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Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band)
Год выпуска 0
isbn 9788075833211
Автор произведения Rosa Luxemburg
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Überblickt man den Verlauf und die Ergebnisse dieser ersten Kontroverse, so sind zwei Punkte festzustellen:
1. Trotz aller Konfusion in der Analyse Sismondis kommt seine Überlegenheit gegenüber der Ricardoschule wie gegenüber dem angeblichen Chef der Smithschen Schule zum Ausdruck: Sismondi betrachtet die Dinge vom Standpunkte der Reproduktion, er sucht Wertbegriffe - Kapital und Einkommen - und sachliche Momente - Produktionsmittel und Konsummittel - so gut es geht in ihren Wechselbeziehungen im gesellschaftlichen Gesamtprozeß zu erfassen. Darin steht er Ad. Smith am nächsten. Nur daß er die Widersprüche des Gesamtprozesses, die bei Smith als dessen subjektive theoretische Widersprüche erscheinen, bewußt als den Grundton seiner Analyse hervorhebt und das Problem der Akkumulation des Kapitals als den Knotenpunkt und die Hauptschwierigkeit formuliert. Darin bedeutet Sismondi einen unzweifelhaften Fortschritt über Smith hinaus. Ricardo hingegen mit seinen Epigonen sowie Say stecken in der ganzen Debatte lediglich in den Begriffen der einfachen Warenzirkulation, für sie existiert nur die Formel W - G - W (Ware - Geld - Ware), wobei sie sie noch in einen direkten Warenaustausch verfälschen und mit dieser dürren Weisheit sämtliche Probleme des Reproduktions- und Akkumulationsprozesses erschöpft haben wollen. Das ist ein Rückschritt hinter Smith, und gegen diese Borniertheit ist Sismondi entschieden im Vorteil. Gerade als sozialer Kritiker zeigt er hier viel mehr Sinn für die Kategorien der bürgerlichen Ökonomie als ihre eingeschworenen Apologeten, genauso wie später Marx als Sozialist unendlich schärferes Verständnis für die Differentia specifica des kapitalistischen Wirtschaftsmechanismus bis ins einzelne erwiesen hat als die gesamte bürgerliche Nationalökonomie. Wenn Sismondi (im Buch VII, Kapitel VII) gegen Ricardo ruft: "Was, der Reichtum ist alles, die Menschen nichts?", so kommt darin nicht bloß die "ethische" Schwäche seiner kleinbürgerlichen Auffassung im Vergleich mit der streng klassischen Objektivität Ricardos zum Ausdruck, sondern auch der durch soziales Empfinden geschärfte Blick des Kritikers für lebendige gesellschaftliche Zusammenhänge der Ökonomie, also auch für deren Widersprüche und Schwierigkeiten, dem die steife Borniertheit der abstrakten Auffassung Rirardos und seiner Schule entgegensteht. Die Kontroverse hat nur unterstrichen, daß Ricardo wie die Epigonen Smith' gleichermaßen nicht imstande waren, das ihnen von Sismondi aufgegebene Rätsel der Akkumulation auch nur zu erfassen, geschweige zu lösen.
2. Die Auflösung des Rätsels wurde aber auch schon dadurch unmöglich gemacht, weil die ganze Diskussion auf ein Nebengeleise geschoben und um das Problem der Krisen konzentriert wurde. Der Ausbruch der ersten Krise beherrschte naturgemäß die Diskussion, verhinderte aber ebenso naturgemäß auf beiden Seiten die Einsicht in die Tatsache, daß Krisen überhaupt nicht das Problem der Akkumulation, sondern bloß deren spezifische äußere Form, bloß ein Moment in der zyklischen Figur der kapitalistischen Reproduktion darstellen. Daraus ergab sich, daß die Debatte schließlich in ein doppeltes Quiproquo auslaufen mußte: Die eine Seite deduzierte dabei direkt aus den Krisen die Unmöglichkeit der Akkumulation, die andere direkt aus dem Warenaustausch die Unmöglichkeit der Krisen. Der weitere Verlauf der kapitalistischen Entwicklung sollte beide Deduktionen gleichermaßen ad absurdum führen.
Bei alledem bleibt Sismondis Kritik als erster theoretischer Alarmruf gegen die Kapitalsherrschaft von hoher historischer Bedeutung: Er zeigt die Auflösung der klassischen Ökonomie an, die mit den von ihr selbst wachgerufenen Problemen nicht fertig werden konnte. Wenn Sismondi gegen die Konsequenzen der kapitalistischen Herrschaft einen Angstschrei ausstößt, so war er sicher nicht ein Reaktionär in dem Sinne, daß er etwa für vorkapitalistische Verhältnisse schwärmte, wenn er auch gelegentlich die patriarchalischen Produktionsformen in Landwirtschaft und Gewerbe mit Wohlgefallen gegen die Kapitalsherrschaft in Vorteil setzt. Er verwahrt sich dagegen wiederholt und sehr energisch, so z.B. in seinem Aufsatz in der "Revue encyclopédique" gegen Ricardo: "Ich höre schon den Einwand erheben, daß ich mich der Vervollkommnung des Landbaues, der Künste und aller Fortschritte des Menschen entgegenstelle, daß ich ohne Zweifel die Barbarei der Gesittung vorziehe, da der Pflug eine Maschine ist und das Grabscheit eine noch ältere, und daß nach meinem System der Mensch die Erde lediglich mit seinen Händen hätte bearbeiten sollen. Ich habe nichts Ähnliches gesagt, und ich muß mich ein für allemal gegen jede Folgerung verwahren, die man meinem System unterlegt und die ich nicht selbst gezogen habe. Ich bin weder von denen, die mich angreifen, noch von denen, die mich verteidigen, verstanden worden, und mir ist ebensooft über meine Verbündeten wie über meine Gegner die Schamröte ins Gesicht gestiegen ... Man beachte wohl, nicht gegen die Maschinen, nicht gegen die fortschreitende Gesittung oder gegen die Erfindungen richten sich meine Einwendungen, sondern gegen die heutige Organisation der Gesellschaft, eine Organisation, die, während sie den Arbeitenden jedes anderen Eigentums beraubt als seiner Arme, ihm nicht die geringste Gewähr gibt gegen einen Wettbewerb, gegen den tollen Handel, der stets zu seinem Nachteil ausschlägt und dessen Opfer er naturgemäß werden muß." Der Ausgangspunkt in der Kritik Sismondis sind zweifellos die Interessen des Proletariats, und er ist vollkommen im Recht, wenn er seine Grundtendenz so formuliert: "Ich wünsche nur nach Mitteln zu suchen, die Früchte der Arbeit denen zu sichern, die die Arbeit leisten, den Nutzen der Maschine dem zuzuwenden, der die Maschine in Tätigkeit setzt." Freilich, wenn er die soziale Organisation näher angeben soll, die er anstrebt, kneift er aus und bekennt seine Unfähigkeit: "Was wir tun sollen, ist eine Frage von unbegrenzter Schwierigkeit, die wir keineswegs die Absicht haben, heute zu behandeln. Wir wünschen die Nationalökonomen zu überzeugen, so vollständig, wie wir selbst davon überzeugt sind, daß ihre Wissenschaft bis jetzt eine falsche Bahn verfolgt hat. Wir haben aber nicht das nötige Zutrauen zu uns, um ihnen den wahren Weg zu zeigen; es hieße unserem Geiste eine zu große Anstrengung zumuten, die Gestaltung der Gesellschaft, wie sie sein soll, darzulegen. Wo wäre indessen ein Mensch stark genug, um sich eine Organisation zu denken, die noch nicht vorhanden ist, um in die Zukunft zu sehen, da es doch schon Mühe genug kostet, nur das Vorhandene zu sehen?" Dieses offene Bekenntnis der Unfähigkeit, über den Kapitalismus hinaus in die Zukunft zu blicken, gereichte Sismondi um das Jahr 1820 sicher nicht zur Schande - zu einer Zeit, wo die Herrschaft des großindustriellen Kapitals erst die geschichtliche Schwelle überschritten hatte und wo die Idee des Sozialismus nur erst in utopischer Gestalt möglich war. Da indes Sismondi auf diese Weise weder über den Kapitalismus hinaus noch hinter ihn zurückgehen konnte, so blieb für seine Kritik nur der kleinbürgerliche Mittelweg übrig. Die Skepsis in bezug auf die Möglichkeit der vollen Entfaltung des Kapitalismus und somit der Produktivkräfte führte Sismondi zu dem Ruf nach der Dämpfung der Akkumulation, nach der Mäßigung des Sturmschritts in der Expansion der Kapitalsherrschaft. Und hier liegt die reaktionäre Seite seiner Kritik.93
Vierzehntes Kapitel.
Malthus
Gleichzeitig