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es längst tun müssen.“

      Eine Magd trat ein, Frau Zöllner gab ihr auf, das Frühstück weiter zu besorgen; sie habe mit Frau Reich zu sprechen und gehe mit ihr nach der Oberstube. —

      Lore Reich war nicht als gewöhnlicher Dienstbote auf dem Zöllnerhof. Sie hatte bessere Schulbildung und war einige Zeit auf einer Handelsschule gewesen. Mit Anfang des Krieges trat sie Frau Zöllner als Stütze zur Seite. Sie arbeitete im Felde und im Hofe nicht mit, dafür war sie zu feingliedrig; aber sie hielt das Geschäftliche in Ordnung. Sie kaufte ein und verkaufte, bezahlte Rechnungen und mahnte Forderungen ein, verhandelte mit der Steuerbehörde, lohnte die Dienstboten ab, schrieb Briefe. Sie war eine Art Verwalterin.

      Während die Frauen die Treppe hinaufstiegen, sagte Frau Zöllner:

      „Wenn Lore zu Hause ist, kann sie sofort mit Ihnen gehen; es ist auch mein Wille, da ein Ende zu bereiten.“

      Sie gingen miteinander einen Gang entlang und klopften an die letzte Tür.

      Keine Antwort. Frau Zöllner suchte an einem grossen Schlüsselbunde nach einem bestimmten Schlüssel und öffnete damit die Tür. Das Zimmer war leer, das Bett unberührt.

      „Sie ist nicht da — sie ist noch nicht zurück! — Jetzt, früh fünf Uhr, noch nicht zurück! Und Ihr Mann?“

      „Der ist auch noch nicht zurück.“

      „Die Schande! — Sagen Sie, Frau Zöllner, es wird doch um Gottes Willen nicht wahr sein, was die Leute munkeln — dass Lore — dass meine Tochter —“

      „Ich weiss, was Sie meinen; ob das, was die Leute sagen, wahr ist, weiss ich nicht.“

      „So geht es hier zu? Ach Gott, ich kenne Sie doch, Frau Zöllner; ich weiss doch, dass alles hier in Ordnung war, als Sie noch allein wirtschafteten. Ich kann mir auch ganz gut denken, wie es in Ihnen aussehen mag.“

      Frau Zöllner antwortete nicht, sie seufzte nicht einmal. Sie sprach nur:

      „Wir müssen warten, bis sie kommt.“

      Auf einmal erschollen vom Hofe her gellende Hilfeschreie.

      „Wer schreit so schrecklich? Ist das die Lore? O Gott!“

      Sie hafteten die Treppe hinab. Aus dem Dunkel der Nacht, die noch lange nicht vorüber war, tauchten Gestalten auf; alle Stalltüren öffneten sich, Knechte, Mägde stürzten herbei. Vor der matt erleuchteten Haustür lag die Jungmagd Hanne. Sie konnte nicht mehr schreien; sie wimmerte nur noch um Hilfe. Ein entsetzlicher Schrecken hatte das arme Mädchen gelähmt. Man trug sie in die Küche, legte sie auf die grosse Wandbank.

      „Hanne, Hanne, was ist dir? Was ist denn geschehen?“ fragte Frau Zöllner. Das Mädchen konnte nur lallen.

      „Am Brunnen . . . am Brunnen . . .“

      „Was ist am Brunnen?“

      „Die Lore . . . die Lore . . .“

      „Was ist mit Lore?“

      „Tot!“ . . .

      Da war das Mädchen bewusstlos. Aber noch eine andere wurde ohnmächtig, das war Frau Reich, Lores Mutter. Sie schrie ein paarmal weh auf, dann brach sie zusammen. Die Knechte und Mägde standen erschüttert da. Die einzige, die gefasst blieb, war die Gutsfrau Anna Zöllner.

      „Reibt Frau Reich die Schläfe mit Wasser und auch der Hanne, flösst ihnen starken Kaffee ein, tragt sie nach oben, legt sie auf mein Bett. Emil und Gustav nehmen die Heutrage, kommen mit mir. Gebt mir eine Laterne!“

      Nach zehn Minuten brachten sie die Lore getragen. Sie war tot. Ihr Tanzkleid war völlig durchnässt, zum Teil zerrissen, ihre schönen blonden Haare waren zerzaust, am Halse waren rote und blaue Flecken. Schaudernd drückten sich die Leute in die Stubenecke. Die Mädchen schluchzten, selbst die starken Knechte bebten.

      „Schickt nach dem Arzt, nach dem Amtsvorsteher und dem Landjäger! Lore Reich ist ermordet worden. Emil und Gustav suchen die Wirtshäuser nach meinem Mann ab.“

      So befahl die Gutsfrau.

      Emil und Gustav kehrten sofort zurück. Sie hatten den Bauern in einer Türnische gefunden; er war schwer betrunken. Sie stiessen den Torkelnden die Treppe hinauf. Er fluchte über die Lore. Sie brachten ihn zu Bett.

      Ein Arzt kam im Auto an. Er konstatierte Lores Tod, eingetreten vor etwa zwei Stunden durch Ertrinken. Der Amtsvorsteher kam, mit ihm der Landjäger. Die Staatsanwaltschaft wurde telefonisch benachrichtigt. Bei anbrechendem Tage kamen die Leute vom Gericht. Alles hatte auf ausdrücklichen Befehl unberührt bleiben müssen.

      Eine Stunde später ordnete der Staatsanwalt an: „Die Leiche der ermordeten Lore Reich ist beschlagnahmt — der Gutsbesitzer Stefan Zöllner ist verhaftet.“

      Schwurgericht

      Es ging um Leben und Tod.

      Der Staatsanwalt plädierte auf vorsätzliche Tötung, also auf Mord. Als Unterfrage stellte er: Totschlag.

      „Stellen Sie sich vor: der Angeklagte ist wahnsinnig verliebt in seine Hausangestellte, obwohl er eine schmucke, gesunde Frau und einen braven Sohn hat, der schon in der Sekunda des Gymnasiums ist. Stefan Zöllner lief der Ermordeten auf Schritt und Tritt nach, besuchte mit ihr ein Tanzvergnügen nach dem anderen, stellte sich bloss vor der ganzen Gemeinde, brachte sich und das Mädchen in übelstes Gerede. Das stumme Leiden seiner Frau störte ihn in seinen Räuschen nicht; er dachte nicht an die Ehre seines heranwachsenden Sohnes. Ebensowenig scherte sich Lore Reich um die öffentliche Meinung. Dass sie ein leichtsinniges Mädchen war, muss zugegeben werden. Aber nach den Zeugenaussagen, auch nach der Aussage ihrer unglücklichen Mutter, die sie doch schon einmal verstossen hatte, war Lore, bevor Zöllner aus dem Kriege heimkam, ein braves, unbescholtenes Mädchen. Sie wurde verführt, und ihr Verführer, der heute auf der Anklagebank sitzt, wurde ihr Mörder. Was hat dieser Mann verschuldet an seiner Frau, an diesem unglückseligen Mädchen, an deren beklagenswerter Mutter, an ihrem Bruder, der, ein vom Felde der Ehre heimgekehrter makelloser Offizier, die Schande seiner Familie nicht ertrug, der Heimat und Mutter verliess, Verzweiflung im Herzen. Er ist verschollen seit Monaten, es fand sich von ihm keine Spur mehr. Das alles hat der Angeklagte auf dem Gewissen. Nun, was ging dem Morde voraus? Obwohl, wie die Hofgenossen aussagen, Frau Zöllner der Ermordeten den abermaligen Besuch eines Tanzvergnügens streng verboten hatte, entwich Lore Reich zur Nachtzeit aus dem Hause, wahrscheinlich auf Veranlassung und mit Hilfe des Angeklagten. Nun war aber mit dem Mädchen indes eine grosse Veränderung vorgegangen. Von ihrem Brotherrn verführt, war ihr das heilige Gefühl der Frauenehre verloren gegangen. Sie fing an, auch mit anderen Männern zu flirten. Das Dorf hatte militärische Besatzung bekommen, so wie es nach Kriegsschluss ja vielfach üblich war. Die Soldaten hatten nichts zu tun, Disziplin war nicht mehr; so trieben sie eben Unfug. Die Tanzereien nahmen nicht ab, die Mädchen wurden wild gemacht; eine der tollsten war Lore Reich. Sie warf sich den Soldaten an den Hals. Einwandfrei erwiesen ist die ausgebrochene wilde Eifersucht des Angeklagten. In der Mordnacht hat er sich im Tanzraum unbändig benommen, er hat die Lore aus den Armen ihrer Tänzer gerissen, Prügeleien angefangen, hat das Mädchen beschimpft, zuletzt, als er es gar zu arg trieb, hat ihn Lore Reich, die ja sehr temperamentvoll war, ins Gesicht geschlagen und ihm zugerufen: ,Ich mag dich nicht mehr, du alter Kerl!‘ Da hat er geschrien, nun sei ihr letztes Stündlein gekommen, und hat nach seinem Eichenstock gesucht. Das Mädchen ist in Todesangst entflohen, Zöllner ist noch eine Weile festgehalten worden, dann hat er sich losgerissen. Zwei Zeugen, die ihm nachrannten, hat er an die Wand geschleudert; er ist bärenstark. Da hat man von der Verfolgung leider abgesehen, und so ist das Unglück geschehen. Erwiesen ist, dass Zöllner in jener Nacht nicht stark betrunken war; er hat die grausige Tat bei klarem Verstande vollbracht. Dass er nicht betrunken war, geht auch daraus hervor, dass er das Mädchen am Brunnen nicht bloss würgte, sondern imstande war, sie mit dem Kopfe in das heisse Wasser des Brunnens solange zu halten, bis sie tot war. Im allgemeinen dauert es drei Minuten, ehe ein Ertrinkender oder Erhängter tot ist. Lore Reich war feingliedrig, aber doch ein kerniges Mädchen; sie hat sich natürlich mit allen Kräften gewehrt. Das haben die Spuren am

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