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während ich aus meiner Jeans schlüpfte, hörte ich gedämpftes Hufgetrappel aus der Ferne. Obwohl ich meinen Bikini bereits anhatte, zog ich die Jeans wieder hoch. Keiner sollte meine erbärmlich dünnen Oberschenkel sehen, die spitzen Knie und die schaufelartigen Hüftknochen.

      Schon tauchte ein sahnefarbener Pferdekopf mit silbriger Mähne zwischen den Tannen auf. Dann sah ich den Oberkörper des Reiters. Es war der Junge aus Eulenbrook. Er hatte mich noch nicht bemerkt. Ich beobachtete, wie er das Pferd zügelte und aus dem Sattel glitt. Jetzt kam auch sein Hund angerast, mit fliegenden Schlappohren und hängender Zunge.

      Der Junge führte das Pferd über den schmalen Pfad zwischen den Schilfhalmen. Der Schimmel ging langsam ins seichte Wasser, senkte die Nase und trank. Ich sah mich nach meinem Fahrrad um, das an einem Baum lehnte. Wenn ich leise war, konnte ich vielleicht unbemerkt verschwinden.

      Eine Bewegung oder ein leises Knirschen meiner Sandalen auf den Steinen verriet mich. Plötzlich bellte Bonnie, der Labrador-Mischling. Das Pferd hob den Kopf. Wasser tropfte von seinen Lippen und Nüstern.

      Auch der Junge sah auf. Über die Schilfhalme hinweg trafen sich unsere Blicke.

      Trotzig dachte ich: Wieso soll ich eigentlich schon wieder abhauen? Ich habe das gleiche Recht wie er, hier zu sein! Der See gehört ihm nicht …

      Vielleicht erkannte er mich nicht sofort. Er wandte sich ab und redete leise mit dem Hund. Dann watete er durchs seichte Wasser zu seinem Pferd und streichelte ihm den Hals.

      Ich war schon beim Rad und wollte es zu einer Uferstelle auf der anderen Seite des Sees schieben, aber als ich die Hände auf die Lenkstange legte, hörte ich hinter mir ein Hecheln.

      Bonnie kam auf mich zugelaufen. Der Junge folgte ihr.

      Er war barfuß und trug ausgefranste Jeansshorts.

      »Warum läufst du vor mir weg?«, fragte er.

      Ich spürte, dass ich rot wurde. »Vielleicht möchte ich meine Ruhe haben.«

      Jetzt stand er vor mir. Bonnie beschnupperte mich und drückte die Stirn gegen meine Knie. Unwillkürlich ließ ich die Hand sinken und berührte ihre Ohren. Sie waren weich wie Samt. Im Hintergrund prustete das Pferd.

      »Ich will dich nicht stören, aber warte einen Augenblick. Ich hab etwas gefunden, einen Ohrring. Er hing in den Brombeerranken. Gehört er dir?«

      Ich starrte ihn an. Er hatte sandfarbene, fast weiße Augenbrauen und auf seinem Nasenrücken schälte sich die Haut. Auf seinem Kinn war eine winzige halbmondförmige Narbe. Seine gebräunten Arme waren mit silbrigem Flaum bedeckt.

      »Ja!«, sagte ich atemlos. »Das ist meiner! Was hast du mit ihm gemacht?«

      Eine Falte erschien zwischen seinen Brauen. »Ich hab ihn weder weggeworfen noch verkauft, auch wenn du mir das offenbar zutraust. Er liegt bei meinen Sachen im Wohnwagen. Du kannst ihn dir holen.«

      Ich schüttelte den Kopf. Bonnie stupste meine Hand mit der Nase an, bis ich sie streichelte. »Warum nicht?«, fragte er. »Du warst doch sicher nicht zum ersten Mal in Eulenbrook.«

      Wenigstens sagte er nicht: auf unserem Grundstück. Das war ein Pluspunkt für ihn.

      »Ich möchte nicht.«

      »Aha. Soll ich dir den Ohrring bringen? Ich weiß allerdings nicht, wie du heißt und wo du wohnst.«

      Ich murmelte: »Das brauchst du nicht. Wir können uns treffen.«

      Kaum war es heraus, kamen mir schon Zweifel, ob er mich vielleicht falsch verstehen würde und dachte, ich wollte ihn anmachen. Doch er nickte und erwiderte nur: »Okay. Wann und wo?«

      Ich überlegte. »Morgen um diese Zeit an der gleichen Stelle?«

      »Gut. Ich hab den See erst gestern entdeckt. Bist du jeden Morgen hier?«

      »Nur ab und zu. Tagsüber ist es total voll.«

      »Das hab ich schon gemerkt. Schade. Es ist so ein schöner Platz.«

      Eine Weile standen wir da und sahen zu, wie das Pferd fast bis zum Bauch ins Wasser ging. Bonnie lief zum Ufer und platschte ebenfalls in den See. Sie zerrte eine Schlingpflanze hoch, schleuderte sie in die Luft, fing sie wieder auf und schüttelte sie wie einen toten Fisch.

      »Bonnie ist so glücklich hier«, sagte der Junge unerwartet. »Wir haben bis jetzt in einer Großstadt gelebt.«

      »Mit drei Pferden?«

      Er fragte nicht, woher ich wusste, dass sie drei Pferde hatten. »Sie waren in einem Reitstall untergestellt. Aber irgendwie haben sie mir immer leidgetan. Tiere gehören in die Natur.«

      »Wir Menschen auch«, erwiderte ich unwillkürlich.

      Er musterte mich flüchtig. »Ja, auch wenn viele das nicht mehr spüren.«

      Irgendwo im Schilf quakte eine Ente. Dann durchbrachen Stimmen und laute Musik die morgendliche Stille.

      »Ich hab meinen Schnorchel vergessen!«, schrie jemand. Und eine Frauenstimme übertönte das schmalzige Gedudel eines Kassettenrekorders: »Frankie, hast du den Picknickkorb mit den Spareribs dabei?«

      Der Junge und ich wechselten einen Blick. »Das ist erst der Anfang«, sagte ich.

      »Hoffentlich kommen sie nicht hierher und machen Zoff, weil Bonnie und Fee im Wasser sind.«

      »Wieso denn?«

      »Es gibt jede Menge Leute, die Tiere für unhygienisch halten und meinen, sie würden das Wasser verunreinigen. Dabei ist es genau umgekehrt. Wir Menschen sind’s doch, die die Gewässer verschmutzen.«

      »Dann sag es ihnen, falls sie kommen und motzen.«

      Er seufzte leicht. »Ich hab keinen Bock auf Streit.«

      »Wenn du nichts sagst, tu ich es. Es ist ungerecht, und es schadet den Leuten nicht, wenn sie mal über ihre Dummheit nachdenken. Tiere haben auf unserer Welt sowieso kaum noch Rechte.«

      Wir gingen jetzt nebeneinanderher zu der Stelle, an der die Stute und der Labrador spielten. Bonnie sprang übermütig um das Pferd herum und versuchte, es spielerisch in die Hinterbeine zu zwicken. Die Stute schnaubte und prustete wie ein Wasserspeier.

      Während ich den beiden zusah, fühlte ich mich plötzlich wie verwandelt. Es war, als hätte jemand einen bösen Zauber von mir genommen. Die dumpfe Bedrückung und hoffnungslose Leere, die nun schon so lange auf mir lastete, hob sich wie ein dunkler Vorhang.

      Vielleicht waren es die spielenden Tiere, ihre Freude und Unbeschwertheit, die mir für Augenblicke eine Ahnung davon zurückbrachten, wie ich mich einst gefühlt hatte, als mein Leben noch in Ordnung war. Dass es auch mit Arne zu tun hatte, mit seiner Gegenwart, begriff ich erst viel später.

      6

      Ich erwachte noch früher als sonst. Mein erster Gedanke war, dass ich diese seltsame Verabredung mit dem Jungen aus Eulenbrook hatte, von dem ich bisher nur den Nachnamen wusste.

      Er hatte Ronjas Ohrring gefunden. Das grenzte an ein Wunder, wenn ich mir den dschungelähnlichen Zustand des alten Gartens vorstellte. Vielleicht war es ja ein Zeichen – aber wofür?

      Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass ich Eulenbrook nicht wirklich verloren hatte, sondern dass sich nur etwas änderte und verwandelte, wenn ich offen dafür war.

      Um halb sechs stand ich auf, duschte und wusch mir die Haare. Meine Haare sind das Schönste an mir, finde ich, von Natur aus gelockt, schulterlang und glänzend wie reife Kastanien. Sie verdeckten meinen schrecklich mageren Hals und die Schlüsselbeine, die so hässlich hervortraten und mich immer an ein Gerippe erinnerten, wenn ich in den Spiegel sah.

      Meine Eltern schliefen noch. Ich ging in die Küche und aß ein Knäckebrot mit etwas Butter, ausnahmsweise ohne Widerwillen. Es schmeckte sogar ganz gut, wenn auch etwas staubig, und hinterließ nicht dieses Gefühl in meinem Magen, als hätte ich einen Ziegelstein geschluckt.

      Dann

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