Скачать книгу

Besoffen waren sie außerdem, aber das ist keine Entschuldigung. Weißt du noch?«

      »Ja, doch, daran erinnere ich mich.«

      »Na bitte. Nun, ich bin runter zum Strand und hab ihnen die Meinung gesagt. Keine Wirkung. Sie haben über mich gegrinst und sind mitsamt ihren Gewehren über die Insel getorkelt.«

      »Die waren schrecklich«, stimmte Mari zu.

      »Das waren sie. Und da hab ich gedacht, im Augenblick wäre das einzig Richtige und Gerechte, ein Loch in ihr Boot zu schießen, das würde ihnen eine Lehre sein, nicht wahr? Ein paar Löcher in die Wasserlinie, päng.«

      »Aber wie sind sie dann wieder nach Hause gekommen?!«, rief Mari aus.

      »Sie mussten das Boot ausschöpfen. Oder vielleicht hatten sie was zum Stopfen dabei.«

      Jonna und Mari schwiegen eine Zeit lang.

      »Komisch«, sagte Mari. »Du sagst, das war letztes Jahr?«

      »Ja. Oder im Jahr davor. Und das Boot war violett. Lila.«

      »Aber bist du ganz sicher, dass du ein Loch reingeschossen hast, oder hast du dir das nur vorgestellt?«

      Jonna stand auf und schob die Kiste mit dem gebrauchten Essgeschirr unters Bett. Dann sagte sie: »Vielleicht hab ich mir das nur vorgestellt. Aber die Idee müsste doch klar sein. Eins solltest du verstehen, es muss immer einen Angreifer geben. Einen, der angreift, wenn niemand sonst das wagt. Als Beschützer …«

      »Haha!«, rief Mari aus. »Du schaffst es immer wieder, dass ich allem Möglichen zustimme, das nicht zur Sache gehört! Jedenfalls macht es dir Spaß zu schießen!

      Gib zu, dass es Spaß macht! In der Mittsommernacht hast du den Schornstein der Sauna durchlöchert, und seither ist die Sauna voller Rauch. Hab ich da ein Wort verloren? Nein. Aber ich verabscheue diese Pistole, das lass dir ein für alle Mal gesagt sein!«

      Mari nahm den Abfalleimer und ging nach draußen.

      Nach einer Weile kam sie zurück.

      »Jonna, die sind wieder da. Dieses violette Plastikboot. Kannst du mal runtergehen und mit ihnen reden?«

      »So eine Frechheit«, sagte Jonna. »Aber vielleicht kommen sie ja, um sich zu entschuldigen. Womöglich bringen sie sogar Wasser mit. Oder Brennholz. Warte, ich geh mal runter und schau nach.«

      Als Jonna die Strandwiese schon halbwegs überquert hatte, kam Mari hinter ihr hergerannt. »Nimm die hier«, sagte sie. »Man kann nie wissen.« Und damit reichte sie Jonna die Pistole.

      KATZENFISCH

      Der Sommer war schon im Juni angekommen. Immer noch ging Jonna langsam von Fenster zu Fenster und glaubte, das würde niemand merken, klopfte ans Barometer, trat vors Haus, ging auf die Landzunge hinaus und kam wieder herein, machte die eine oder andere Bemerkung über Dinge, die nicht ordentlich erledigt worden waren, schimpfte über die verdammten Möwen, die immer nur kreischten und kopulierten, und teilte ihre Ansicht über das Lokalradio mit, das so unglaublich idiotische Sendungen brachte, zum Beispiel über Amateure, die Ausstellungen machten und sich für Gott weiß was hielten. Und die ganze Zeit war gnadenlos schönes Wetter.

      Mari sagte nichts, was sollte sie schon sagen.

      Schließlich fing Jonna an, ihre große unantastbare Barrikade gegen den Beruf zu bauen, das ›Leiden am Beruf‹; mit kleinen, fein geschliffenen Werkzeugen begann sie kleine erlesene Gegenstände aus Holz zu formen, immer kleiner und kleiner, schöner und schöner. Sie fuhr zu den westlichen Inseln, um im Wald Wacholderholz zu suchen, sie wanderte an den Ufern entlang und sammelte Angeschwemmtes, ungewöhnliche Holzarten, ungewöhnliche Formen, die zu einer Idee führen könnten. Alles wurde in symmetrischen Stapeln auf der Hobelbank geordnet, die kleineren, die größeren, jedes von der See geschliffene Holzstück mit seinen ganz eigenen speziellen Möglichkeiten, einen daran zu hindern, Bilder zu machen.

      An einem dieser Tage saß Jonna auf dem Felsen und verpasste einer ovalen Holzdose den letzten Feinschliff; sie behauptete, es sei afrikanisches Holz, hatte den Namen aber vergessen.

      »Kriegt sie auch noch einen Deckel?«, fragte Mari.

      »Natürlich.«

      »Hast du schon immer mit Holz gearbeitet? Damit meine ich nicht Holzschnitt oder Holzstich, sondern richtig?«

      Jonna legte die Dose weg. »Richtig«, wiederholte sie. »Na, das war ein glorioser Kommentar! Versuch jetzt bitte zu begreifen, dass ich spiele. Und ich habe vor, weiterzuspielen. Hast du vielleicht etwas dagegen?«

      Die Katze kam heran, setzte sich vor Mari und Jonna hin und starrte sie unverwandt an.

      »Fisch«, sagte Mari. »Wir sollten das Netz einholen.«

      »Und was passiert, falls ich nur noch spiele? Nichts anderes mehr mache, bis ich sterbe? Was sagt ihr dann?«

      Die Katze schrie, ziemlich ärgerlich.

      »Und die Ambitionen«, sagte Mari, »was machst du damit?«

      »Nichts. Überhaupt nichts.«

      »Was ist, wenn du es nicht lassen kannst?«

      »Das kann ich. Begreifst du denn nicht, dafür ist keine Zeit mehr. Unentwegt dranbleiben, beobachten, nichts als beobachten, bis zur Verzweiflung beobachten, Bilder, die keinen Fliegenschiss bedeuten, bevor man sie ausführt, sie ändert, das soll für ein Leben reichen, für das einzige Leben, das man hat? Übrigens sehe ich keine mehr. Hab ich nicht recht?«

      »Doch«, sagte Mari. »Du hast recht.«

      Der Himmel hatte sich zugezogen, es lag Regen in der Luft. Die Katze maunzte noch einmal.

      »Fisch«, sagte Mari. »Das Katzenfutter ist alle.«

      »Das Netz kann doch bis morgen liegen bleiben.«

      »Nein. Was ist, wenn der Wind zunimmt? Dann bleibt es am Grund hängen, voller Seegras. Du weißt doch – Onkel Torstens letztes Netz.«

      »Okay, okay«, sagte Jonna. »Das heilige Netz von deinem Onkel Torsten, das er mit neunzig geknüpft hat.«

      »Mit über neunzig. Wir haben es nicht richtig ausgelegt. Ich weiß, dass wir es zu nah an Land ausgelegt haben, dort gibt es nichts als Steine.«

      Die Katze begleitete sie bis ans Ufer. Jonna ruderte und Mari saß hinten im Boot, um einzuholen. Der Schwimmer war weit hinter die Landzunge hinausgetrieben. Wind war aufgekommen.

      »Wir kommen nicht vom Fleck«, sagte Jonna, »siehst du das nicht? Wir stampfen auf der Stelle, dein Onkel und sein verflixtes Netz …«

      »Red nicht so viel. Es war das Letzte, was er gemacht hat. Ein bisschen mehr nach rechts, nein, nein, anders herum! Bremsen, leicht bremsen … Jetzt hab ich es.« Mari holte die Leine ein und erwischte die Netznadel. »Genau wie ich gesagt hab, es hat sich am Grund festgehakt. Halte gegen den Wind … im Kreis rudern. Nicht rudern! Bremsen! Das ist ja hoffnungslos. Und dabei ist es sein letztes Netz.«

      »Jaja«, sagte Jonna, »schön, großartig, es kommt nicht rauf, und wenn es nicht raufkommt, dann kommt es eben nicht rauf. Ich ruder ja im Kreis, ich ruder im Kreis! Was willst du!«

      Mari hielt das Netz mit beiden Händen und spürte, wie es riss und dort unten zwischen den Steinen auf dem Grund zerfetzt wurde. Alles, was sie eingeholt hatte, glitt von der Netznadel und landete in einem einzigen wirren Haufen auf dem Bootsboden, und Jonna rief: »Lass es los, gib’s auf!« Dann rutschte alles über die Reling zurück, bis die Netznadel den Schwanz hochstreckte und verschwand.

      Jonna ruderte gegen den Wind zurück und krachte mit dem Bug an den Felsen; dort saß die Katze und schrie. Sie vertäuten nichts, blieben nur auf den Ruderbänken sitzen. Im Süden war das Meer schwärzer geworden, inzwischen ging ein ziemlich heftiger Wind.

      »Na und? Na und?«, sagte Jonna. »Hör auf, um ein Netz zu trauern, traure lieber um

Скачать книгу