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hin. – »Soll man die Sklavenkette auch noch sehen!« Er drückte auf das Schloß, das ging nur schwer, daß er mit seinen stählernen Reiterhänden daran zerren mußte. Es wich ein Glied, er konnte es abstreifen. Er öffnete eine kleine Kassette und warf das Armband achtlos hinein. An seinem kräftigen und doch feinen Gelenk, das so schön zu den schmalen festen Händen paßte, erschien, durch das Zerren in ein dunkles Rot getaucht, das alte Zeichen. Sollte das wirklich das Denkmal eines alten Unrechts, fast einer alten Schande sein! Es hatte immer als seltsam treubewahrtes Spiel der Natur gegolten, wie etwa die hängende Unterlippe der Habsburger. Keine Überlieferung war ihm zu Ohren gekommen, die versucht hatte, das alte Zeichen zu deuten.

      »Ich muß morgen doch mit dem Thorsteiner sprechen. – Das blaue Männlein hat er mir doch aufgefunden. Ich muß ihn fragen, was er von diesen Dingen hält. Ob es wohl ererbte Erinnerungen gibt? Ich kann die Kleine und ihren Freund wohl ruhig den Winter über beisammen lassen. Es ist ja viel besser im Grunde für sie als Berlin und Charlotte, die sich gar nichts aus ihr macht!

      O Wunderliches! Ich möchte dich immer mehr gewinnen. Ich danke dir für dein Geheimnis.«

      Und er sah auf zu dem geheimnisvoll lächelnden Seelchen, um dessen Hände fein wie ein Hauch der rote Streifen lief, wie um die seinigen ...

      Dreizehntes Kapitel.

       Die Kirchenstube

       Inhaltsverzeichnis

      Es ist ein schöner und stiller Winter in Brauneck. Rosmarie läuft Schlittschuh auf dem Fluß, wo es sicher ist, und geht mit Eifer in ihren Konfirmationsunterricht. Sie läßt ihre Haare nicht mehr offen hängen, sie werden schon zu lang dazu. Sie bekommt zwei breite Zöpfe geflochten, die mit einem Band vereinigt sind, und ein dunkelblaues Schulkleid mit Mantel und Kappe. Frau von Hardenstein begleitet sie bis an den Eingang der Kirchenstube, die hoch und dunkelgetäfert ist und in der die langen schwarzen, mit weißer Schrift bemalten Tafeln hängen. Die Namen der längst verstorbenen Hofprediger, Speziale und Stiftsprediger stehen darauf, alle mit weißen Kreuzen hinter den Namen. In Brauneck war einst ein Chorherrenstift gewesen, das die alten Braunecker Herren begründet hatten. Der jetzige Prinzessinnenbau, ein schönes, steinernes Giebelhaus, war das Stift gewesen. Nun lebte von allem nur noch der alte Titel fort. Der erste Name ist aus dem Jahre 1588.

      Alte Holzkästen, roh, unangestrichen, stehen da, und es wäre sehr interessant, in sie hineinsehen zu dürfen. Auf dem Pulte, der auch von rohem Tannenholze ist, steht ein großes altes geschnitztes Kruzifix, überall an den Wänden, dem Pulte, sind ungezählte Tintenflecke und -Spritzer. Rosmarie wunderte sich im stillen, warum es wohl hier Tinte geregnet habe. Sie sitzt mit den Mädchen auf der hinteren Bank, die Knaben sitzen vorne. Rosmarie liebt bald die alte Kirchenstube aufs innigste. Es ist eine ganz besondere Luft da. Ein kleines braunes Kachelöfchen mit Löwenfüßen muß mit buchenen Klötzen gefüttert werden. Dann brummelt es vor sich hin und hat ein feuriges Äuglein und streckt plötzlich eine lange goldene Zunge heraus. Die beste Schülerin, die Erste, wie sie genannt wird, hat das Ehrenamt, den Ofen zu füttern. Es wäre Rosmaries höchster Ehrgeiz, einmal mit diesem Amt betraut zu werden. Aber mit einem Seufzer der Beschämung gesteht sie sich, daß sie dies hohe Ziel auch wohl bis zum nächsten Jahre nicht erreichen wird. Die andern Kinder, namentlich die Mädchen, wissen so viel.

      Nach dem Unterricht wird gebetet, und nun kommt ein stolzer Augenblick. Rosmarie wird nicht abgeholt, sondern geht mit den andern Mädchen in breiter Reihe den Weg zum Schloß hinunter. Die Mädchen haben wohl zum Teil einen andern Weg, aber ihre Bank begleitet sie immer bis zur Schloßbrücke. Weiter trauen sie sich nicht, denn da gehen schon die Schokoladefarbenen. Zuerst sprechen sie nichts miteinander. Rosmarie wagt nicht anzufangen und die andern auch nicht. Aber einmal ist Postmeisters Eugenie so freundlich und zeigt Rosmarie in der Stunde eine Bibelstelle, die in ihrer Bibel absolut nicht zu finden war. Und nun ist das Eis gebrochen. Auf dem Heimwege sprechen schon alle durcheinander wie die jungen Vögel. Die Zöpfe fliegen und die Röckchen, und die Zungen stehen keinen Augenblick still. Rosmarie sagt am wenigsten, aber sie lächelt zu dem, was die andern sagen, und hört so eifrig zu, als habe sie im Leben nie Interessanteres gehört, als daß Apothekers Julie den schlechtesten Aufsatz gemacht habe, und daß es bei Notars ein kleines Kind gebe. Ein Kinderwagen stehe schon im Hausflur, ganz weiß mit vergoldeten Knöpfen.

      Und eine ganz Kühne will wissen, ob es wahr sei, daß Rosmarie zum Frühstück immer Schokolade mit Schlagsahne und gefüllte Krapfen bekomme und jeden Tag alles frisch von Kopf bis zu Fuß anziehe. Zu der Schlagsahne will sich nun Rosmarie nicht bekennen, aber sie sagt errötend:

      »Man kann doch nur frische Wäsche tragen.«

      Rosmarie bemüht sich, ebenso mit den Zöpfen zu schlenkern und die Bücher hin und her zu schwingen wie die andern Mädchen. Wenn sie aber einen Spruch aufsagen soll, so grinsen die Buben und kichern die Mädchen. Es klingt so kurios. Als wollte sie zu singen anheben, und so hoch! komisch ist's. Rosmarie strengt sich sehr an, um den schulmäßigen Leierton, mit dem die andern aufsagen, herauszubringen. Als es ihr aber zum erstenmal gelungen ist, einen Spruch schier wie Postmeisters Eugenie herzusagen, da runzelt der Herr Stiftsprediger die Stirne und sagt:

      »Rosmarie, wo sind Ihre Gedanken? Sagen Sie erst wieder einen Spruch auf, wenn Sie auch etwas dabei denken wollen.«

      Rosmarie setzt sich glührot nieder, mit Mühe hält sie die Tränen zurück. Herrn Stiftsprediger zu erzürnen ist ihr furchtbar. Sie muß sich so bitterlich schämen, daß sie am Schluß nur nach ihrem Mantel greift, ihre Mütze vergißt und allen voranläuft in ihr bergendes Schloß. Und dreimal übergeht sie beim Aufsagen der Herr Stiftsprediger: welchen Schmerz er ihr damit bereitet, kann er freilich nicht wissen. Ihr Lehrer bekommt einen Platz in ihrem Herzen gar nicht so sehr weit unter Harro. Dem Thorsteiner wird es langweilig, immer nur von der Kirchenstube zu hören. Frau von Hardenstein bekommt den ganzen Unterricht zu Hause noch einmal erzählt, fast Wort für Wort, mit jedem Stirnrunzeln und Innehalten und wann Herr Stiftsprediger Rosmarie bei einer Stelle besonders angesehen hat. An Ostern ist leider der schöne Unterricht zu Ende. Apothekers Julie und Postmeisters Eugenie werden konfirmiert und Rosmarie wird im nächsten Jahr auf die erste Bank vorrücken. Wenn Rosmarie nicht eine Prinzessin wäre, so dürfte sie gewiß auch den Ofen schüren, meint die zweite Bank. Und dann ist alles, wie es vorher war. Rosmarie geht nicht mehr mit den Mädchen in Reihen über die Straße. Die grüßen sie scheu, und wenn sie mit Frau von Hardenstein bei ihnen stehen bleibt, so wissen sie nicht viel zu sagen.

      Papa kommt und später Mama, und die bringt eine Masse schöner Toiletten mit und eine französische Kammerfrau. Und einen ganzen Vetternschwarm. Kein Mensch kann mehr Vettern haben als Mama. Harro läßt sich gar nicht mehr blicken, so wenig freuen ihn die Vettern. Die auf die Jagd gehenden, die Klavier spielenden, die Scheiben schießenden, die mit dem Kodak herumlaufenden und knipsenden Vettern, sie freuen ihn alle gleich wenig. Zum Glück bleibt wenigstens der Lindenstamm, Rosmaries eigenstes Reich, vetternfrei. Papa hat Falten auf der Stirne und müde Augen. Aber als Mama in Bayreuth ist, werden doch ein paar Feste gefeiert, der Lilientag und eine wunderbare Ausgrabung seltsamer Altertümer auf der Römerwiese. Und zum erstenmal festet Papa mit, und zu Rosmaries größtem Erstaunen gehört er zu den Menschen, die Feste feiern können. – Wenn man ihn allein hat! –

      Im Herbst gehen Fürst und Fürstin nach Tirol auf die Gemsenjagd, und Harro ist auch eingeladen mitzugehen. Und er möchte sehr gern, kann aber die Einladung nicht annehmen, weil ein Hamburger Herr Fresken für seinen Saal bei ihm bestellt hat und er dorthin reisen muß. Und dann wird es wieder sehr still in Brauneck. Der Fürst hat gehofft, seine Tochter wenigstens bis Weihnachten bei sich haben zu dürfen, aber diese junge Dame hat plötzlich angefangen zu wachsen. In zwei Monaten ist sie eine Handbreit gewachsen, als der Fürst von Tirol wiederkommt, entsteht allgemeines Entsetzen. Mama will sich ausschütten vor Lachen. Rosmarie wird eine Riesendame, eine Riesendame mit Entenfüßen, wenn das so weiter geht.

      Der Herr Hofrat wird konsultiert und meint, es könne sein, daß sie nun ihre Höhe erreicht habe, verlangt aber Vorsicht und größte Schonung, weil das Herz doch nicht ebenso schnell mitwachse. Rosmarie bleibt also in Brauneck

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