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haben mußte. Ihm, dem Volke, mußte es genug sein, für die leichteren Vergehen bei Gott Fürbitte einzulegen, während es sich überzeugt halten mußte, daß nur die Gebete der Gerechten Gnade für die schwereren Sünden erwirken könnten. Wie sollte sonst Johannes behaupten können, man dürfe für schwerere Vergehen nicht bittend auftreten, da er doch wußte, daß Moses bei seiner Fürbitte Erhörung gefunden, als es sich um einen ganz freiwilligen Abfall handelte? Nicht minder wußte er, daß Jeremias mit gleichem Erfolge gebeten hatte.

      Wie sollte nun Johannes behaupten können, man dürfe nicht für die Sünde, welche zum Tode ist, eintreten, da er doch in der geheimen Offenbarung jenes Gebot an den Engel der Kirche von Pergamos schrieb? „Du hast daselbst Einige, welche die Lehre Balaams halten, der den Balak lehrte, ein Aergerniß anzurichten vor den Kindern Israels, Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben: so hast auch du, welche die Lehre der Nicolaiten halten. Thue auch du Buße: wo nicht, so komme ich dir schnell.“ Seht ihr, wie Gott, der die Buße fordert, auch Verzeihung zusagt? Er fügt nämlich hinzu: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt: wer überwindet, dem will ich von dem verborgenen Manna zur Speise geben.“

      Hatte etwa Johannes nicht erfahren, daß Stephanus für seine Verfolger betete, obwohl diese nicht einmal den Namen Christi hören konnten? Für diejenigen, welche ihn steinigten, flehte er: „Herr, rechne es ihnen nicht zur Sünde.“ Wie wirksam dieses Gebet war, zeigt uns der Apostel. Es wurde ja Paulus, der die Kleider der Steiniger bewacht hatte, nicht lange nachher durch die Gnade Christi ein Apostel des Herrn, wie er vorher sein Verfolger gewesen war.

      Cap. 11

      Da wir nun einmal des Briefes Johannis erwähnt haben, so wollen wir auch betrachten, was in seinem Evangelium geschrieben steht, um zu erkennen, ob das mit eurer Auslegung übereinstimmt. Hier erzählt er, daß der Herr gesagt habe: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn dahin gab, so daß Jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern das ewige Leben habe.“ Wenn du nun einen Gefallenen zurückzuführen wünschest, wirst du ihn ermahnen, daß er glaube, oder daß er nicht glaube? Sicher, daß er glaube. Aber wer glaubt, der hat nach dem Worte des Herrn das ewige Leben. Wie willst denn du nun wehren, für den bittend einzutreten, dem das ewige Leben zu Theil werden soll? da doch der Glaube ein Geschenk der göttlichen Gnade ist, wie das der Apostel, wo er von der Vertheilung der Gnadengaben spricht, ganz ausdrücklich lehrt. So flehen auch die Jünger: „Mehre uns den Glauben.“ Wer also den Glauben hat, der hat das Leben; wer aber das Leben hat, der ist doch wahrhaftig nicht ausgeschlossen von der Verzeihung. „Jeder, der an mich glaubt,“ sagt der Herr, „wird nicht verloren gehen.“ „Jeder" sagt er: so ist denn Keiner zurückgewiesen, Keiner ausgeschlossen. Der Herr schließt auch denjenigen nicht aus, der gefallen ist, wenn er nur nachher zum vollen Glauben gelangt.

      Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß gar Viele nach ihrem Falle sich wieder gebessert und für den Namen Gottes gelitten haben: Können wir nun diesen die Gemeinschaft der Martyrer verweigern, da der Herr Jesus selbst sie ihnen nicht weigert? Wagen wir zu behaupten, daß denen das Leben nicht zurückgegeben sei, denen Christus den Siegeskranz verliehen hat? Wie nun so Manchen, wenn sie nach dem Falle Martern ertragen, der Siegeskranz zu Theil wird, so erhalten sie auch, wenn sie vertrauensvoll zum Herrn sich wenden, die Gnade des Glaubens wieder. Dieser Glaube ist ja ein Geschenk Gottes. Denn so steht geschrieben: „Euch ist in Beziehung auf Christum gegeben, nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden.“ Kann nun der, welcher vom Herrn diese Gnadengabe besitzt, nicht auch Verzeihung erlangen?

      Diese Gnadengabe ist aber eine doppelte: einmal an den Herrn Jesus zu glauben, dann für ihn zu leiden. Derjenige, welcher glaubt, besitzt die eine Gnade; die andere besitzt er, wenn sein Glaube durch Martern und Leiden verherrlicht wird. So war Petrus, ehe er litt, keineswegs ohne Gnade; aber in seinem Leiden ward er auch der anderen theilhaftig. Und gar Viele gibt es, die die Gnade, für Jesus zu leiden, nicht erlangten; gleichwohl hatten sie die Gnade, an ihn zu glauben.

      Deßhalb heißt es auch: „Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht verloren gehen.“ „Jeder,“ d. h. in welchem Stande er sein mag, von welchem Falle er sich erheben muß, er darf nicht fürchten, verloren zu gehen, wenn er glaubt. Es kann ja geschehen, daß Jemand von Jerusalem nach Jericho wieder hinabsteigt, d. h. daß Jemand von dem Kampfe des Martyriums wieder in die Lust dieses Lebens, in die Freuden, die die Welt bietet, sich verliert, daß dieser von den Räubern, d. h. hier von den Verfolgern verwundet und halbtodt liegen gelassen wird. So findet ihn dann jener Samaritan des Evangeliums, welcher der Hüter unserer Seelen ist, — heißt ja doch Samaritan so viel als Wächter; — er geht nicht vorüber, nein, er sorgt für ihn und heilt ihn.

      Wohl mir! deßhalb geht der Samaritan nicht vorüber, weil er noch Leben in dem Verwundeten erkennt, so zwar, daß er das volle Leben wieder erlangen kann. Scheint nun derjenige, welcher gefallen ist, nicht halbtodt, wenn der Glaube noch einen Lebensfunken bewahrt hat? Wer Gott gänzlich aus seinem Herzen vertreibt, nur der ist todt. Wer aber nur unter der Wucht der Martern zeitweise ihn verleugnet hat, der ist nur halbtodt. Oder aber, wenn er ganz todt ist, wie kannst du ihm, der nicht mehr geheilt werden kann, auflegen, Bußwerke zu übernehmen? Wenn er halbtodt ist, dann gieße Oel und Wein in seine Wunden; Oel und Wein zugleich: zum Heilen, aber zum schmerzhaften Heilen. Ja, lade ihn nur auf dein Lastthier, übergib ihn dem Wirthe, wende die beiden Münzen auf seine Heilung und beweise dich ihm als Nächster. Das kannst du aber nicht sein, wenn du nicht Barmherzigkeit an ihm übst: nur der kann als Nächster gelten, der nicht tödtet, sondern heilt. „Willst du sein Nächster sein,“ sagt Christus, „so gehe hin und thue deßgleichen.“

      Cap. 12

      Ein anderes Wort sagt: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben; wer aber dem Sohne nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.“ Was nun bleibt, das hat doch sicher irgendwo angefangen, und zwar hier bei der Sünde, vorher nicht geglaubt zu haben. Sobald nun Jemand glaubt, weicht der Zorn Gottes und das Leben kehrt zurück. An Christus glauben, ist also Gewinn des Lebens: denn wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet.

      Hier bemerken die Gegner, daß derjenige, welcher an Christus glaube, auch sein Wort bewahren müsse nach dem Ausspruche des Herrn: „Ich bin als das Licht in die Welt gekommen, damit Jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsterniß bleibe; wenn aber Jemand meine Worte hört und sie bewahrt, den werde ich nicht richten.“ Er richtet also nicht, und du willst richten. Er sagt: „Damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsterniß bleibt“, d. h. damit er, wenn er in der Finsterniß war, nicht in ihr bleibe, sondern seinen Fehler bessere, seine Schuld gutmache und meine Gebote darnach beachte. Ich habe ja gesagt: „Ich will nicht den Tod des Sünders, sondern seine Bekehrung;“ und ferner: „Wer an mich glaubt, der wird nicht gerichtet.“ Ich halte fest an meinem Worte: „Ich bin nicht in die Welt gekommen als ihr Richter, sondern daß die Welt durch mich selig werde.“ Ich verzeihe gerne, bereitwillig erweise ich mein Erbarmen; ich will ja lieber Barmherzigkeit, als Brandopfer. Durch das Opfer empfiehlt sich der Gerechte; aber durch die Barmherzigkeit wird der Sünder gewonnen; „ich bin ja gekommen, nicht die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder.“ Im Gesetze galt das Opfer, im Evangelium gilt Barmherzigkeit; das Gesetz ist durch Moses gegeben, durch mich aber ist die Gnade vermittelt. Kann es nun etwas Deutlicheres geben, als diese Worte?

      Der Herr fährt fort: „Wer mich verachtet und meine Worte nicht annimmt, der hat seinen Richter.“ Scheint dir denn nun, daß derjenige die Worte Christi annimmt, der sich nicht bekehrt? Sicherlich scheint es dir nicht so. Aber wer sich bekehrt, der nimmt das Wort des Herrn an; jenes Wort, nach welchem „ein Jeglicher sich abwenden soll von seiner Schuld.“ Entweder mußt du diesen Ausspruch des Herrn aus seinen Worten tilgen, oder wenn du ihn nicht leugnen kannst, mußt du dich dabei beruhigen.

      Darnach muß also doch auch derjenige wohl die Gebote des Herrn beobachten, der zu sündigen aufhört, der von seinen Vergehungen abläßt. Du darfst somit den Ausspruch Christi nicht so auslegen, als habe er gesagt: „Wer mein Wort allezeit beobachtet hat.“ Hätte der Herr das sagen wollen, so hätte er auch

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