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Neurasthenie, erklärte sie, und er habe ihr eine Klinik empfohlen. Natürlich, sagte er, egal, was es kostet. Die Trans-American Airlines hatten ihn saniert. Plötzlich stand ihm das Bild von Anna vor Augen, wie sie ihren BH fallen ließ, um ihre weißen spitzen Brüste zu entblößen, und er bekam weiche Knie. Diese Bilder erschienen völlig überraschend und mit absoluter Klarheit, wie Erinnerungen an etwas, was gestern Nacht passiert war. Seit vier Monaten schon, und es war kein Tag, keine Stunde vergangen, ohne dass er an sie gedacht hatte.

      Hör zu, Laura, sagte er, ich muss heute noch mal nach Boston. Aber es ist doch Freitag. Ich weiß, ich weiß. Der alte Foley hat angerufen – er will mich dringend sprechen –, wer weiß, vielleicht gibt er mir die Reiseführer zurück. Sag ihm, er soll sie sich sonst wo hinstecken, rief Laura mit Vehemenz. Nein, ich muss zu ihm fahren, sagte Garrett. Wir waren fünfzehn Jahre Geschäftspartner und so weiter, das bin ich ihm schuldig. Du bist ein Schwächling, Garrett, sagte sie. Klar, antwortete er. Ein Schwächling, wie er im Buche steht.

      Der Film, den sie im Rio zeigten, hieß The Golden Stranger, in den Hauptrollen Dalton Paul und Jayne Callot. Garrett war zu früh gekommen, eine Weile war er mit der gelangweilten Platzanweiserin allein im Saal. Langsam füllten sich die Reihen, und schließlich gingen die Lichter aus. Er hatte den Eingang gut im Blick, aber Anna hatte er nicht kommen sehen. Als der Film begann, überlegte er zu gehen, und ihn belustigte seine Annahme, eine Frau wie Anna würde jeden Freitagabend ins Kino gehen wie eine gewöhnliche Hausfrau. Er hatte kein Zimmer im Pamet Inn bekommen und eine Art Gasthof in Orleans gefunden, der einfach war, aber sauber. Doch konnte er tatsächlich eine Frau dorthin mitnehmen? Eine Frau wie Anna? Lächerlich, dachte er und versuchte, sich auf den Film zu konzentrieren, aber er hatte den Faden verloren, und der Mann, den er für den Schurken hielt, entpuppte sich als der Gute.

      Als er aus der Herrentoilette kam, sah er sie in der Lobby stehen, eine Zigarette rauchen. Draußen regnete es, kirschrote Tropfen rannen im Lichtkreis der Neonreklame an den Scheiben herab. Sie trug einen leichten Mantel und offenes Haar. Es ist kürzer als beim letzten Mal, dachte er, als er von hinten an sie herantrat und sie sanft am Ellbogen berührte.

      »Hi.«

      Sie drehte sich um, doch nach dem kurzen Aufblitzen freudiger Überraschung wurde ihr Blick hart und ängstlich.

      »Was machst du hier? Um Gottes willen!«

      Er sprach leise, mit ausdrucksloser Miene. »Ich musste dich sehen. Ich werde sonst verrückt. Ich muss die ganze Zeit an dich denken.« Er lächelte. »Es ist zum Heulen. Die ganze Zeit, den ganzen Tag denke ich an dich. Ich kann nicht anders.«

      Sie senkte den Blick und antwortete ebenso leise. »Ich weiß«, sagte sie. »Mir geht es genauso.« Dann blickte sie auf und lächelte falsch. »He, Schatz«, rief sie. »Schau mal, wer hier ist.«

      Garrett drehte sich um und sah den Mann, der im Pissoir neben ihm gestanden hatte. Ein großer gebeugter Herr mit Glatzkopf und schlaffem Gesicht, der zwanzig Jahre älter aussah als Anna.

      »Das ist Mr Rising – er hat Euclid gerettet.«

      »Der Himmel möge Sie strafen«, sagte der Glatzkopf mit einem Grinsen, das sein makelloses Gebiss entblößte. »Ich kann das Vieh nicht ausstehen.«

      »Charlie, sei nicht so grausam. Du liebst Euclid, und das weißt du.«

      »Wie mein eigen Fleisch und Blut. Wohnen Sie in Orleans, Mr Rising?«

      »Ich bin nur auf Besuch.«

      »Wechseln Sie die Straßenseite, wenn Sie Euclid das nächste Mal begegnen. Dafür wäre ich Ihnen sehr verbunden. Ich hole den Wagen, Liebling. War nett, Sie zu treffen.«

      Sie schüttelten sich die Hand, und Charlie, der Gatte, verschwand.

      Anna sah aus, als wollte sie in Tränen ausbrechen.

      »Du bist verrückt! Was soll das werden? Was denkst du dir dabei?«

      »Komm nach New York«, sagte er, zog eine Visitenkarte heraus und schrieb etwas auf die Rückseite. »Mein Büro ist Downtown, Greene Street. Im Hamilton Hotel Sixth Avenue Ecke Houston ist ein Zimmer für dich gebucht. Für einen Monat. Komm nach New York und ruf mich an.«

      »Nein.«

      »Wir müssen uns wiedersehen. Wenigstens ein Mal.«

      »Nein. Geh weg. Es ist vorbei.«

      »Wenigstens ein Mal.«

      Draußen vor dem Kino hupte es. Sie warf ihm einen wütenden, gehetzten, resignierten Blick zu und ging.

      Nachdem sie miteinander geschlafen hatten, zog Garrett Hemd und Hose an und machte eine Bestellung beim Zimmerservice: zwei Club-Sandwiches und zwei Bier. Als er das Tablett an der Tür entgegennahm, ignorierte er das dreckige Grinsen des Pagen.

      Sie aßen ihre Sandwiches und sprachen darüber, was sie füreinander empfanden und wie der Tag ihrer Begegnung am Strand ihr Leben verändert hatte.

      »Schicksal«, sagte sie.

      »Euclid«, sagte er, und sie mussten beide lachen.

      »Es ist aussichtslos«, sagte sie nach einer Weile. »Ich kann ihn nicht verlassen.«

      »Und ich kann sie nicht verlassen.«

      »Siehst du. Es ist aussichtslos.«

      »Wir können uns hier treffen.«

      »Und das nennst du Leben?«

      »Besser, als sich gar nicht zu treffen.«

      »Aber das ist doch sinnlos!«

      »Und welchen Sinn gibt es sonst? Wir sehen uns, alles andere ist unwichtig.«

      Sie stieß einen kleinen Schrei der Verzweiflung aus und drehte sich weg, das Gesicht zur Wand. Garrett starrte die Wand an. Die Tapete zeigte Ritter auf Streitrössern, Wimpel flatterten an ihren hochgereckten Lanzen. Das Bier hinterließ einen schalen Geschmack in seinem Mund. Vielleicht konnten sie ins Ausland fahren, sich für ein paar Tage wegstehlen – sich etwas ausdenken, um länger zu bleiben, sich gemeinsam durchschlagen. Kurze Momente waren jedenfalls besser als gar nichts, und der Gedanke, sie nicht wiederzusehen, war schlimmer als der Tod. Er spürte, dass ihre Hand nach ihm tastete, und er ergriff sie.

      »Wir müssen etwas tun«, sagte sie.

      »Das werden wir«, sagte er. »Versprochen.«

      »Was denn?«

      Es hob seine Stimmung, dass sie nun offenbar bereit war, es mit ihm zu versuchen, dieses Leben der kurzen Momente – der Momente im Glück.

      »Ich denke mir was aus.«

      »Und was?«

      »Ich weiß es nicht«, sagte er und starrte auf die Ritter mit den Lanzen. »Ich weiß es nicht.«

      Notizbuch Nr. 9

       [Im Lauf der Jahre hatte er sich angewöhnt, zu einsamen Restaurantbesuchen ein Notizbuch mitzunehmen, in das er seine Gedanken und Beobachtungen eintrug, weil er sein Alleinsein lieber mit Schreiben als mit Lesen kaschierte.]

      Heute keine Crab-Cakes, also bestellte ich verärgert einen Pseudo-Niçoise (ohne Kartoffeln). Dieses Lokal ist berühmt für seine Crab-Cakes, und das ist der Grund, weshalb ich hierherkomme – wie die meisten anderen Gäste. Warum gibt es die Crab-Cakes dann nicht täglich? Habe gerade Slang gesehen, interessanter Thriller, weil sich alles in einer Nacht abspielt. Eine eindeutige Hommage an Raupps Death Valley – man kann es auch Plagiat nennen –, aber ohne die Feinheiten, die liebevolle Figurenzeichnung. Schwächen: abrupte Wechsel von harmlos zu Hardcore; alberne Drehbuchideen (die Lapdance-Szenen, die Sprachschule); unglaubliche Zufälle – immer ein Zeichen versiegender Inspiration. Raupp macht es auch so, aber bei ihm funktioniert es irgendwie. Insgesamt ist der Film einfach nicht stimmig und, wie Pierre-Henri Duprez, glaube ich, mal irgendwo gesagt hat: Vor dem Publikum kannst du nichts verstecken. (Was aber so nicht stimmt: Man schaue sich den

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