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und das Gemeinsame in verschiedenen Erfahrungen zu entdecken.

      Ein Denker, der mit diesen Voraussetzungen ausgerüstet au das Studium eines Gebietes geht, auf dem er auch praktisch tätig ist, wird dabei leicht zu Ergebnissen gelangen können, die ihm als bloßem Zuseher unzugänglich blieben.

      Das gilt nicht zum wenigsten von der Geschichte. Ein praktischer Politiker wird politische Geschichte, bei genügender wissenschaftlicher Vorbildung, leichter begreifen und sich eher in ihr zurechtfinden als ein Stubengelehrter, der mit den treibenden Kräften der Politik nie die geringste praktische Bekanntschaft gemacht hat. Namentlich dann wird der Forscher durch seine praktische Erfahrung begünstigt werden, wenn es sich um die Erforschung einer Bewegung jener Klasse handelt, in der er selbst wirkt, mit deren Eigenart er aufs beste vertraut ist. Das kam bisher freilich fast ausschließlich den besitzenden Klassen zugute, die die Wissenschaft monopolisierten. Die Bewegungen der unteren Volksklassen haben noch wenige verständnisvolle Erforscher gefunden.

      Das Christentum war in seinen Anfängen unzweifelhaft eine Bewegung besitzloser Schichten der verschiedensten Art, die man unter dem Namen Proletarier zusammenfassen darf, wenn man unter diesem Ausdruck nicht Lohnarbeiter allein versteht. Wer die moderne Bewegung des Proletariats und das Gemeinsame ihrer Eigenart in den verschiedenen Ländern durch praktische Mitarbeit kennt, wer als Mitkämpfer des Proletariats dessen Fühlen und Sehnen mitempfinden gelernt hat, darf wohl erwarten, auch in den Anfängen des Christentums vieles leichter begreifen zu können als Gelehrte, die das Proletariat stets nur von der Ferne betrachtet haben.

      Wenn sich aber der wissenschaftlich geschulte praktische Politiker vor dem bloßen Buchgelehrten bei der Geschichtschreibung in vielem begünstigt sieht, so wird dies freilich oft nur zu leicht wettgemacht dadurch, daß der praktische Politiker stärkeren Versuchungen unterliegt als der weltfremde Büchermensch, die seine Unbefangenheit trüben. Zwei Gefahren sind es insbesondere, welche die Geschichtschreibung der praktischen Politiker mehr als die anderer Forscher bedrohen: Einmal die Versuchung, die Vergangenheit ganz nach dem Bilde der Gegenwart zu modeln, und dann das Streben, die Vergangenheit so zu sehen, wie es den Bedürfnissen der Gegenwartspolitik entspricht.

      Vor diesen Gefahren fühlen wir Sozialisten, soweit wir Marxisten sind, jedoch sehr geschützt durch die mit unserem proletarischen Standpunkt in Zusammenhang stehende materialistische Geschichtsauffassung.

      Die herkömmliche Geschichtsauffassung sieht in den politischen Bewegungen nur den Kampf um bestimmte politische Einrichtungen – Monarchie, Aristokratie, Demokratie usw. –, die wieder das Resultat bestimmter ethischer Ideen und Bestrebungen sind. Bleibt man dabei stehen, sucht man nicht nach dem Grunde dieser Ideen, Bestrebungen und Einrichtungen, dann wird man leicht finden, daß sie im Laufe der Jahrhunderte sich nur äußerlich wandeln, im Kerne aber die gleichen bleiben; daß es dieselben Ideen, Bestrebungen und Einrichtungen sind, die immer wiederkehren, daß die ganze Geschichte ein ununterbrochenes Streben nach Freiheit und Gleichheit darstellt, das immer wieder auf Unfreiheit und Ungleichheit stößt, nie zu verwirklichen, aber auch nie gänzlich auszurotten ist.

      Haben einmal irgendwo Kämpfer für Freiheit und Gleichheit gesiegt, so wandelt sich ihr Sieg in die Begründung neuer Unfreiheit und Ungleichheit. Sofort erstehen aber auch wieder neue Kämpfer für Freiheit und Gleichheit.

      Die ganze Geschichte erscheint so als ein Kreislauf, der immer wieder in sich selbst zurückkehrt, eine ewige Wiederholung derselben Kämpfe, wobei nur die Kostüme wechseln, ohne daß die Menschheit vom Flecke kommt.

      Wer diese Auffassung teilt, wird stets geneigt sein, die Vergangenheit nach dem Bilde der Gegenwart zu malen, und wird, je besser er die Menschen der Gegenwart kennt, um so eher auch die der Vorzeit nach ihrem Muster formen.

      Dem wirkt eine Geschichtsauffassung entgegen, die bei der Betrachtung der gesellschaftlichen Ideen nicht stehen bleibt, sondern deren Ursachen in den tiefsten Grundlagen der Gesellschaft zu erforschen sucht. Sie stößt dabei immer wieder auf die Produktionsweise, die wieder in letzter Linie vom Stande der Technik, wenn auch keineswegs von dieser allein, abhängt.

      Sobald wir an die Erforschung der Technik und dann der Produktionsweisen der Vorzeit gehen, verschwindet sofort die Anschauung, als wiederhole sich auf der Weltenbühne immer wieder dieselbe Tragikomödie. Die Wirtschaft der Menschen weist eine stete, wenn auch keineswegs ununterbrochene und in gerader Linie vor sich gehende Entwicklung von niedrigen zu höheren Formen auf. Haben wir aber die wirtschaftlichen Verhältnisse der Menschen in den verschiedenen historischen Perioden erforscht, dann verschwindet auch sofort der Schein der ewigen Wiederkehr der gleichen Ideen, Bestrebungen und politischen Einrichtungen. Man sieht dann, daß dieselben Worte im Laufe der Jahrhunderte ihren Sinn ändern, daß Ideen und Einrichtungen, die einander äußerlich gleichen, einen verschiedenen Inhalt haben, weil sie den Bedürfnissen verschiedener Klassen unter verschiedenen Bedingungen entspringen. Die Freiheit, nach der der moderne Proletarier verlangt, ist eine andere als die, welche die Vertreter des dritten Standes 1789 anstrebten, und diese wieder war grundverschieden von der Freiheit, für welche zu Beginn der Reformation die deutsche Reichsritterschaft kämpfte.

      Sobald man die politischen Kämpfe nicht mehr als bloße Kämpfe um abstrakte Ideen oder politische Einrichtungen auffaßt, sondern ihre ökonomische Grundlage bloßlegt, sieht man sofort, daß hier, ebenso wie in der Technik und der Produktionsweise, eine stete Entwicklung zu neuen Formen vor sich geht, daß keine Epoche völlig der anderen gleicht, daß dieselben Schlachtrufe und dieselben Argumente zu verschiedenen Zeiten sehr Verschiedenes bedeuten.

      Wenn der proletarische Standpunkt es gestattet, diejenigen Seiten des Urchristentums, die es mit der modernen Bewegung des Proletariats gemein hat, leichter zu begreifen, als es bürgerlichen Forschern möglich ist, so bewahrt die aus der materialistischen Geschichtsauffassung entspringende Betonung der ökonomischen Verhältnisse davor, über der Erkenntnis der gemeinsamen Züge die Eigenart des antiken Proletariats zu vergessen, die aus seiner besonderen ökonomischen Situation entsprang und die bei aller Gemeinsamkeit so vieler Züge doch sein Streben so grundverschieden von dem des modernen Proletariats formte.

      Indem uns die marxistische Geschichtsauffassung vor der Gefahr schützt, die Vergangenheit mit dem Maßstabe der Gegenwart zu messen und unseren Blick für die Besonderheit jedes Zeitalters und jedes Volkes schärft, entzieht sie uns aber auch der anderen Gefahr, die Darstellung der Vorzeit dem praktischen Interesse anzupassen, das man in der Gegenwart verficht.

      Sicher wird sich ein ehrlicher Mensch, welches immer sein Standpunkt sein mag, nicht zu einer bewußten Fälschung der Vergangenheit verleiten lassen. Aber nirgends ist Unbefangenheit des Forschers notwendiger als in den Gesellschaftswissenschaften, und nirgends ist sie schwieriger zu erreichen.

      Die Aufgabe der Wissenschaft besteht eben nicht darin, einfach darzustellen was ist, eine naturgetreue Photographie der Wirklichkeit zu geben, so daß jeder normal organisierte Beobachter dasselbe Bild erzielt. Die Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, aus der verwirrenden „Fülle der Gesichte“, der Erscheinungen, das Allgemeine, das Wesentliche herauszuholen und dadurch einen Leitfaden zu schaffen, au dessen Hand man sich im Labyrinth der Wirklichkeit zurechtfindet.

      Die Aufgabe der Kunst ist übrigens eine ähnliche. Auch sie hat nicht einfach eine Photographie der Wirklichkeit zu liefern, sondern der Künstler hat das wiederzugeben, was ihm an der Wirklichkeit, die er schildern will, als das Wesentliche, das Charakteristische erscheint. Der Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft besteht darin, daß der Künstler das Wesentliche sinnlich erfaßbar darstellt und dadurch seine Wirkungen erzielt, indes der Denker das Wesentliche als Begriff, als Abstraktion zur Darstellung bringt.

      Je komplizierter eine Erscheinung und je geringer die Zahl der Erscheinungen, mit denen die eine zu vergleichen ist, desto schwieriger, das Wesentliche in ihr von dem Zufälligen zu sondern, desto mehr wird die subjektive Eigenart des Forschers und Darstellers dabei zur Geltung kommen. Desto unerläßlicher aber auch die Klarheit und Unbefangenheit seines Blicks.

      Nun gibt es wohl keine kompliziertere Erscheinung als die menschliche Gesellschaft, die Gesellschaft von Menschen, von denen jeder einzelne schon komplizierter ist als jedes andere Wesen, das wir kennen. und dabei ist die Zahl der miteinander vergleichbaren gesellschaftlichen Organismen der gleichen

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