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Die Nackten und die Schönen. Will Berthold
Читать онлайн.Название Die Nackten und die Schönen
Год выпуска 0
isbn 9788711727010
Автор произведения Will Berthold
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Durch Läuterung und Reue«, erwidert der Mann vom Verleih. Er schürzt die Lippen. »Bei der Filmselbstkontrolle herrscht mehr Freude über eine Sünderin, die Buße tut, als über –«
»Alte Huren werden fromm«, unterbricht ihn der Produzent. »Damit lockst du keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor.«
»Stell dich doch nicht so an, Auwa. Wir müssen uns eben etwas einfallen lassen: eine knallharte Story zum Beispiel, in der die Wundernutte am Ende schrecklich umkommt. Damit hast du dein Alibi und kannst vorher die schönsten Ferkeleien zeigen. Verstehst du: Die Moral muß vom Drehbuch ausgehen.«
Gärig nickte. Gremlitzka hat nicht seine Nase, aber Einfälle und Ideen, zudem versteht er sein Handwerk.
»Willst du nicht noch einmal mit der Dame Dutscheweit reden?« fragt der Verleihchef.
»Ich nicht«, versetzt der Produzent. »Aber vielleicht versuchst du dein Glück.«
»Mach’ ich«, erwidert Gremlitzka. »Du mußt mir nur die Verbindung herstellen.«
»Unter einer Bedingung«, entgegnet Gärig. »Falls du mit ihr zurechtkommst, wird sie ausschließlich der AUWAG zur Verfügung stehen.«
»Einverstanden. Du bekommst sie exklusiv, wenn ich sie einkaufen kann. Jeder Termin ist mir recht. Wir sollten so rasch wie möglich mit dieser Sündenbraut in die vollen gehen.«
»Ich tu’, was ich kann«, verspricht der Produzent. »Gleich morgen früh.«
Das Spiel mit dem Feuer beginnt, obwohl seine Teilnehmer wissen müßten, daß Geschäfte mit Luzifers Tochter in des Teufels Küche führen.
2
Der Produzent mit der goldenen Nase erlebt nach einer unruhigen Nacht einen unguten Morgen. Er hat schlecht geschlafen, weil ihn Gremlitzkas Neuerungsforderungen verfolgten. Gärig ist zu gerissen, um nicht zu spüren, daß sein Partner vom Luna-Verleih im Grunde recht hat; er nimmt sich verdrossen vor, zumindest teilweise auf seine Vorschläge einzugehen. Dann teilt ihm Syndikus Kupski mit, daß die AUWAG-Hausbank die vorläufige Zusage zur Finanzierung des ersten Kriegsfilms wegen der zu hohen Produktionskosten zurückgezogen hat.
»Deswegen brauchen Sie mich doch nicht um Mitternacht zu wecken«, fährt ihn Gärig an. Er verfügt über Geld genug, seine Filme aus eigener Tasche zu finanzieren, zieht es aber vor, sich die Mittel günstig zu pumpen und die eigenen lukrativer anzulegen. Immer wieder macht er seine Leute mit seiner Geldphilosophie vertraut: Ein Mann mit null Mitteln ist ein Habenichts, aber einer mit einer Million Schulden und einer Million Eigenkapital ein erfolgreicher Unternehmer.
»Mitternacht ist bei Ihnen wohl um neun Uhr morgens«, stellt der Jurist fest. »Außerdem wollte ich noch vorschlagen, den heutigen Vorführungstermin von ›Liebe am Lago‹ in Biebrich zu verschieben. Es ist so«, fährt er fort, bevor ihn Gärig unterbrechen kann. »Ein paar konservative Blätter haben einen gleichzeitigen Großangriff auf die angebliche Laxheit der Filmselbstkontrolle gestartet. In diesem Moment sind die Juroren außer Rand und Band und wollen beweisen, wie streng und unerbittlich sie sind.«
»Schöne Bescherung«, erwidert der Produzent mit unterdrücktem Zorn. »Ich kann die Absegnung nicht verschieben. Die Premiere wird mit dem Luna-Jubiläum zusammengelegt, und das ist am Freitag nächster Woche in München. Wir wollen ›Liebe am Lago‹ mit großem Tamtam in riesiger Starbesetzung starten. Auf diese Gratisreklame möchte ich unter keinen Umständen verzichten.«
»Versteh’ ich alles – aber ich mußte Sie warnen, Gärig.«
»Unser Schluckesaft wird das schon schaffen«, versetzt der Produzent nun doch beunruhigt. »Er ist ein cleverer Junge, und –«
»Aber Biebrich muß ein Exempel statuieren.«
»So ein Mist«, schimpft Gärig. »Von wo rufen Sie an, Doktor?«
»Ich bin noch im Hotel«, antwortet der Jurist.
»Warten Sie bitte auf mich im Frühstücksraum. Ich komm’ gleich.«
Gärig duscht, rasiert sich und schlüpft in einen der Maßanzüze, die sein Übergewicht vorzüglich tarnen. Er geht nach unten, wo ihn Dr. Kupski und Gremlitzka erwarten.
»Nimm das nicht auf die leichte Schulter, Auwa«, empfängt ihn der Verleihchef.
»Aber ›Liebe am Lago‹ ist doch ein ganz harmloser Streifen.«
»Was du für harmlos hältst, bewerten die als anstößig«, erklärt der große Blonde. »Für wann ist denn die Vorführung angesetzt?«
»Zehn Uhr dreißig«, antwortet Gärig. »Und der Streifen ist zweiundneunzig Minuten lang.«
»Dann genügt es, wenn ihr kurz vor zwölf auf Schloß Biebrich eintrefft«, stellt Gremlitzka fest. »So tüchtig Schluckesaft auch ist, laßt ihn nicht allein.«
»Paßt mir gar nicht«, erwidert der vielbeschäftigte Anwalt.
»Mir auch nicht«, stimmt ihm Gärig zu. »Abfahrt elf Uhr – in meinem Wagen. Tut mir leid, Doktor.«
»Mir auch«, versetzt der gutaussehende Mann mit dem intelligenten Gesicht, bekannt für seine aggressive Zivilcourage.
»Er wird diese komische Selbstkontrolle in ihre Bestandteile zerlegen, wenn es sein muß«, stellt Gremlitzka fest. »Hast du die Dame Dutscheweit schon angerufen?« fragt er dränglerisch.
»Nicht jetzt. Die schläft doch immer bis Mittag.«
Der Verleiher sieht auf die Uhr. »Versuch’s trotzdem«, bittet er. »Ich kann nicht den ganzen Tag in Frankfurt herumsitzen wie ein Pennäler, der pinkeln muß und das WC nicht findet.«
»Wenn du meinst«, erwidert Gärig und geht in die Kabine.
»Hier Schlenker«, meldet sich die Dutscheweit auf dem Anrufbeantworter unter dem Namen ihrer verheirateten Schwester, der auch an der Wohnungstür steht. »Ich bin vorübergehend außer Haus. Bitte versuchen Sie es später noch einmal, oder hinterlassen Sie Ihren Namen und Ihre Rufnummer. Danke für Ihren Anruf. Das Gerät schaltet jetzt ab.«
»Delilah, hier ist Samson«, meldet sich Gärig mit seinem Codewort. »Zuerst mein Kompliment. Sie haben phantastisch ausgesehen, gestern abend in der Lipizzaner-Bar. Ich muß Sie unbedingt sprechen, hab’ einen interessanten Vorschlag für Sie. Ich versuche es in einer halben Stunde noch einmal. Sonst können Sie mich bis morgen auch noch im ›Frankfurter Hof‹ erreichen. Danke. Ende.« Der Produzent geht zu Gremlitzka an den Tisch zurück. »Entweder ist sie beim Coiffeur, oder sie pennt noch«, berichtet er. »Ich probier’s später noch einmal.«
Kurz vor elf Uhr klappt es. »Delilah«, begrüßt der Anrufer Evamarie Dutscheweit, »hier ist Samson.«
»Ach ja«, entgegnet die Kurzzeitgefährtin. Vermutlich hat sie ihn an der Stimme erkannt oder benutzt für jeden ihrer Kandidaten ein eigenes Codewort.
»Erinnern Sie sich an meinen Begleiter von gestern?« fährt Gärig fort. »Er ist Geschäftsführer und Inhaber des zweitgrößten deutschen Filmverleihs. Es wäre in jedem Fall nützlich für Sie, ihn kennenzulernen.«
»Privat?«
»Privat und geschäftlich«, entgegnet Gärig.
»Sie wissen doch, daß mir eine Filmlaufbahn wenig bietet.«
»Vielleicht war neulich mein Angebot zu schwach auf der Brust«, versetzt der Produzent schnell. »Wenn ein so großer Filmverleih auf Sie scharf ist, winken Ihnen natürlich ganz andere Summen.«
»Ehrlich gesagt, habe ich trotzdem kein übertriebenes Interesse.«
»Hören Sie sich trotzdem meinen Geschäftspartner einmal an – ganz unverbindlich natürlich«, entgegnet Gärig. »Er ist enorm einflußreich auf vielen Gebieten, und solche Protektoren kann schließlich