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Ihrer Freundin aufgekreuzt sind.«

      »Nein, natürlich nicht.« Der Indianer sah Høyer mit aufrichtiger Verblüffung an. »Ich bin direkt zu Grete gefahren.«

      »Was Sie nicht sagen! Sie müssen sehr leise gewesen sein. Die alte Dame hat vor zwölf nichts von Ihnen gehört.«

      »Ich bin sehr leise. Immer. Dafür bin ich unter anderem berühmt«, lachte er. »Wenn ich ganz ehrlich sein soll – und das soll ich wohl –, ich habe geschlafen. Ich war müde, ich war an dem Tag lange unterwegs gewesen und rechnete damit, dass Grete schon noch aufkreuzen würde, deshalb habe ich mich aufs Sofa gelegt und bin sofort eingeschlafen. Kurz vor zwölf bin ich aufgewacht, und als sie noch immer nicht da war, dämmerte es mir, dass sie wohl wirklich in Urlaub ist. Ich beschloss, das Etablissement zu verlassen. Ganz leise und ruhig, genau wie ich gekommen bin. Und dann hatte ich das verdammte Pech, den beiden – ich will ja nicht grob werden, aber sie haben sich aufgeführt, als hätte ich die Kronjuwelen gestohlen – direkt in die Arme zu laufen.«

      »Und Sie hatten natürlich nichts bei sich«, sagte Høyer. »Aber das versteht sich von selbst, denn sobald Ihnen klar wurde, dass die Polizei auf dem Weg war, haben Sie alles zurückgelegt. Ganz dumm sind Sie schließlich nicht.«

      »Høyer, bei meiner Ehre, mein Gewissen ist so rein wie frisch gefallener Schnee.«

      »Das wäre das erste Mal, dass ich das erlebe«, stellte Høyer fest.

      »Es ist sechs Jahre her, dass ich etwas Ungesetzliches getan habe. Das können Sie mir doch nicht länger unter die Nase reiben.«

      »Okay«, sagte Høyer. »Diese Grete Krag, die Sie, wie Sie sagen, so gut kennen, dass sie Ihnen den Schlüssel zu ihrer Wohnung überlassen hat, ist das Ihre Geliebte?«

      »Grete!« Er lachte. »Sie würde sieben Kreuze schlagen, wenn sie Sie hören könnte. Nein, wir sind nur befreundet. Sehr gut befreundet. In Wirklichkeit ist sie die einzige Freundin, die ich habe.« Er zögerte einen Augenblick. »Sie ist süß, liebenswürdig, nett und hilfsbereit und man kann sich auf sie verlassen. Außerdem ist sie Juristin. Assessorin am Nachlassgericht. Ledig. Und in ihrer Wohnung gibt es nichts, das es wert wäre, gestohlen zu werden.«

      Høyer sah ihn stumm an.

      »Ich wünschte, ich könnte Ihnen glauben«, sagte er schließlich und meinte es auch so. Dieser Typ rührte an etwas in ihm, auch wenn er ein Psychopath oder ein Ganove war. An etwas, was er nicht benennen konnte, was er nicht verstand. Er hatte so ein Gefühl, dass er sich selbst ein bisschen besser verstehen könnte, wenn es ihm gelingen würde, den Indianer zu verstehen.

      »Ich wünschte, ich könnte Ihnen glauben«, wiederholte er. »Aber Sie überzeugen mich nicht. Ich gebe gerne zu, dass ich gehofft habe, Sie vor sechs Jahren zum letzten Mal hier gesehen zu haben. Dass Sie erwachsen werden würden, oder wie man das nennen soll. Nicht nur Ihretwegen und noch weniger meinetwegen, aber ich denke, dass es ..., dass es eine Verschwendung von Fähigkeiten und Möglichkeiten ist, eine Verschwendung von Ressourcen, um es mit einem Modewort auszudrücken, dass Sie in diesem Metier gelandet sind. Sie sind begabt, Sie sind auf dem Gymnasium hervorragend zurechtgekommen – auch wenn Sie schon damals Ihre Nummern abgezogen haben – und Sie haben ein gutes Abitur gemacht. Warum also? Sie kommen aus einer guten Familie, einer wohlhabenden zudem, Sie konnten zwischen allen erdenklichen Ausbildungen wählen. Sie hatten alles, und dann entschließen Sie sich, Gott steh mir bei, ein Einbrecher zu werden. Nicht einmal ein besonders hervorragender Einbrecher.«

      »Das stimmt nicht«, sagte der Indianer verletzt. »Ich war ein hervorragender Einbrecher.«

      Høyer lachte. »Ach, habe ich Sie in Ihrer Eitelkeit gekränkt? Aber wie gesagt, ich verstehe Sie nicht. Alle Möglichkeiten standen Ihnen offen.«

      »Ich dachte mir schon, dass wir wieder da enden würden«, sagte der Indianer mit einem resignierten Seufzer. »Sie können es einfach nicht lassen, mir ins Gewissen zu reden, nicht wahr, Høyer? Sie müssen mir jedes Mal eine Moralpredigt halten.«

      »Nein, diesmal nicht«, sagte Høyer. »Das ist nicht meine Absicht. Das hier ist keine Moralpredigt, das ist eine Frage. Warum?«

      Der Indianer nahm eine neue Zigarette aus der Packung und betrachtete sie einen Moment, ohne etwas zu sagen. Er hob fragend die Augenbrauen, und als Høyer nickte, zündete er die Zigarette an.

      »Okay«, sagte er und blies eine Rauchwolke in die Luft. »Ich werde versuchen, Ihnen zu antworten. Aber zuerst möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass dieses Stadium überwunden ist. Das werden Sie früher oder später auch herausfinden.« Er zog an der Zigarette. »Ich habe mir die Frage übrigens auch hin und wieder gestellt«, sagte er mit einem schiefen Lächeln. »Warum? Ich glaube, die Antwort heißt Freiheit.«

      »Freiheit!«, Høyer schrie fast. »Nein, ich denke ...«

      »Doch«, unterbrach ihn der Indianer. »Eine Form von Freiheit zumindest. Zum einen war es meine eigene Wahl. In jeder Beziehung. Und zum anderen hatte ich niemanden über und niemanden unter mir. Ich war souverän. Bestimmte selbst, wann und wie. Ich habe immer alleine gearbeitet, wissen Sie.«

      »Und alleine gesessen«, sagte Høyer brutal.

      Der Indianer zuckte mit den Schultern. »Jeder Job hat sein Risiko. Es gibt Maurer, die vom Gerüst fallen und für sehr viel längere Zeit und einen sehr viel geringeren Lohn zu Invaliden werden.« Er schwieg kurz, während er nachdachte. »Ja, es hatte mit Freiheit zu tun. Und vor allem mit Spannung. Die meisten Menschen brauchen Spannung in der einen oder anderen Form. Manche werden zu Einbrechern, andere zu ...«, er zuckte mit den Schulter, »... Geschäftsleuten und wieder andere zu Politikern. Wir zwei, Høyer, sind in Wirklichkeit zwei Seiten derselben Medaille.«

      »Unsinn«, sagte Høyer.

      »Nein, das geben Sie natürlich nicht zu. Nicht hier und nicht jetzt. Und Sie haben im Nachhinein natürlich auch eine vernünftige Begründung gefunden und glauben, dass Sie Polizist geworden sind, um Schurken wie mich unschädlich zu machen. Aber ich bin nicht sonderlich schädlich und ich bin überzeugt, dass Sie sich vor zwanzig, dreißig Jahren entschlossen haben, Polizist zu werden, weil die Spannung Sie gelockt hat. Sie wollten keinen langweiligen Achtstundenjob oder Bauer oder Maurer oder Zimmermann oder Lehrer werden, nein, Sie wollten Spannung. Habe ich Recht?«

      Er lächelte Høyer unschuldig an. Unschuldig und triumphierend.

      »Hmm«, brummte Høyer.

      »Sie sagen, mir hätten alle Möglichkeiten offen gestanden, aber was hätte ich werden können, was genauso spannend gewesen wäre? Geschäftsmann? Das sagte mir damals nichts. Arzt, Zahnarzt, Jurist, Ingenieur? War das spannend? Vielleicht, aber zuerst erwartete einen eine jahrelange Wüstenwanderung durch die eine oder andere Lehranstalt. Allein der Gedanke war tödlich.« Plötzlich lachte er. »Wissen Sie, was ich überlegt hatte zu werden? Akrobat! Sie wissen schon, jemand, der von einem Mast in ein winziges Bassin mit brennender Oberfläche springt. Als Junge fand ich das ungeheuer spannend. Aber später habe ich so einen Typen einmal von Nahem gesehen. Ein müder, alter Mann. Ein kleiner, ängstlicher Mann mit einer elastischen Binde um den Oberschenkel, den er sich am Bassinrand verletzt hatte. Ein paar Monate später habe ich gelesen, dass er ums Leben gekommen ist. Vielleicht absichtlich. Jedenfalls hat mir das die Lust genommen, Akrobat zu werden. Ich war nicht die Spur waghalsig. Nicht einmal mutig. Es gehört nicht viel Mut dazu einzubrechen, aber es ist spannend. Eine billige Spannung.«

      »Und jetzt wollten Sie diese Spannung noch einmal erleben?«

      »Ganz und gar nicht. Ich bin dem entwachsen, Høyer. Die Meisten entwachsen dem. Vielleicht ist es irgendwann auch nicht mehr spannend. Oder es gibt andere Dinge, die noch spannender sind. Sie finden es bestimmt auch nicht immer aufregend, Polizist zu sein. Heute liegt die Spannung in anderen Dingen als in Ihrer Jugend, habe ich Recht?«

      »Aber Sie konnten nicht einfach einen Schlussstrich ziehen. Man bleibt dem Milieu verhaftet. Das sehen wir immer wieder.«

      »Ich nicht«, sagte der Indianer. »Ich habe im Grunde genommen nie zum Milieu gehört. Nicht wirklich.

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