. Also ist es besser, ihr schmäht mich oder huldigt mir ins Angesicht. Ich mache es euch ja so leicht und sage nie ein Wort dazu, wenn es mich angeht.“
Als er eine schöne und machtvolle Ballade über Harald Harfager gesungen hatte, waren alle ganz in der Gewalt seiner stolzen Begabung, die er gar nicht achtete, weil er nur in die Luft zu greifen brauchte wie ein Zauberkünstler, der ringsum Wunder fängt.
Da fragte der nachdenkliche Rolf Krake: „Sagen Sie, Tofte, sind Sie eigentlich ein verbummeltes Genie?“
Henrik schlug ein paar Akkorde aus den Saiten und schaute sich im Kreise um. Es sollte jemand an seiner Statt antworten, weil er sich selber dazu nicht wichtig genug nahm. An Gwendolin blieben seine Augen hängen.
„Ach nein,“ sagte sie, „verbummelt ist