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Der Motor schnurrte sacht. Es musste ein großer Wagen sein.

      Angespannt lauschte ich. Sie hielten vor dem Haus. Dann hörte ich Wagentüren klappen und einen Moment später gedämpfte Stimmen.

      Jetzt war mir klar, dass es stimmte. Ein endgültiges Gefühl sagte es mir. Eulenbrook gehörte nicht länger Ronja und mir, es gehörte Fremden, die sich hier breitmachen und alles zerstören würden.

      So wie sie dem Gnom ein Halstuch umgebunden hatten, würden sie den Teich wahrscheinlich bald in einen Swimmingpool verwandeln, aus dem Haus eine protzige Villa machen und die alten Bäume umsägen lassen. Das Stallgebäude würde zu einer Garage umgebaut werden und das Gittertor schwarzgolden gestrichen, abgeschlossen und mit einem Schild versehen, auf dem »Privat! Betreten verboten!« stand.

      Die Stimmen verstummten. Vermutlich waren die neuen Besitzer von Eulenbrook ins Haus gegangen. Ein günstiger Moment für mich, ungesehen zu verschwinden. Doch ich tat das Gegenteil: Verstohlen wie ein Dieb arbeitete ich mich zwischen den Sträuchern zum Haus vor, wobei ich mir Arme und Beine zerkratzte, mich an Brennnesseln brannte und mit meinen langen Haaren in allerlei dornigem Gestrüpp hängen blieb.

      Der Wagen, der vor der Freitreppe stand, war zwar groß, aber kein Luxusschlitten. Er musste schon ziemlich alt sein, hatte einen verbeulten Kotflügel und Roststellen an den Türen. Das beruhigte mich irgendwie, obwohl ich keine Ahnung hatte, wieso.

      Ein Flügel der Eingangstür unter den Säulen stand einen Spalt offen. Sie hatten also den Schlüssel. So lange ich denken konnte, war die große Tür versperrt gewesen. Wir waren immer durch eines der Fenster im Erdgeschoss eingestiegen, hinein in die Küche, in der es noch einen altmodischen Herd mit einem langen Ofenrohr und einen Boden aus gemusterten, schief getretenen Kacheln gab.

      Ich hasste sie dafür, dass sie den Schlüssel besaßen. Die früheren Besitzer von Eulenbrook waren tot, und ich hatte geglaubt, er wäre längst verloren gegangen, doch jemand musste ihn aufbewahrt haben, jemand, den wir nicht kannten und der nur darauf gewartet hatte, das alles hier zu Geld zu machen.

      Durch die zerbrochenen Scheiben klang Hundegebell. Ich hörte eine Stimme etwas rufen. Jemand lachte. Dann schob sich eine semmelblonde Nase durch den Türspalt. Ein Kopf mit Schlappohren folgte.

      Rasch duckte ich mich tiefer hinter die Buchsbäume, die nach Katzenpisse rochen. Wieder rief die helle Stimme einen Namen, es klang wie »Connie« oder »Bonnie«. Der Hund, ein Labrador-Mischling, wedelte mit dem Schwanz und sprang mit ein paar Sätzen die Treppe hinunter, verschwand zwischen den Büschen und stand dann plötzlich neben mir.

      Wie dem bösen Wolf im Märchen hing ihm die Zunge aus dem Maul, aber seine Augen waren freundlich, und sein Schwanz wedelte, was ich als Friedenszeichen verstand.

      »Psst!«, zischte ich ihm zu. »Bitte sei still! Verrat mich bloß nicht, hast du kapiert?«

      Er antwortete mit einem noch heftigeren Wedeln und einem kurzen, auffordernden Bellen. Es klang wie: He, was machst du da? Komm raus und spiel mit mir …

      »Hau ab!«, flüsterte ich. »Ich kann dich jetzt nicht brauchen. Mach die Flatter!«

      Wieder bellte er. Beschwörend legte ich den Zeigefinger an die Lippen. Vom Vorplatz des Hauses her rief eine Stimme: »Was ist los, Bonnie? Ich glaube, er hat einen Igel aufgestöbert! – Komm sofort zurück, verstanden?«

      Bonnie spitzte die Ohren, rührte sich aber nicht von der Stelle. Ich drehte mich wieder um und spähte zwischen den Buchsbäumen durch. Unter dem Vordach stand ein junger Typ mit kurz geschnittenen blonden Haaren. Er hielt eine Hand schützend über die Augen und spähte in den Garten. Dann kam er die Treppe herunter.

      Jetzt war es höchste Zeit für mich zu verschwinden. Ich versuchte, mich geduckt davonzuschleichen, doch der Hund, der Bonnie hieß, schien das als Aufforderung zum Spiel zu betrachten. Er sprang bellend um mich herum, wobei er seine Vorderpfoten tapsig durch die Luft schleuderte. Hinter mir raschelte es verdächtig im Gebüsch.

      »Verdammt!«, sagte die Stimme. »Da wachsen Brennnesseln … Bonnie, zum Teufel, was machst du? Hast du einen Igel gefunden? Lass den armen Kerl bloß in Ruhe!«

      Ich zwängte mich an dem Labrador vorbei, um mich im hohlen Stamm der Weide zu verstecken, da, wo Ronja und ich als Kinder so gern gespielt hatten. Gerade noch rechtzeitig, ehe der blonde Typ aus den Schilfgräsern auftauchte, flüchtete ich mich in den hohlen Baum, duckte mich, drückte das Gesicht an die Innenseite des Stammes und hoffte, dass er mich nicht sehen würde.

      Wenn Bonnie nicht gewesen wäre, hätte er mich wohl auch nicht entdeckt. Ich hörte den Hund leise knurren, hörte, wie der Junge mit ihm redete und wie Zweige unter seinen Füßen knackten.

      Der Schreck fuhr mir richtig in die Glieder, als plötzlich eine Stimme ganz in meiner Nähe sagte: »Hallo, was machst du denn hier?«

      Sekundenlang stellte ich mich tot wie ein bedrohter Käfer. »Hallo!«, sagte die Stimme wieder. »Bist du in Ordnung?«

      Ich wandte den Kopf und hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst. Was musste dieser Junge von mir denken, dass ich mich vor ihm in einen Baum verkroch wie ein lichtscheuer Zwerg?

      Er stand vor mir, hatte seinen Hund am Halsband gefasst und musterte mich mit einem verwunderten Ausdruck in den braunen Augen. Seine Stirn war gerunzelt. Er hatte einen Sonnenbrand auf dem Nasenrücken.

      Das alles sah ich innerhalb von Sekundenbruchteilen. Dann sagte ich etwas, was ich gleich darauf bereute, weil es total kindisch war und nicht zu einer fast erwachsenen Person von sechzehn Jahren passte:

      »Hau bloß ab, verschwinde! Ihr gehört nicht hierher!«

      3

      Später dachte ich noch oft, dass er wirklich cool reagiert hatte.

      Ich an seiner Stelle wäre beleidigt gewesen, hätte mich umgedreht und ihm ewige Feindschaft geschworen. Er aber sah mich nur ruhig an und sagte, als hätte er alles verstanden: »Du kannst rauskommen. Keiner will dich vertreiben.«

      Damit nahm er mir allen Wind aus den Segeln. Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte, ärgerte mich, weil er so gelassen blieb, dass ich mich so blödsinnig verhalten hatte, und auch darüber, dass mir der Ausdruck seiner warmen braunen Augen gefiel.

      So würdevoll wie möglich kletterte ich aus dem Baum. Bonnie versuchte, an mir hochzuspringen, aber der Junge hielt sie zurück.

      Jetzt lächelte er sogar. In diesem Moment wünschte ich, er wäre richtig ekelhaft und arrogant zu mir gewesen und hätte ausgesehen wie einer von diesen geleckten Yuppies, die ich nicht leiden konnte.

      Ich sagte kein Wort, gab mir Mühe, durch ihn hindurchzusehen, und ging an ihm und dem Labrador vorbei, zwängte mich durch die Sträucher und war wie erlöst, als ich den alten Gartenpfad erreichte, der unter Efeu und Unkraut fast verschwunden war.

      Er versuchte nicht, mir zu folgen. Auch der Hund lief nicht hinter mir her. Als ich wusste, dass er mich nicht mehr sehen konnte, ging ich schneller und lief dann bis zum Mauerdurchschlupf.

      Zu Hause schaute ich als Erstes in den Flurspiegel. Ich sah verboten aus. Mein Gesicht war rot wie eine Tomate, meine Haare struppig und zerrauft. Meine Arme und Beine waren total zerkratzt und wirkten noch dünner als sonst. Blut tropfte von meinem rechten Knie.

      Erst als ich mir das Gesicht wusch, merkte ich, dass ich einen Ohrring verloren hatte.

      Eigentlich waren es Ronjas Ohrringe. Sie hatte sie zum dreizehnten Geburtstag bekommen und nur einmal getragen. Und weil sie fand, dass sie mir besser standen als ihr, hatte sie sie mir geschenkt. Dafür hatte ich ihr den schwarzen Rucksack gegeben, der ihr so gefiel. Wir hatten das öfter gemacht, Geschenke ausgetauscht.

      Die Ohrringe waren neben meinem alten Bären, einer Spieldose und ein paar Zeichnungen von Ronja das Liebste, was ich hatte. Jetzt war mir nur noch einer geblieben – eine Hälfte von etwas, was zusammengehörte. Irgendwie passte das verdammt gut zu allem anderen.

      Ich hielt den Ohrring in der Handfläche und sah

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