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hat und der das Haus bis heute prägt und leitet: Tobias Merckle, Spross einer bekannten Unternehmerfamilie, Sozialpädagoge, Chef des deutschen Zweiges der internationalen Organisation Prison Fellowship, großzügiger Stifter und so manches mehr. Tobias will nicht im Mittelpunkt des Buches stehen, das hat er mehrfach betont. Er ist zwar Visionär, Geldgeber, Motor, engagiertester Mitarbeiter bei einer ganze Reihe ähnlich gelagerter Projekte in verschiedenen Ländern der Welt. Aber er investiert seine Zeit lieber in Menschen als in Medienpräsenz. Er beschäftigt sich lieber mit neuen Konzepten für seine Schützlinge als mit Talkshowauftritten. Er wirkt eher schüchtern als strahlend – aber gerade deshalb ist er vermutlich der einzige Mensch auf dieser Welt, der solch ungewöhnliche Konzepte und Hilfsangebote starten und so konsequent durchziehen könnte.

      Und doch wird es im Buch viel um ihn gehen. Um seine Anliegen. Seine Visionen. Seine Hoffnungen. Seine Hilfsprojekte. Denn zum ziemlich ungewöhnlichen Ideenstrauß von Tobias Merckle gehört nicht nur das Seehaus. Auf seinem frucht baren Mist gewachsen sind auch die Hoffnungsträger Stiftung, das Konzept der Hoffnungshäuser sowie die Hoffnungs-Patenschaften.

      Anna und Simone kennen Tobias. Und sie kennen all diese Stichworte und können sich darunter einiges vorstellen:

      Die Hoffnungsträger Stiftung will – wie ihr Name sagt – Hoffnung stiften. Hoffnung gerade in „hoffnungslos“ wirkenden Gegenden der Welt, wo Armut und Elend besonders groß und die Zukunftsaussichten besonders schlecht sind. Hoffnung in gebeutelten Staaten wie Indien, Kambodscha und Sambia. Und eben auch Kolumbien. Hier, wo Gewalt und Blutvergießen zur Normalität gehören, wo die innere Sicherheit wackelt und die Wirtschaft taumelt.

      Hoffnung will die Stiftung zum Beispiel den Angehörigen von Menschen bringen, die gerade im Gefängnis sitzen – die Hoffnungsträger vermitteln Patenschaften. Paten in Deutschland spenden Monat für Monat Geld. Das kommt einem betroffenen Kind zum Beispiel in Kolumbien zugute. Mit dem Geld werden Schulkleidung und Bücher bezahlt, Arztbesuche und so manches mehr. So bekommt das Kind eines Knackis eine Chance fürs Leben.

      Hoffnung und Zukunft wollen die Hoffnungsträger aber auch Strafgefangenen in kolumbianischen Gefängnissen vermitteln. Beispielsweise durch Begegnungen und Versöhnungsgespräche zwischen Tätern und Opfern.

      Und schließlich unterstützen die Hoffnungsträger hier in Kolumbien einige von Gewalttaten und Massakern besonders hart getroffene Kommunen. Und sorgen dafür, dass dort in einem langen Prozess Täter und Opfer zusammenkommen und dass „Dörfer der Versöhnung“ entstehen.

      Doch nicht nur im Ausland will die Stiftung Hoffnung und Versöhnung vorantreiben. Auch in Deutschland setzt sie Zeichen:

      Sie konzipiert und baut sogenannte „Hoffnungshäuser“: Oasen, in denen Deutsche und Migranten zusammenleben, einander kennenlernen, eine stabile Gemeinschaft bilden können. Orte der Begegnung, die Integration möglich machen, bevor es zu Vorurteilen, Ausgrenzungen, Abgrenzungen kommen könnte.

      „Aus meiner Sicht hängt das alles irgendwie mit allem zusammen – Seehaus, Stiftung, Hoffnungshäuser“, schließe ich meinen kurzen thematischen Rundumschlag ab. Und schaue auf der Suche nach Verständnis abwechselnd Anna und Simone an. Beide nicken. Die Erkenntnis, die ich erst in den letzten Tagen gewonnen habe, ist für sie schon lange selbstverständlich.

      „All das gehört zusammen. In der Person und im Anliegen von Tobias Merckle. Aber eben auch in einem Konzept mit weitreichender Perspektive. Und mit vielen verschiedenen Bestandteilen. Deswegen will ich in meinem Buch viele spannende Menschen vorstellen, die mit Seehaus oder Hoffnungsträgern zu tun haben. In kurzen Reportagen, die wie Puzzleteilchen gestaltet sind. Wer sich eines nach dem anderen von diesen Teilen vornimmt und betrachtet, bekommt dann am Ende ein gutes Gesamtbild. Ein Bild voller Hoffnung und Versöhnung. Ein Bild, das Mut machen und anstecken kann.“

      Anna und Simone nicken weiter. Sie stimmen mir zu und wünschen dem Projekt viel Erfolg. Sieht so aus, als würden sie sich für mein Buch interessieren. Ich muss mir unbedingt notieren, dass die beiden ein Exemplar bekommen, wenn das Buch erscheint, geht mir durch den Kopf.

      Inzwischen sind die Vorspeisen verputzt. Simone scheint ihren ultradicken Hamburger zu genießen. Anna und ich sind nur mäßig glücklich mit der nicht besonders originell abgeschmeckten Käsesoße zur Pasta beziehungsweise mit dem sehr dicken und staubtrockenen Pizzaboden. Aber egal, in netter Gesellschaft und bei einem so wichtigen Thema vergeht die Zeit wie im Flug.

      Plötzlich erwische ich mich dabei, wie ich den beiden eine Frage stelle, die mich schon länger beschäftigt. Und die für mein Buch ganz wichtig ist: „Wenn ihr die Arbeit von Tobias Merckle und seiner verschiedenen Betätigungsfelder in einem Satz zusammenfassen müsstet – wie würde dieser Satz lauten?“

      Beide Frauen lassen sich die knifflige Frage einen Moment durch den Kopf gehen. Dann antwortet Simone: „Es gibt keine hoffnungslosen Fälle, jeder Mensch verdient eine Chance und soll sie bekommen. Davon ist Tobias Merckle überzeugt, und das will er in seinen verschiedenen Projekten umsetzen.“

      Ein sehr guter Vorschlag, finde ich. So könnte man Anliegen und Konzept der verschiedenen Initiativen zusammenfassen, die ich in meinem Buch vorstellen will: eine Chance für jede und jeden. Eine zweite Chance. Und dann vielleicht noch eine dritte und vierte. Auch für scheinbar „hoffnungslose Fälle“ wie Strafgefangene, Kinder aus extrem armen Familien, Flüchtlinge ohne Deutschkenntnisse. Sie alle sollen um Gottes willen gesehen, verstanden und gefördert werden. Und können dadurch zu Hoffnungsträgern werden.

      Anna nickt. Auch ihr gefällt Simones Vorschlag. Dann erinnert sich Anna plötzlich an einen Satz aus Südafrika, den sie einmal von einer geistlichen Begleiterin gehört hat: „Sawubona. Ich sehe das Gute in dir.“

      „Sawubona“ sagen die Zulu als Begrüßung. Und so formulieren sie gerade auch dann, wenn ihr Gegenüber einen Fehler gemacht hat. Wenn er etwas gestohlen hat. Oder zugeschlagen, zerstört, missbraucht.

      Dann wird der Übeltäter, so berichtet Anna, in einen Kreis gestellt. Sein Vergehen wird nicht verschwiegen, sondern ausgesprochen. Aber es gilt dabei eben auch: „Wir sehen das Gute in dir.“ Und wir wollen dir deshalb helfen, wieder in die Gesellschaft zurückzukehren. Deine Schuld zu bereuen. Ein anderes Verhalten einzuüben. Deine Chance zu nutzen. Einen Neuanfang zu wagen, eine Versöhnung: Ja, du verdienst eine zweite Chance. Zu deinem Wohl und zum Wohl der Allgemeinheit.

      Mensch, das ist es. Ganz genau. In meinem Hirn gehen innerlich ein paar leuchtende Feuerwerke hoch. Vermutlich kann man ihren Schein in meinen Augen erkennen. „Jeder verdient eine zweite Chance“ – so lässt sich all das trefflich zusammenfassen, worum es in diesem Buch gehen soll.

      Der Kellner in dem kleinen Lokal schaut nun schon zum dritten Mal bei uns vorbei und fragt, ob noch irgendetwas fehlt. Ich sehe mich kurz um und stelle fest: Wir sind die letzten Kunden. Er will offenbar Feierabend machen.

      Ich zahle. Bedanke mich bei Anna und Simone für den wunderbaren Abend. Für all das, was ich gelernt habe über sie und die Projekte, in die sie so viel Liebe, Zeit, Kraft und Kompetenz stecken. Und besonders bedanke ich mich für ihre Ideen zum Buch.

      Was die Speisen angeht, kann ich dieses Lokal (dessen Name ich hier geflissentlich verschweige) nicht uneingeschränkt weiterempfehlen. Immerhin, die Säfte waren große Klasse.

      Die besondere Atmosphäre an diesem Ort aber hat mich auf dem Weg zum fertigen Buch einen großen Schritt vorangebracht. Danke, Anna und Simone. Und: Gott sei Dank für diese besondere Runde.

      2.

      Von harten Köpfen und verstockten Herzen –

      Wie Tobias Merckle seine Berufung und sein Lebenswerk entdeckte

      Ein Gefängnis in den Südstaaten der USA, in der Stadt Atlanta/Georgia. Wir schreiben das Jahr 1990. Achtzig, vielleicht einhundert Männer sind zusammengekommen. Harte Kerle. Muskelpakete voller Tattoos. Kriminelle mit reichlich „Knasterfahrung“. Gescheiterte Existenzen, denen man ihr Scheitern ansieht.

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