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ich merke das nicht? Ich bin meinem Mann im Wege. Deshalb soll ich eingesperrt werden. Und Sie, Sie –«, ihre Lippen gluckerten wie ein Sumpfloch, »Sie übernehmen die kleine Gefälligkeit – und dann werden er und Miggi, die zwei, die mich am meisten hassen …«

      Der Professor beugte sich leicht vor, in der Pose des Filmregisseurs, der sich die Muster des Vortages besieht.

      »Sybille«, versuchte ich sie zu beruhigen. Ich suchte ihre Hand.

      Sie stieß sie zurück. Sie spuckte die Worte aus wie bittere Tabletten.

      »Ihr könnt mich in den Tod hetzen – aber nicht für verrückt erklären!« Sie riß sich los und stürzte hinaus. Ihre Stimme gellte durch das Haus. Die kurze Besserung war vorbei – das tägliche Martyrium setzte wieder ein.

      Der Arzt nickte bedächtig, als hätte er es nicht anders erwartet. Gerd wollte mitkommen, um mir zu helfen, aber ich hielt ihn zurück.

      Sybille hatte sich in ihr Schlafzimmer eingeschlossen, zunächst taub für Bitten wie Drohungen. Schließlich öffnete sie die Tür. Sie lag angezogen auf ihrem Bett, hatte die Hände hinter dem Kopf gekreuzt; sie starrte unverwandt zur Decke.

      Ich setzte mich neben sie, versuchte, sie zu beruhigen. Sie hatte zum ersten Male den Verdacht ausgesprochen, daß ich sie in einem Nervensanatorium internieren wollte. Jetzt erst verstand ich, warum sie sich unbewußt gegen die ärztliche Behandlung gesträubt hatte: weil sie sich davor fürchtete.

      Ich wollte es ihr ausreden, aber ich sprach gegen eine Wand, die nur das Echo meiner eigenen Worte zurückwarf. Sie mußte mir zuhören, aber sie begriff offensichtlich nichts: ihre Miene veränderte sich nicht. Aber schließlich stand sie auf, ohne mich zu beachten, nahm zwei Schlaftabletten und legte sich wieder hin. Ich löschte das Licht und wartete, bis sie eingeschlafen war.

      Dann ging ich leise nach unten. Nur Gerd war noch da; er sah mir entgegen; hatte zuviel getrunken und wollte es verbergen.

      »Der Professor erwartet dich morgen nachmittag«, sagte er dumpf.

      »Hat er Sybille erschreckt, oder …?«

      »Nein, bestimmt nicht. Sie unterhielten sich über Blumen im Garten. Professor Lex ist nicht nur eine wissenschaftliche Kapazität, sondern auch ein enormer Praktiker.«

      Dann schwiegen wir beide. Keiner von uns hatte auf die vielen Fragen eine Antwort. Die Stille im Raum war ungut unwirklich.

      Mitunter sind Gedanken lauter als Worte.

      II

      Ich hätte nicht erwartet, daß Professor Lex am nächsten Tag die gefürchtete Konsultation als gemütliche Plauderstunde eröffnen würde. Seine exklusive Praxis war im elften Stock eines Glas- und Betonpalastes, der sein Haupt wie ein Wahrzeichen zeitgemäßen Selbstbewußtseins hoch über den Dächern der Stadt trug.

      Der Schreibtisch im Ordinationsraum stand schräg zwischen zwei Panoramascheiben, so daß der Arzt das Licht im Rücken hatte, das voll auf den eintretenden Besucher fiel. Der Raum war überheizt wie ein Treibhaus, fast kahl, gräßlich hell, aufdringlich sauber; die wenigen Möbel verbreiteten in dieser Hitze eine paradoxe Kälte: schwitzender Frost, dachte ich, das Betriebsklima eines gemütlosen Seeleningenieurs.

      Der Professor kam mir entgegen. Er hatte die Hände in den Taschen seines Kittels und gab sich geschäftig.

      »Ich bin ein alter Mann«, sagte er – es klang, als ob seine Stimme von einem Tonband käme, »ich brauche Wärme. Hoffentlich stört Sie die Temperatur nicht.«

      »Nein«, erwiderte ich. Das Unbehagen spürte ich klebrig an den Händen.

      Der Arzt wies mir einen Sessel an, in dem ich mir vorkam wie in einem Zahnarztstuhl, setzte sich in seinen Schattenwinkel und zündete sich eine Zigarette an.

      »Ich hatte gerade einen interessanten Fall«, erzählte er. »Korsakoffsche Psychose, hoffnungslos –. Wissen Sie, Alkoholismus ist nicht nur ein Fachgebiet der Psychiatrie, sondern auch ein Spezialthema von mir. Apropos: kann ich Ihnen einen Kognak anbieten?«

      »Bitte.«

      Er holte zwei Gläser und eine Flasche aus der Schreibtischschublade, schenkte ein, trank mit verblüffender Schnelligkeit aus, füllte sich nach und lächelte sarkastisch.

      »Es ist merkwürdig«, sagte er mit seiner knarrigen Stimme, »immer wenn ich so ein Alkoholwrack sehe, spüre ich ein Bedürfnis zu trinken.« Er stand auf und ging im Raum hin und her, mit großen, fast abgezirkelten Schritten. »Tja. Wir Psychiater gelten mitunter selbst als komisch. Sie kennen doch den Witz: Der Unterschied zwischen einem Irren und einem Arzt besteht darin, daß der eine die Gitterstäbe von innen, der andere sie von außen sieht.«

      Er lachte heiser und goß den nächsten Kognak hinunter. Entweder ist mit Sybille überhaupt nichts los, dachte ich, oder es ist sehr schlimm. Ich haderte einen Moment mit Gerd, der mir diesen senilen Schwätzer als behandelnden Arzt eingeredet hatte.

      Professor Lex setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, der überdimensioniert war, in der Proportion verzeichnet, wie alles in diesem Raum. Ich fuhr mit dem Handrücken über die Stirn. Der Arzt übersah es, dann räumte er die Flasche weg.

      »Was Ihre Frau betrifft«, begann er ohne Übergang, »so bin ich ja von Doktor Frey einigermaßen informiert. Trotzdem muß ich Ihnen einige Fragen stellen. Wann fiel Ihnen zuerst die Veränderung ihres Benehmens auf?«

      »Vor fünf, sechs Jahren«, antwortete ich.

      Er blickte auf einen Zettel mit Notizen.

      »Da war Ihre Frau also sechsundzwanzig?«

      »Ja.«

      »Dabei handelte es sich nur um temporäre Erscheinungen, sagen wir: Trübung auf Zeit?«

      »Ja.«

      Professor Lex sah durch mich hindurch, als wäre ich das Objekt seiner Demonstration und hinter mir säßen seine Studenten.

      »Danach war der Zustand der Patientin wieder annähernd normal? Aber die Anfälle kamen wieder, in kürzeren Abständen?«

      »Ja.«

      »Wie die Szene, die ich gestern abend miterlebte?«

      »Sie war die erste vor Zeugen.«

      Er nickte, sah mich an, mit dem begütigenden Blick des Zahnarztes, der zum Bohrer greift.

      »Selbstverständlich kann ich noch nichts Endgültiges sagen«, versetzte er, »doch steht für mich die Diagnose fest.«

      Ich spürte mein Hemd am Körper. Ich sah sehnsüchtig zum Fenster hin, in einer Art, daß er es merken sollte.

      »Ihre Frau ist eine schizoide Persönlichkeit«, sagte er sachlich, unterkühlt, »und zwar leider durch Veranlagung.«

      Es war nicht mehr heiß, es war kalt, ich spürte die absurde Trockenheit schwitzender Haut.

      »Kennen Sie die Familie?«

      »Sybilles Vater ist im Krieg gefallen«, entgegnete ich widerwillig, »die Mutter starb kurz danach in einem Sanatorium. An Arteriosklerose, wie ich hörte. Ich habe mich nicht weiter erkundigt.«

      »Aber ich«, versetzte der Professor hart. »Ihre Schwiegermutter ist zwar an Herzinfarkt gestorben, aber in einer psychiatrischen Krinik. Sie war dort wegen eines akuten Schubs von Katatonie interniert.«

      Ich verstand es nicht, begriff nicht die desperate Endgültigkeit dieser Feststellung. Ich saß in meinem Zahnarztstuhl, dessen weiche Bequemlichkeit mich in dieser Situation anwiderte; ich wartete, bis die Spitze seines Bohrers den Nerv berührte. Plötzlich spürte ich die Zuckung. Auf einmal hatte ich begriffen. Schizophrenie. Wahnsinn. Vererbbar.

      »Dann nehmen Sie also an«, es klang, als spräche ich mit vollem Mund, »daß Sybille an einer geistigen Störung leidet?«

      »Mein Lieber«, erwiderte der Professor väterlich-überlegen, »was

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