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Oberste Gerichtshof der USA, dass finanzielle Wahlzuwendungen in jeder Höhe und ohne Einschränkung gesetzlich erlaubt seien. Wer in Amerika gewählt werden will, benötigt viel Geld, erhält aber nur wenig von der Partei, für die er antritt. Er muss Geld von Sponsoren auftreiben und für alles bezahlen, für Werbespots im Radio und im Fernsehen, für Wahlinserate in den Zeitungen, für alle Veranstaltungen, für die Wahlreisen und die Wahlhelfer. Je mehr davon, desto größer seine Chancen, gewählt zu werden, aber auch sein Geldbedarf. Die Lobbyisten rund um die Abgeordneten und Senatoren im Kongress sind sonder Zahl. Die Geschichte Pendergasts erscheint mir daher gar nicht so absonderlich.

      Das war Kansas City. In Memphis waren wir über die damals noch existierende strenge Trennung von Weißen und Schwarzen und der ganz offensichtlichen schweren Diskriminierung der Schwarzen geschockt. Viele Lokale verwehrten ihnen den Zutritt, im Autobus hatten sie auf den hinteren Sitzen Platz zu nehmen, im Kino auf dem meist sehr heißen, weil noch nicht klimatisierten Balkon, in der Eisenbahn in den jeweils für »Negroes« gekennzeichneten Waggons und auch die Schulen waren streng nach Rassen getrennt mit deutlichem Niveauunterschied.

      Otto Schönherr und ich beschlossen, uns anzusehen, wo die Schwarzen – heute werden sie Afroamerikaner genannt – wohnten und wie es dort aussah. Das nannte man damals Slum, und Slum stand für Verwahrlosung. Durch einen solchen Slum wanderten wir nun. Und fürs Erste waren wir überrascht. Viele Schwarze lebten in kleinen Häusern mit offener Veranda. Vor den Häusern standen Autos. In den Häusern gab es Fernsehgeräte und Kühlschränke. Für unsere Verhältnisse in Österreich recht unerwartet. Das erzählten wir dann auch unseren Kollegen bei der Zeitung.

      Die waren überrascht, dass wir das erstaunlich fanden, und sie hatten eine Erklärung dafür: Die Häuser seien filigran und meist baufällig, die Autos sehr alt, ebenso wie die Fernsehgeräte und Kühlschränke, daher billig oder beinahe umsonst zu haben. Nein, diese Menschen lebten nicht in guten Verhältnissen. Und das Schlimmste waren die Schulen, die ihnen zur Verfügung standen, kaum eine davon eine Mittelschule. All das und vieles mehr prangerten die Kollegen vom »Memphis Commercial Appeal« an.

      So lernten wir unsere Lektion. Verstanden dann aber Jahre später auch, was Martin Luther King für die Schwarzen bedeutete und was Präsident Lyndon B. Johnson mit seinem Programm der »Great Society« in den USA bewegte, angefangen damit, dass die Schulkinder in manchen Südstaaten von der Nationalgarde bewacht in die gemeinsamen Schulen gebracht wurden. Nein, die School of Journalism hatte uns dieses Training in Tennessee nicht zufällig zugedacht.

      Bemerkenswert auch, was wir in Cleveland vorfanden. Nicht die Zeitung selbst, die »Cleveland Press«, sondern die Art des Konkurrenzverhältnisses zwischen Cleveland und Chicago. Natürlich unvergleichlich, aber damals immerhin noch markant. In beiden Städten gab es noch Reste der früheren Gangster, die das Nachtleben beherrschten, das Glücksspiel, Alkohol und Rauschgift. So schnell wären wir da nicht draufgekommen, aber da meldete sich ein Mann namens Herman Pirchner, der mit einem deutlichen Tiroler Akzent sprach. Als Tiroler stellte er sich auch vor und richtete eine Einladung an uns. Wir mögen ihn besuchen, in seinem Lokal, das er »Alpine Village«, also Alpendorf, nannte. Dorthin begaben wir uns am Abend. Ein Nachtlokal, als große Almhütte eingerichtet. Alle Kellnerinnen und Kellner trugen Lederhosen. Auf dem Tanzparkett tanzte eine Gruppe hübscher Mädchen, ebenfalls in alpiner Tracht.

      Das also war das Reich des Herrn Pirchner, der mit Stolz berichtete, wie er als Tiroler in die USA auswanderte und hier als Kellner zu arbeiten begann. Heute war er reich und doch arm dran. Er ging schwer gebeugt, konnte sich nicht aufrichten. Und das erklärte er uns dann so: Er war in den Dreißigerjahren, noch in der Zeit der Prohibition, des allgemeinen Alkoholverbots, nach Cleveland gekommen und hatte begonnen, illegal Bier zu brauen und in einem »German Club« illegal auszuschenken. Das brachte die Mafia aus Chicago auf den Plan, die Pirchner unterwerfen wollte. Das gelang ihr zunächst auch. Aber Pirchner engagierte dann selbst eine Gang und als er auch noch ein Nachtlokal eröffnete, kam es zum offenen Kampf zwischen den Gangs. Pirchner wurde mit einer Maschinenpistole beschossen, deren Kugeln ihn quer von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte trafen, daher sein stets gebeugter Gang. Aber heute, so Pirchner, sei er der Herr von Cleveland. Sagte es und lud uns ein, in seinem großen Auto mit ihm in einen anderen Nightclub zu fahren.

      Das taten wir und trauten unseren Augen nicht. Kaum betrat Pirchner das Lokal, stimmte die Musik ein besonderes Lied an, zwei Manager eilten herbei und fielen beinahe auf die Knie, als sie Pirchner begrüßten. Es war nicht Pirchners Lokal, aber eindeutig von seiner Mafia abhängig. Was er uns auch bestätigte: In Cleveland hatten die aus Chicago nichts mehr zu reden. Die Schutzgelder kassierte seine Gang. Und was geschieht, wenn nicht gezahlt wird? Was ihm anfangs geschehen ist – das Lokal wird überfallen und zertrümmert.

      In Verlegenheit brachte uns Pirchner, als er uns zur mitternächtlichen Stunde bat, ihm doch die jetzige österreichische Hymne vorzusingen, und wir kamen damals nur mit Ach und Krach über die erste Strophe. Wer heute im Internet nach Pirchners »Alpine Village« sucht, erfährt, dass Pirchner 101 Jahre alt geworden und 2009 gestorben ist. Das »Alpine Village« ging in Konkurs.

      Die »Cleveland Press« und Cleveland waren die letzte Station auf unserer Weiterbildungsreise. Die Universität gönnte uns noch einen Ausflug an die nicht so weit entfernten Niagarafälle. Die waren natürlich ein großartiges Erlebnis. Aber danach sollte es nach Hause gehen. Also zunächst nach New York, Treffpunkt Grand Central Station, und von da auf zum Hafen. Die Rückreise, so hatte man uns gesagt, würde auf dem gleichen Schiff, der »General Maurice Rose«, erfolgen. Aber unter all den gedockten Schiffen war die »General Rose« nicht zu sehen. Bis uns der schon auf uns wartende Marineoffizier zu einem Schiff in gefleckter grün-braun-grauer Tarnfarbe führte. Und am Bug stand »General Maurice Rose«. Ja, sie war es wirklich! Der Koreakrieg war ausgebrochen, die »Maurice Rose« war über Nacht wieder ein Truppentransporter geworden. Kein weiß gestrichenes Schiff für reisende Kriegsbräute und österreichische Journalisten.

      Aber wir waren froh, doch wieder mit diesem für uns durchaus luxuriösen Schiff heimkehren zu können. So gingen wir an Bord. Und wurden eingewiesen – auf das F-Deck. Da ging es nicht hinauf, da ging es hinunter. Immer weiter hinunter, bis wir uns auf dem eisernen Boden des Schiffes befanden, in einer riesengroßen, dunklen Höhle. Und in der hingen so an die 50 Hängematten. Viele waren schon besetzt – von Soldaten, und alle waren Afroamerikaner. Das also war’s: Der Krieg im Fernen Osten löste die Furcht aus auch vor einem Krieg in Europa. Und die USA sorgten für rasche Verstärkung ihrer Truppen in Europa. Die »General Rose« war einer der Transporter, die dafür zu sorgen hatten. Die noblen Kabinen für die höheren Offiziere, in denen wir nach Amerika gereist waren, waren nun wieder für die höheren Offiziere reserviert. Wir hingegen waren wohl nur noch störende Elemente, für die irgendeine Stelle den Auftrag gegeben hatte, sie nach Europa mitzunehmen.

      Ich fand das eigentlich recht aufregend. Das würde doch ein spannender Reisebericht werden: Am untersten Deck, zusammen mit 50 schwarzen US-Infanteristen, da wird doch sicher Interessantes zu berichten sein. So dachte ich und tröstete damit meine teilweise recht unglücklich wirkenden Kollegen. Aber eine halbe Stunde später verschlug es auch mir den Atem. Ein Unteroffizier war erschienen, der von einem Papier weg laut die von nun an hier unten geltende Tagesordnung verlas: »F-Deck! Tagwache 4.30 Uhr, Frühstück 5.30 Uhr, Erholung an Deck 7.00 bis 9.00 Uhr, Mittagessen 10.30 Uhr, Abendessen 16.00 Uhr, Erholung an Deck 17.00 bis 18.00 Uhr, Nachtruhe 20.00 Uhr.«

      Insgesamt dürften wohl an die tausend oder mehr Soldaten an Bord gewesen sein, daher die strikte Einteilung der Mahlzeiten und Erholungspausen am Oberdeck. Doch da riss auch mir die Geduld. Ein Blick in die Runde: »Gemma!« Wie auf Kommando griff jeder nach seinem Koffer und schon eilten wir die steilen Eisenstufen hinauf – und kamen tatsächlich in der letzten Minute an der Gangway an, die hinüberführte zur Kaimauer, der Letzte von uns sprang schon über einen Spalt. Es war nicht das F-Deck, nicht die schwarzen Soldaten, es war die Tagesordnung, die uns vertrieben hat – acht Tage lang hätten wir pro Tag insgesamt nur drei Stunden an der frischen Luft verbringen können!

      Und nun? Zum Telefon. Wir hatten eine Nummer, um die Stelle zu erreichen, die im State Department für unsere Reise zuständig war. Die wies uns an, genau dort zu warten, wo wir gerade standen. Nach einer längeren Zeit erschien auch jemand,

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