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hielt ich's nicht mehr länger aus.

      Ich verdingte mich in einer Schlangenbude auf dem Hamburger Dom (Jahrmarkt). Eine Riesenschlange wurde dort vorgeführt. Fünf Männer in Matrosenanzügen trugen sie auf den Schultern. Der kleinste davon und der einzige, wirkliche Seemann war ich. Ich trug das Schwanzende. Herr Malferteiner, der Budenbesitzer, im dunkeln Anzug und mit Lackschuhen, erklärte mit durchdringender Stimme: »Die Rriesenschlange! – Bo – a – – constrrictorr! – Ihre Heimat ist Südamerika. Der Biß derselben ist nicht gefährlich, da dieselbe nicht giftig ist. Menschen und Tieren wird sie gefährlich durch ihre gräßliche Gewalt und durch die Kraft ihrer Muskeln. Denn sie ringt in der Freiheit mit dem Löwen und dem Tiger und besitzt auch die Kraft, dem größten und stärksten Büffelochsen mit ihren Muskeln alle Knochen zu zerbrechen, sobald sie ihn umschlungen hat.« (Pause zum Staunen.) »Gefüttert wird sie alle drei bis vier Wochen mit lebenden Schweinen, auch Schaflämmern oder Ziegenlämmern.« (Pause. Dann mit gehobener Stimme.) »Tausend Mark bietet die Direktion jedem Besucher Prämie, der beweisen könnte oder würde, wo er schon jemals in Europa ein zweites Exemplar dieser Riesenschlange gesehen hätte.« (Es brauchte nur jemand den Deckel der großen, grünen Kiste in unserer Bude aufzuheben. Da hätte er ein gleichgroßes zweites Exemplar dieser Boa entdeckt, das dort zur Reserve aufbewahrt wurde.) »Herrschaften, welche zu spät kamen und nicht alles gesehen haben, können ruhig noch bleiben bis zur nächsten Vorstellung. Vorsichtig! Schnell!«

      Die letzten Worte richtete er, wie erschrocken, an uns Matrosen. Wir mußten nun hin und her schwankend so tun, als würde die schwere Schlange wild. In Wirklichkeit war sie leicht und ganz apathisch, beinahe leblos. Unter lauten Kommandos, wie »Alle Mann« – »Deckel auf« wurde sie nun in einen zweiten Kasten zwischen Decken gelegt. Die Vorstellung war zu Ende. Magnus, der älteste von uns Angestellten, beantwortete übertrieben oder unwahr die Fragen der sich langsam entfernenden Zuschauer.

      »Wie lang ist sie?«

      »Vierundzwanzig Fuß!«

      »Wieviel wiegt sie?«

      »295 Pfund.«

      »Wie alt ist sie?«

      »Über tausend Jahre.«

      »Kann sie stehen?«

      Magnus lief manchmal plötzlich davon. Es wurden die dümmsten Fragen gestellt. Es fielen auch immer wieder dieselben Witze und Bemerkungen. »Ein netter Aal!« Auch immer wieder dieselben Antrage: Ich sollte doch einmal den Salamander in den Schwanz zwicken oder dem Pelikan eine Feder ausrupfen. Der hatte ja fast keine mehr.

      Zum Schluß der allerletzten Vorstellung abends pflegte Herr Malferteiner noch dem Publikum für den freundlichen und zahlreichen Besuch der Ausstellung zu danken. Auch wenn er gelegentlich nur zu einem Zuschauer oder zu zwei Zuschauern sprach. Er dankte dann »im Namen der Direktion«. Hinterher gab's für uns noch mühevolle Arbeit bis weit über Mitternacht.

      Einmal erlebte ich, daß die eine Riesenschlange gefuttert wurde. Sie verschlang hintereinander ganz langsam fünf lebende, aber sich fügende Opfer. Drei Hühner, ein Kaninchen und ein ganz junges Ferkel. Nur das Ferkel gab Tone von sich, quiekte jämmerlich. Damit sollte die Schlange für die nächsten vier Wochen gespeist sein. Aber am nächsten Tage erkrankte sie und gab die fünf Tiere tot und schleimbedeckt wieder von sich.

      Die Riesenschlange war der Clou und der Schluß der Vorstellung, die etwa fünfundzwanzig Minuten dauerte. Vorher führten Alex und Bruno eine Felsenschlange, eine Rieseneidechse, eine Abgottschlange und einen mit Sägespänen panierten Riesensalamander vor. Ich stand derweilen neben dem Kasten der Python tigris und dem dürren Pelikan Peter, der nie überfüttert wurde, damit er recht gierig nach den ihm zugeworfenen Schellfischbrocken schnappte. Dabei fiel er zwar meistens um, so alt und gebrechlich war er, aber das war der Moment, wo das Publikum in lautes Lachen ausbrach. Vielleicht aus Hunger zwickte er mich oft in die Beine.

      In der Mitte des grell beleuchteten Zeltes sah man in einem seichten Bassin ein paar Krokodile.

      Wieviel Arbeit war um solch Theater! Ich hatte Dienst von sechs Uhr morgens bis zwei Uhr nachts. Dann erhielt ich fünfzig Pfennige Lohn und schlief mit den anderen männlichen Angestellten in einem Wagen auf Strohsäcken. Meine Wolldecke wies helle Flecke auf, von der Boa constrictor.

      Das Aufstehen fiel schwer. Ich mußte in einer fahrbaren Tonne Wasser von weit herholen. Draußen war's eklig kalt. Ich mußte unter einem rostigen Wasserkessel Feuer anmachen. Um neun Uhr sollte es kochen. Das Wasser im Krokodilbassin wurde damit auf 20 Grad gebracht. Die Überzüge von den Kisten mußten abgeschnallt werden. Wir trieben die Krokodile mit Rohrstockhieben und Fußtritten ins Wasser. Der durch Wärmflaschen geheizte Kasten, worin sämtliche Schlangen übernachteten, wurde geöffnet und die einzelnen Tiere in Sonderbehälter verteilt. Draußen nagelten wir Blechschilder an, die gräßliche Ungeheuer im Kampfe mit wilden Völkerstämmen zeigten oder Inschriften trugen wie »Eintritt heute nur 10 Pfennige«. Und so weiter. Viel Arbeit mit dem üblichen Geschimpfe und mit Schikanen.

      Der Chef setzte sich an die Kasse. Der heisere Rekommandeur erschien, kämmte sich die Haare und lockte auftretend die Dombesucher herein: »Das Neueste der Neuzeit, die Riesenschlange!« Dann schlug Herr Malferteiner mit einem Holzklöppel gewaltig an einen Eisenteller, ein letztes Zeichen, daß die Vorstellung nun unwiderruflich begann.

      Im allgemeinen freuten wir uns, wenn ein Zuschauer eine Frage an uns richtete. Es war dann möglich, auf eine Zigarre oder auf ein Trinkgeld hinüberzuleiten oder einen derben Witz öffentlich anzubringen. Kleine, nette Scherze begaben sich. Manchmal war das Leben dort behaglich. Ich kam während und nach der Arbeit mit den Angestellten der anderen Schaubuden und Lustbarkeiten zusammen. Leute vom Dampfkarussell, vom Hippodrom und vom »Theater der Aufsehen Erregenden«. Mit Tilde von der Schießbude erneuerte ich eine ältere Bekanntschaft. Peter, der Pelikan, war mein treuer Freund.

      Malferteiner wohnte mit Frau und Kindern in einem zweiten Wagen. Sein Dienstmädchen Mathilde brachte uns zu den Mahlzeiten die derbe Kost. Tagsüber befanden wir uns in einem Strudel von Musik aus vielen Drehorgeln. Nachts kamen die Domartisten in einer kleinen Kneipe zusammen, wo es recht heiter und bunt herging. Dort tranken wir Pfefferminzschnaps, rauchten Pfeife und klönten.

      Wenn ich bei dieser Lebensweise auch leider nicht dazu kam, mich nebenher nach einem Schiff umzusehen, so tröstete es mich doch, daß ich wenigstens nicht mehr meinem Vater zur Last fiel.

      Aber nicht lange blieb ich in der Bude. Herr Kerner benachrichtigte mich, daß er ein Schiff für mich hätte. Ich möchte gleich mit Sack und Pack zu ihm kommen.

      »Hurra! Habe Chance!« depeschierte ich glücklich an meinen Vater. Und dann kündigte ich Malferteiner und zog mit meinem Gepäck davon.

      Doch die Schiffsnachricht war nur eine Erfindung von Kerner. Er hatte erfahren, daß ich in einer Schlangenbude arbeitete und meinte, das wurde meinen Vater sehr peinlich berühren. Deshalb hatte er mich mit falschem Alarm dort weggelockt. Enttäuscht und zornig war ich. Nun mußte ich wieder ein Dementi nach Köln senden, wo Papa derzeit seine alljährlich größte Einnahme dadurch verdiente, daß er eine Tapetenfabrik als Farbenkenner beriet Zu Malferteiner mochte ich nicht mehr zurück, weil ich bei meinem Abschied ziemlich hochnäsig aufgetreten war. So zog ich nun zu dem Heuerbas Persson und begab mich wieder auf die Stellungssuche, nahm auch die alten Beziehungen zu De Freitas und anderen wichtigen Herren auf. Zufällig lief die »Potosi« gerade an diesem Tage ein. Ich ging sofort an Bord der stolzen Fünfmastbark. Aber es ergab sich hier nichts und anderwärts nichts. Vater sandte mir Geld, schrieb aber ziemlich betrübt, daß ihm das auf die Dauer sehr schwer fallen wurde. Er hatte für meine Geschwister viel Ausgaben. Wolfgang studierte in Freiberg i.S. Bergfach, war Korpsstudent und mit einer Stadtratstochter verlobt. Meine Schwester war Schauspielerin geworden und erlebte an einer Provinzbuhne hübsche, künstlerische Erfolge, aber auch die üblichen Enttäuschungen.

      Persson wurde mir zu teuer. Ich zog wieder zu Krahl, wo ich meine Miete schuldig bleiben konnte, wenn ich für Frau Krahl gelegentlich Messer putzte oder Holz hackte. Es herrschte dort noch dasselbe wüste Schiffsjungenleben wie bisher. Man schlug und beschimpfte sich. Ein Rachsüchtiger warf sogar eine Gewehrpatrone in den Ofen. Bei der Explosion

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