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wenig zusammengezogen und den Mund leicht gespitzt. Konnte es sein, dass Obermayr nun sogar die Mimik ihres Gegenübers nachahmte?

      »Ich muss vorsichtig sein«, setzte Pflückinger an, »da ich ja erst ein paar Monate im Unternehmen bin. Mit Sicherheit kann ich aber sagen, dass Joschak zu denen gehörte, die ich als alte Garde bezeichne.«

      »Das klingt in meinen Ohren ziemlich negativ«, merkte Obermayr an, was Pflückinger mit einem kurzen Prusten quittierte. Gleich darauf ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, als suchte er dort nach den richtigen Worten.

      »Ich will Ihnen nichts vormachen. Joschak war das, was man mit Fug und Recht als Urgestein bezeichnen darf. Seine Karriere erzählt viel über die Unternehmensgeschichte, die er fast zwanzig Jahre lang mit gestaltete.«

      Es folgte eine weitere Pause, in der Pflückinger anscheinend seine Gedanken sortierte. Mit Sicherheit überlegte er, wie viel er preisgeben sollte. Fragte sich nur, wie diplomatisch er seine Aussagen anlegen würde – was ihm als Schweizer vermutlich besonders im Blut lag. Während Pflückinger weiter mit sich selbst beschäftigt war, warf Nemecek einen bangen Blick zur Seite, da er befürchtete, dass Obermayr wieder aufs Tempo drücken würde. Doch seine Kollegin saß ganz entspannt in ihrem Ledersessel und wartete, was als Nächstes kommen würde.

      »Zweifellos hatte Joschak seinen Anteil an unserer Erfolgsgeschichte«, begann Pflückinger schließlich das Ergebnis seiner Überlegungen zu präsentieren.

      »Das klingt nach einem Aber-Satz.«

      »Andererseits«, nahm der CEO Obermayrs Anmerkung auf, »legte er dabei einen Managementstil an den Tag, der einem die Zusammenarbeit alles andere als leicht machte – wenn Sie verstehen, was ich meine?«

      »Er war kein Teamplayer?«, versuchte Obermayr den säuerlichen Ausdruck zu deuten, den Pflückingers Gesicht angenommen hatte. Der Schweizer lachte auf, aber es war alles andere als ein fröhliches Lachen.

      »Man soll ja bekanntlich nicht schlecht über Tote reden. Aber offen gesagt war gerade Joschak eine echte«, Pflückinger zögerte kurz, um das richtige Wort zu finden, »Herausforderung. Für mich als Vorstand, für seine Kollegen und fürs ganze Unternehmen.«

      »Weil er immer sein eigenes Ding durchziehen wollte?«

      »Weil er extrem machtorientiert war«, stieß Pflückinger mit unerwarteter Heftigkeit hervor. »Weil er seine Mitarbeitenden wie ein Marionettenspieler zu dirigieren versuchte, weil er sich ständig in die laufenden Arbeitsprozesse einmischte und weil für ihn letztendlich nur seine eigene Meinung zählte. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung fühlte er sich immer im Recht.«

      »Das stand in krassem Widerspruch zu den umfassenden Veränderungen, mit denen Ihr Unternehmen gerade beschäftigt ist«, spekulierte Nemecek. »Stichwort Agilität?«

      »Das sagt Ihnen etwas?«, wunderte sich sein Gegenüber.

      »Wir hatten in einem unserer Fälle damit zu tun.«

      »Sie erahnen wahrscheinlich, wie gut ein solcher, nennen wir es einmal traditioneller Managementstil mit agilen Werten vereinbar ist.«

      »Agile Werte?« Obermayr runzelte die Stirn. Nemecek musste zugeben, dass er selbst Mühe hatte, sich zu erinnern. War das nicht etwas mit Offenheit gewesen? Oder Vertrauen?

      Pflückinger schien ihre Verwirrung zu spüren. Oder er fühlte sich aufgrund von Obermayrs Stirnrunzeln zu einer Antwort verpflichtet. Jedenfalls hob er unversehens die linke Hand und erklärte mit gestrecktem Zeigefinger: »Commitment, verstanden als die Bereitschaft, mich für eine Sache wirklich verantwortlich zu fühlen und alles in meiner Macht Stehende zu tun, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Einfachheit«, schnellte schon der Mittelfinger in die Höhe, »als Gegenentwurf zu unserer Neigung, vieles komplizierter als nötig zu machen.« Nemecek verfolgte gespannt, wie der CEO kurz durchatmete und dann seinen Ringfinger in Bewegung setzte. »Respekt als fundamentale, vorurteilsfreie Anerkennung jeder Person, wie sie ist. Schließlich Mut«, wie erwartbar vom kleinen Finger angezeigt, »im Sinne von Ehrlichkeit, offenem Feedback und der Bereitschaft, neue Dinge auszuprobieren und alte Gewohnheiten hinter sich zu lassen.«

      Während Nemecek noch Pflückingers spontanem Wertevortrag nachhing, zeigte sich Obermayr wenig beeindruckt. Gut möglich, dass seine Kollegin sogar ein wenig genervt über die ungebetene Belehrung war. Ihre Stimme klang jedenfalls sonderbar, als sie wieder zu ihrem eigentlichen Gesprächsthema zurückkam: »Doch Joschak waren offenbar ganz andere Dinge wichtig?«

      Pflückinger schien es nichts auszumachen, dass seine Gesprächspartnerin sang- und klanglos über seine agilen Werte hinwegging. Auf alle Fälle antwortete er wie aus der Pistole geschossen: »Joschak ging es vor allem darum, alle Fäden in der Hand zu behalten. Sich im eigenen Fachsilo einmauern, alle Mitarbeitenden engmaschig kontrollieren, Fehlleistungen drastisch sanktionieren – wollen Sie noch mehr hören?«

      »Ich frage mich gerade, wie das Ganze zur bevorstehenden Beförderung passt, von der uns seine Frau erzählt hat.«

      »Beförderung?« Pflückinger staunte.

      »Laut seiner Frau hat er fix damit gerechnet, die offene Stelle des Technikvorstands zu übernehmen.«

      Wieder dieses bittere Lachen. Dann fuhr sich der Acros-Chef rasch mit beiden Händen über das Gesicht, als könnte er damit seine Bitterkeit wegradieren. Mit matter Stimme setzte er fort. »Glauben Sie mir: Das ist das absolute Gegenteil dessen, was wir mit ihm vorhatten.«

      »Joschak sollten entlassen werden?« Nemecek konnte seine Überraschung nicht verbergen.

      Pflückinger hob die Hände. »Das stand zumindest im Raum.«

      »Dann gab es in den letzten Wochen also jede Menge Konfliktstoff«, fasste Obermayr die Ausführungen des CEO zusammen. Für Nemeceks Ohren klang das Ganze nach einem echten Pulverfass. Ihm war, als könnte er die explosive Mischung geradezu riechen. Fragte sich, wie sich Joschak dazu verhalten hatte. Mit Sicherheit hatte er dem Funkenregen rund um ihn nicht tatenlos zugesehen. Doch was würde ein traditionell orientierter Manager wohl tun, der über viele Jahre hinweg sein eigenes Reich aufgebaut hatte und dieses nun massiv bedroht sah? Er würde in die Gegenoffensive gehen, gab er sich selbst die Antwort. Getreu dem alten Slogan: Angriff ist die beste Verteidigung!

      »Mit seinem Verhalten hat sich Joschak sicher nicht nur Freunde gemacht«, griff Obermayr im nächsten Moment seine Gedanken auf. »Was Sie erzählen, klingt eher nach gepflegten Feindschaften.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, doch Pflückinger schien das nicht zu stören. Offensichtlich bot ihm das Gespräch eine willkommene Gelegenheit, ein wenig Dampf abzulassen. Ob sie dieser Dampf in ihren Ermittlungen weiterbrachte, würde sich zeigen.

      »Weder auf Kunden- noch auf Mitarbeiterseite. Joschak wollte einfach nicht anerkennen, dass der Markt heute völlig andere Anforderungen stellt als vor 20 Jahren! Und dass dies bedeutet, dass wir uns nicht nur anders organisieren, sondern diese Organisation auch anders managen müssen.«

      »Ich nehme an, Sie sind nicht der Einzige, der das so sah.«

      »Gottlob nicht. In vielen Bereichen greift die agile Veränderung ausgezeichnet. Die neuen Teams arbeiten großartig zusammen, die Stimmung ist gut und sogar die Leistung hat sich schon nach wenigen Wochen verbessert.«

      »Ich gehe auch davon aus, dass Joschak nicht der Einzige war, der sich dieser Entwicklung verweigerte«, spitzte Nemecek seine konfliktorientierten Argumente weiter zu.

      »Nein«, gestand der CEO schweren Herzens. Nemecek war klar, dass sein Gegenüber lieber weiter über die Zwischenerfolge seiner Veränderungsinitiative geredet hätte, doch darauf durfte er jetzt keine Rücksicht nehmen.

      »Das klingt für mich nach einem astreinen Machtkampf.«

      Pflückinger nickte.

      »Nach einem Kampf, der für Marco Joschak tödlich endete«, ließ Nemecek nun endlich die Katze aus dem Sack.

      »Marco wurde ermordet?« Von einem Moment auf den anderen schien jede Farbe aus Pflückingers Gesicht gewichen zu sein. Langsam

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