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Geschichte und Region/Storia e regione 29/1 (2020). Группа авторов
Читать онлайн.Название Geschichte und Region/Storia e regione 29/1 (2020)
Год выпуска 0
isbn 9783706560993
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия Geschichte und Region/Storia e regione
Издательство Bookwire
Autoren und Autorinnen / Autori e autrici
Editorial
„Eine dritte Medienrevolution nach der Ausbildung der menschlichen Sprache und der Einführung komplexer Schriftsysteme“ sei die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern im 15. Jahrhundert gewesen, schreibt Reinhard Wittmann, einer der prominentesten Akteure der deutschsprachigen historischen Buch- und Leser*innenforschung der vergangenen Jahrzehnte, in seiner Geschichte des deutschen Buchhandels.1 Und mit ähnlichen Superlativen rund um Johannes Gensfleisch und seine Erfindung wurde auch von anderer Seite zurecht selten gespart. Gar epochemachender Charakter wurde ihr zugesprochen, wie der häufig zitierte Ausspruch Goethes beispielhaft zeigt, demzufolge sich die „Welt- und Kunstgeschichte“ in eine Phase vor und eine nach der Erfindung der Buchdruckerkunst teile.2
Tatsächlich ist das, was im Kern lediglich eine neue (zugegeben geniale) Technik war, die eine Vervielfältigung von Geschriebenem dramatisch beschleunigte, in seinen mannigfaltigen Auswirkungen schier unüberblickbar: Dazu zählen unter anderem die Erleichterung der Verbreitung und Speicherung von Informationen, die veränderten Rahmenbedingungen der Generierung von Wissen in stark erweiterten „virtuellen“ Diskursräumen, die zugleich als Arenen politischer Agenden dienen, oder aber mentalitätsgeschichtliche Aspekte. Doch gleich, mit welchen der unterschiedlichen Aspekten dieser Revolution sich wissenschaftliche Analysen beschäftigen, zugrunde liegt ihnen, wenngleich nicht immer explizit formuliert, stets eine a-priori-Konstante: Es ist die unbestrittene Überzeugung, dass diesen Druckerzeugnissen – vom Flugblatt bis zu mehrbändigen Werken, von wissenschaftlichen Abhandlungen über heilige Schriften, legistische Texte und Schulbücher bis zu politischer Berichterstattung und Unterhaltungsliteratur – eine Wirkmächtigkeit innewohnt.3 Sie formen die Wahrnehmung ihrer Konsument*innen, ja ganzer Gesellschaften, sie konstituieren deren Wirklichkeit mit.4
Eine Geschichte des Lesens könne sich aus diesem Grund nicht in einer Beschreibung von Lesestoffen erschöpfen, argumentiert Silvia Serena Tschopp mit Roger Chartier. Gebot der Stunde sei die Hinwendung zu Fragen der Perzeption und Rezeption des Gelesenen. Systematische Untersuchungen vergangener Lesegewohnheiten und ihrer Implikationen seien zwar, so erklärte sie 2014 zum Stand der historischen Leser*innenforschung, nach wie vor ein Forschungsdesiderat, zugleich jedoch auch ein „anspruchsvolles Feld“, das von einer Reihe methodischer Unwägbarkeiten geprägt sei. Lesen sei, so Tschopp, letztlich doch stets „partiell unlesbar“.5 Ungeachtet dieser methodologischen Einschränkungen ist eine Reihe von Fragestellungen rund um die Geschichte des Lesens und des Buchwesens dennoch analysierbar. Eine Auswahl möglicher Annäherungen an diesen sehr heterogenen Themenkomplex ist in diesem Heft vereint.6
Die grundlegenden Fragen im Bereich der historischen Leseforschung lassen sich drei großen Themenkomplexen zuordnen:7 Eine zentrale Voraussetzung stellen die „Ermöglichungsbedingungen von Lektüre“ dar. Damit bezeichnet Tschopp etwa das Vorhandensein eines Marktes für Lesestoffe sowie ausreichender Bildungsvoraussetzungen, zeitlicher und ökonomischer Ressourcen. Der zweite Fokus liegt auf der „Signifikanz, die dem Lesen in spezifischen historischen Momenten zukam“, der Entscheidung also, ob gelesen wurde oder eben nicht. Dabei sind zum Beispiel unterschiedliche sozioökonomische, konfessionelle oder gender-bezogene Parameter der Lesenden relevant. Die Beschäftigung mit „Formen der Leseförderung“, zum Beispiel durch (obrigkeitliche) Alphabetisierungsbestrebungen, gehört ebenso hierher, wie der eingehende Blick auf Versuche, unter anderem mittels Zensur Lektüregewohnheiten zu verhindern oder zumindest zu kanalisieren.8 Der dritte Komplex stellt schließlich die Frage in den Mittelpunkt, wie gelesen wurde; er interessiert sich für die „Formen der Aneignung von Texten“.9
Genau diese Fragen stehen auch im Zentrum des vorliegenden Bandes. Das breite inhaltliche und methodische Spektrum der einzelnen Beiträge macht dabei deutlich, wie unterschiedlich die Zugänge zu diesem gleichermaßen spannenden wie komplexen Thema der Buchund Leser*innengeschichte sein können. Im Fokus steht der katholisch dominierte Alpenraum, der in der einschlägigen Forschung mit einigen Ausnahmen bislang wenig Beachtung erfahren hat, sowie dessen südliche Ausläufer; als zeitlicher Rahmen wurde die Zeit von etwa 1750 bis 1850 gewählt.10 Zum einen erlaubt die Quellenlage des genannten Untersuchungszeitraums verstärkt mikrohistorische Untersuchungen, zum anderen wurden eben genau in jener „Sattelzeit“ die Grundlagen „für die Entstehung einer modernen ‚Kulturwarenindustrie‘, eines fortschrittlichen