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ich auf meine Bank. Zum Lernen, Entspannen, Sonnen und eben Nachdenken. Zum Einfach-mal-alleine-Sein. Es tat mir gut, und ich behielt die Gewohnheit bei, als Max und ich ein Jahr später die Wohnung in der Orleansstraße fanden. Die neue Strecke war mit dem Fahrrad nicht viel länger als vorher die alte zu Fuß.

      Es war also kein Wunder, dass ich den Nachmittag nach dem kleinen Arbeitsunfall mit Ivan wieder auf meiner Lieblingsbank am Tümpel verbrachte. Bei einem kurzen Zwischenstopp zuhause hatte ich mir noch eine Tafel Praliné-Schokolade und für den Fall der Fälle auch einen Flachmann mit konzentriertem Wodka-Eistee-Gemisch eingepackt. Ich gedachte nicht eher aufzustehen, bis sich auf dem Grund des Gammeltümpels die Lösung all meiner Probleme herauskristallisierte.

      Schon auf dem Weg in den Park fühlte ich mich deutlich besser. Irgendwie freier. Eventuell lag es daran, dass ich Schorschi gleich ganz zu Hause gelassen hatte, um nicht durch die mistige Chatterei abgelenkt zu werden. Kein bimmelndes, küssendes, Dauerverfügbarkeit herauströtendes Gerät in der Tasche zu haben, ergab einen ganz frischen, unverstellten Blick auf die Welt. Denselben Blick, den ich noch sechs Wochen zuvor gehabt hatte: Aufmerksam, neugierig, mit Geduld und Gelassenheit für die fast unsichtbaren Details am Rande.

      Fünf Minuten später hatte ich mein Fahrrad an einen Baum gekettet und saß auf „meiner“ Bank am Tümpel in der Sonne. Ich schloss für eine Weile die Augen und atmete tief durch. Doch irgendetwas war an diesem Juninachmittag anders als sonst. Seit ich Platz genommen hatte, lag ein merkwürdiges Geräusch in der Luft. Es war ein an- und dann schnell wieder abschwellendes Sirren wie von einem besonders großen Insekt. Was ja im Juni keine Besonderheit bedeutet hätte, noch dazu an einem romantisch veralgten Tümpel wie diesem. Ich sah mich mehrmals nach einem geflügelten Blutsauger um, konnte aber keinen entdecken.

      Gleichzeitig streifte mich immer wieder ein leichter Luftzug, was mich nach einer Weile so irritierte, dass ich meine Strickjacke überzog. Unschlüssig aß ich ein Stück Schokolade. Irgendwie schmeckte sie nicht so gut wie früher. Gerade wollte ich in meiner Tasche nach dem Flachmann suchen und den unperfekten Geschmack mit Wodka herunterspülen, als das Sirren und der Luftzug stärker wurden. Sekunden darauf schoss von links oben ein großer dunkler Vogel auf mich zu, und ich warf mich ein wenig zur Seite und schlug instinktiv die Hände vors Gesicht, um meine Augen zu schützen.

      Doch nichts geschah. Auf einmal herrschten wieder Stille und strahlender Sonnenschein am Tümpel. Die Vögel zwitscherten im Gebüsch, wo sie hingehörten, Sirren und Luftzug hatten aufgehört. Vorsichtig richtete ich mich wieder auf und blinzelte zwischen den Fingern durch. Nichts. Erst als ich nach meiner Handtasche tastete, um auf den Schreck einen Schluck Kaffee zu nehmen, stießen meine Finger gegen etwas Hartes, Kantiges. Ich schrie erschrocken auf, beruhigte mich aber gleich wieder, nachdem ich hingesehen hatte:

      Neben mir auf der Parkbank war ein Spielzeughelikopter gelandet. Er war quadratisch, ungefähr vierzig Zentimeter lang und hübsch schwarz-rot lackiert. Eigentlich sah er nicht aus wie ein Helikopter, weil er vier Rotoren hatte, an jeder Ecke einen. Er stand auf vier geschwungenen Metallbeinen, die ihm etwas Lauerndes verliehen. Wie eine Art fliegende Spinne. Die doppelten Rotorflügel reflektierten die Sonne, waren aber bereits völlig zum Stillstand gekommen. Das ganze Fluggerät gab keinen Mucks mehr von sich, stand aber auf seinen vier Beinchen, als könnte es jederzeit wieder abheben. Neugierig nahm ich das ferngesteuerte Ding in die Hand, um es näher zu betrachten. Dabei hielt ich ihn aber etwas von mir weg, damit mir die Rotoren nicht plötzlich den Pony umfrisieren würden, wenn ihr Besitzer den Motor wieder in Betrieb nähme. Das Fliegedings war ziemlich schwer, bestimmt zwei Kilo, und fühlte sich stabil an. Ich erinnerte mich, vor Monaten eine Meldung über rasant gestiegene Absatzzahlen von fernsteuerbaren Spielzeughelikoptern gelesen zu haben. Das war er also gewesen, der Weihnachtsschlager 2013.

      Als ich das Ding herumdrehte, blitzte es weiß zwischen den Kufen. An einer winzigen, mit Sekundenkleber aufgeklebten Drahtschlaufe war dort eine Büroklammer eingehängt, und in der Büroklammer klemmte ein zusammengefaltetes Stück Papier. Eine Botschaft!

      Ich runzelte die Stirn. Wenn das ein Annäherungsversuch sein sollte, wäre es zugegebenermaßen ein ziemlich kreativer. Trotzdem war und blieb es ein Annäherungsversuch, noch dazu ein anonymer. Wenn der Typ mir nicht einmal sein Gesicht zeigen wollte, konnte das ja nichts sein.

      Der kleine Zettel flatterte leicht hin und her, als wollte er mir winken, ihn zu öffnen. Ich überlegte, bevor ich ihn von der Büroklammer zog. Da würde mit Sicherheit ein bescheuerter Anmachspruch draufstehen, wenn nicht sogar irgendetwas Perverses. Du hast geile Titten, zieh dich aus oder Wenn du möchtest, nagle ich dich quer über die Parkbank. Ich lachte gehässig. Und dabei wagte er es nicht einmal, mir auch nur eine Zehe von sich selbst zu zeigen. Welcher kranke Stalker machte denn so etwas?

      „Bei mir funktioniert so was nicht, ich bin immun gegen Kackmist-Anmache!“, rief ich provozierend, doch nichts rührte sich. Nur eine einsame Rentnerin, die gerade über die japanische Brücke wackelte, blickte erschrocken zu mir hinüber.

      Natürlich öffnete ich den Zettel nach kurzem Überlegen trotzdem. Es war ein dreimal gefaltetes Blatt aus einem etwas dickeren Papier, viereckig, mit glatten Kanten. So weiß, dass es leuchtete. Wahrscheinlich von einem dieser Notizblock-Würfel zum Abreißen, wie sie vor Erfindung der Smartphones noch in jedem Haushalt herumgegeistert waren. Der Zettel enthielt nur ein einziges Wort in einer säuberlichen, etwas steilen Handschrift.

       Hi.

      Mehr stand da nicht. Den Literaturnobelpreis konnte man dafür wohl nicht bekommen. Misstrauisch sah ich mich um, doch natürlich war immer noch nichts zu sehen. Mir kam ein Geistesblitz: Wenn ich den Heimatflughafen dieses viereckigen Hubschraubers beim Anflug nicht zuordnen konnte, dann vielleicht wenigstens beim Rückflug. Ich würde ihm also Grund und Gelegenheit geben, zielgerichtet zurück zu schwirren – und ihm dabei folgen. Wenn das eine Anmache war, interessierte sich der Absender doch bestimmt brennend für meine Antwort. Ich hatte keine Ahnung, was so ein Ding für eine Reichweite hatte, aber mehr als ein paar hundert Meter konnten es eigentlich nicht sein. Ich würde einfach hinterher laufen!

      Ich kramte einen Kugelschreiber aus meiner Handtasche und kritzelte auf die Rückseite des Papiers:

       Auch Hi.

      Behutsam faltete ich das Zettelchen wieder zusammen und befestigte es an der Büroklammer. Erwartungsvoll stellte ich den Hubschrauber neben mich auf die Bank, und tatsächlich – etliche Sekunden später sprangen die Rotorblätter an, und mit einem Sirren verschwand die elektrische Brieftaube in den Himmel.

      Ich fackelte nicht lange, raffte meine Umhängetasche an mich, sprang auf und lief hinterher.

      Bei meinem Geschick von Anfang an ein aussichtsloses Unternehmen. Ich schaffte ziemlich genau zehn Meter, bevor es mich über meine eigenen Schuhspitzen semmelte, wie der Bayer sagt. In unebenem Gelände mit den Augen in der Luft drauflos zu rennen ist generell keine gute Idee. Bis ich mich wieder aufgerichtet und Staub und Gras von meinen Knien und Handflächen geklopft hatte, war der Heli längst außer Sichtweite.

      Frustriert setzte ich mich wieder hin und versuchte, mich zu beruhigen. Mein albernes Herz klopfte schneller, als es der kurze Sprint und der Sturz in die Wiese gerechtfertigt hätten. Was er (denn ich nahm ganz automatisch an, dass mein anonymer Brieffreund ein Mann wäre) wohl antworten würde? Wenn seine elektronische Brieftaube überhaupt zurückkehrte. Vielleicht war die ganze Aktion auch nur ein einmaliges, lustiges Spiel von irgendwelchen Teenagern, die mit versteckter Kamera die Reaktionen der „Angeflogenen“ mitfilmten.

      Misstrauisch beäugte ich meine nähere Umgebung genauer, um die eventuelle Kamera zu enttarnen, aber es war alles wie immer. Die genmutierten Kröten quakten leise, die splitterige Holzbank unter mir war angenehm warm von der Nachmittagssonne, im Unterholz um mich herum herrschte der gleiche Wildwuchs wie sonst auch. Wenn dort irgendwo eine Kamera versteckt wäre, würde sie sowieso nichts Aufregendes zu filmen bekommen. Nur den Rücken einer vollständig bekleideten Krankenschwester, die sinnierte und ab und zu einen Keks aß. Wenn sie nicht gerade aufsprang und auf die Fresse flog. Wenn das jemand auf Youtube sehen wollte, sollte er von mir aus…

      Der erneute Anflug des Helikopters beendete meine

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