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der traditionellen Zeremonie vor den Spielen auf einem Bein kniete.

      Zwischen den Black-Power-Fäusten von Smith/Carlos am 16. Oktober 1968 und dem Kniefall Kaepernicks am 1. September 2016 führte George Foreman (Jahrgang 1949/10. Januar) im krassen Kontrast zu Muhammad Ali das nach dem „Größten“ außergewöhnlichste Leben eines Champions in der Geschichte des Schwergewichtsboxens. Der historische „Rumble in the Jungle“ in Kinshasa (30. Oktober 1974), wo „Big George“ den Weltmeistertitel durch K.o. in der 8. Runde an Ali verlor, verkümmert in seiner bewegenden Biographie fast zur Randgeschichte. Nach seinem Übertritt zu den Profis hatte der Gigant mit seiner urwüchsigen Kraft alles umgehauen, am 22. Januar 1973 in Kingston, Jamaika, den Ali-Bezwinger Joe Frazier in den ersten beiden Runden sechsmal zu Boden geschlagen und war Weltmeister geworden.

      Es ist der 17. März 1977. Unerträgliche Hitze hat das Roberto Clemente Coliseum in San Juan, Puerto Rico, in einen Backofen verwandelt. George Foreman verliert den Kampf, den sechsten seines Comebacks, gegen Jimmy Young über zwölf Runden einstimmig nach Punkten. Als der völlig erschöpfte Boxer in der Kabine, auf einer Pritsche liegend, nach Atem ringt, glaubt er, zu sterben. Foreman verfällt in Halluzinationen und behauptet anschließend: „Jesus Christus ist mir erschienen. Es hat mich zerrissen, kein Christ zu sein. Ich bin wirklich gestorben. Nach einigen Momenten kam das Leben in mir zurück.“

      Aus dieser Sinnestäuschung heraus, die für ihn keine war, zieht der erst 28-Jährige eine radikale Konsequenz und überrascht die Sportwelt mit seinem sofortigen Rücktritt. Foreman gründet in einem Armenviertel von Houston eine Kirchengemeinde, „The Church of The Lord Jesus Christ“. Der Profiboxer wird Laienprediger (Christian Minister) und zieht in den folgenden zehn Jahren keinen Boxhandschuh mehr an. Die Rückkehr 1987 begründet er mit finanziellen Schwierigkeiten für seine Kirche und das von ihm gegründete Jugendzentrum. Er will Teenager davor bewahren, was auch ihm einst drohte: auf die schiefe Bahn zu geraten. „Big George“ ist noch „bigger“, wiegt bei einer Größe von 1,92 Meter massige 121 Kilo, als er am 9. März 1987 in den Ring zurückkehrt und in der Folge zwei Dutzend „tomato cans“ (Fallobst), wie die amerikanische Presse spottet, k.o. schlägt.

      Einem imponiert der drollige Glatzkopf mit den schlagharten Fäusten und schlagfertigen Sprüchen: Donald Trump. Der New Yorker Immobilien-Mogul war ins Casino- und Boxgeschäft eingestiegen, „to make Atlantic City great“ – mit Mike Tyson als Attraktion für die Zocker im Trump Plaza Hotel and Casino. Als Tyson seinen Titel sensationell in Tokio verlor, Evander Holyfield inzwischen Champion wurde, Trumps geplanter WM-Kampf Holyfield-Tyson platzte, weil der Herausforderer wegen Vergewaltigung zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, erfand der heutige amerikanische Präsident „The Battle of the Ages“: Evander Holyfield, 28 Jahre alt, gegen den 42-jährigen George Foreman. Datum: 19. April 1991. Ort: Das Convention Center direkt neben dem Trump Plaza in Atlantic City. Die garantierte Börse: 12,5 Millionen Dollar für Foreman. Donald Trump habe ihn damals vor dem Bankrott gerettet, erzählt der 71-Jährige in jeder Talkshow: „Dafür bin ich ihm ewig dankbar. Donald Trump ist ein guter Präsident.“

      Die Punktniederlage Foremans nach zwölf Runden wurde hymnischer gewürdigt als jeder seiner Siege. Zum „Volkshelden“ erklärte die Zeitung „Philadelphia Inquirer“ den „Oldie“, dessen nicht für möglich gehaltenes Durchstehvermögen Fernsehkommentatoren als „historisches Ereignis“ priesen. Auf der Pressekonferenz predigte der humorvolle Ring-Methusalem, ganz „Reverend“: „Ich habe aller Welt bewiesen, dass sich niemand zu schämen braucht, ein älterer Mensch zu sein.“ Alte Paare sollten „wieder Rock ‚n’ Roll tanzen“. Demonstrativ war Foreman in den Pausen stehen geblieben und verzichtete „auf das Vorrecht alter Leute, sich zu setzen“. Die beiden Schwellungen um beide Augen machten sein breites Gesicht noch breiter – und sein Grinsen. Er kündigte seinen Rückflug nach Houston noch in der Nacht an: „Ich muss mich auf die Sonntagspredigt vorbereiten. Aber ihr habt mich nicht zum letzten Mal im Ring gesehen. Ich werde zurückkehren.“

      Und wie! Am 5. November 1994 schlägt Foreman in Las Vegas, uneinholbar nach Punkten zurückliegend, den WBA/IBF-Weltmeister Michael Moorer in der 10. Runde mit einem rechten Donnerschlag k.o. und wird zwanzig Jahre nach der Niederlage gegen Ali wieder Weltmeister. Mit 45 Jahren und 67 Tagen geht George Foreman als ältester Champion des Schwergewichts in die Geschichte ein. Durch ein Fehlurteil behält er am 22. April 1995 in Las Vegas gegen Axel Schulz den IBF-Titel, den er anschließend niederlegt. Foreman boxt noch dreimal, letztmals am 22. November 1997, und verliert in Atlantic City gegen Shannon Briggs nach Punkten. Da ist er fast 48 Jahre alt. Sein Kampfrekord zwischen 1969 und 1997: 76 Siege, davon 68 durch K.o., fünf Niederlagen, davon eine durch K.o.

      Nach seinem endgültigen Rücktritt vom Ring wurde der populäre Boxer smarter Verkäufer. Vor allem verstand es der charmante Koloss glänzend, sich selbst zu verkaufen. Der fünfmal verheiratete (einmal mehr als Ali) Vater von zehn Kindern (eines mehr als Ali) verkaufte sein abwechslungsreiches Familienleben 2008 ans Fernsehen für eine sechsteilige Reality-Serie: „The Foreman Family“. Seine fünf Söhne heißen alle George. Mit seiner fünften Frau seit 1985, Mary Joan, hat er die fünf gemeinsamen Kinder, zwei Töchter und George IV, V und VI, großgezogen. Der von ihm vermarktete, fettabsaugende Foreman-Elektro-Grill soll seit 1996 an die 100 Millionen Mal verkauft worden sein. “I am a grillionaire”, rühmt sich der clevere Geschäftsmann. Und George Foreman verkauft Donald Trump: “President Trump is the most down-to-earth guy.”

      Der Plattform „The Undefeated“ des einstigen Box- und Football-Kolumnisten der Zeitung „USA Today“, Jon Saraceno, sagte George Foreman in einem Interview zum 50. Jahrestag seines Olympiasiegs am 26. Oktober 2018 mit einem Lachen; „Ich würde es wieder tun. Nur würde ich dann zwei Fähnchen schwenken.“

      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.07.2020, Nr. 171, S. 36

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München 1972

      Leuchten und Dunkelheit

      Am Morgen will ich beschwingt über Ulrike Meyfarths Triumph schreiben. Da treffen die ersten Nachrichten von der Geiselnahme in München ein.

      Von Steffen Haffner

      Lang, lang her! Doch immer, wenn das Kürzel „München 1972“ auftaucht, läuft in meinem Kopf ein Film ab. Blenden wir zurück auf den 4. September. Gut eine Woche schon haben wir mit Olympia gelebt, haben bis jetzt unter einem konstant weißblauen Himmel die Spiele genossen. Es sollen heitere Spiele werden, ist das Diktum von Willi Daume, dem Vater der Münchner Spiele. Die Welt soll ein neues, unverkrampftes Deutschland erleben. Aus der Brache im Münchner Norden ist eine vielfältige Landschaft entstanden. Im zentral gelegenen Olympiapark haben sich schon vierzig Vogelarten eingenistet.

      Ich bin Stammgast im Olympiastadion. Hier schlägt mit der Leichtathletik das Herz der Spiele. Unter dem luziden Zeltdach Günter Behnischs feiern täglich 80 000 Zuschauer ohne fanatische Töne das Fest Olympia. Das Publikum lässt die Irin Mary Peters, die Weitsprungsiegerin Heide Rosendahl im Fünfkampf auf Platz zwei verwiesen hatte, mit Sprechchören hochleben. Und den erfolgreichen DDR-Athleten wird so fair applaudiert, als wäre dies trotz aller politischer Spannungen selbstverständlich. Doch bei aller Fairness: Es gibt nichts Schöneres, als die „eigenen“, die bundesdeutschen Athleten siegen zu sehen. Und das war am Tag zuvor in einem ungewöhnlichen Maße gelungen. Hildegard Falck stürmte über die 800 Meter der Konkurrenz voraus. Der nur 1,76 Meter große Klaus Wolfermann schleuderte den Speer zwei Zentimeter weiter als der für die Sowjetunion startende Lette Janis Lusis, seines Zeichens Olympiasieger und Weltrekordler. Und der Geher Bernd Kannenberg erschien nach 50 Kilometern Hitzemarsch als Erster im Stadion. Die Arena erbebte in freudiger Erregung. Dreimal Gold in einer Stunde!

      Heute verspricht das Programm keine (bundes-)deutschen Medaillen. Alle erwarten, dass „unsere“ Hochspringerinnen, zum Beispiel, nicht mit den Favoritinnen werden mithalten können. Die knapp zwanzigjährige

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