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Mutter, und dies führte bald dazu, daß sie die Mutter aus allem heraushielt. Und Gunlaug fragte nicht. Sie vertraute grenzenlos, bis sie grenzenlos mißtraute.

      Aber auch vor Ødegaard hatte Petra von diesem Tag an Geheimnisse, denn sie nahm von Pedro Ohlsen viele Geschenke an. Auch Ødegaard fragte nicht. Doch mit jedem Tag verlegte er den Unterricht auf unpersönlichere Gebiete.

      Petra war nun also zwischen den Dreien geteilt. Bei keinem erwähnte sie die anderen, und vor jedem hatte sie etwas Bestimmtes zu verheimlichen.

      Unterdessen war sie, ohne es selber zu merken, erwachsen. Und eines Tages eröffnete ihr Ødegaard, daß sie nun konfirmiert werden solle.

      Diese Nachricht erfüllte sie mit großer Unruhe, denn wie sie wußte, ging damit auch der Unterricht bei ihm zu Ende. Und was sollte dann werden? Die Mutter ließ den Dachboden ausbauen, damit Petra nach der Konfirmation ihr eigenes Zimmer habe. Das ständige Hämmern und Klopfen erinnerte das Mädchen schmerzlich an diesen Tag. Ødegaard sah, daß Petra stiller und stiller wurde, und manchmal sah er auch, daß sie geweint hatte. Unter diesen Umständen machte der Konfirmandenunterricht einen starken Eindruck auf sie, obgleich Ødegaard mit großer Sorgfalt alles vermied, was sie hätte beunruhigen können. Deshalb schloß er auch bereits vierzehn Tage vor der Konfirmation den Unterricht mit der kurzen Bemerkung ab, daß dies die letzte Stunde gewesen sei. Hiermit meinte er die letzte Unterrichtsstunde, die er ihr erteilte, denn er wollte auch weiterhin für sie sorgen, wenn auch nun durch andere. Wie erstarrt blieb sie sitzen. Das Blut wich aus ihrem Gesicht. Sie konnte den Blick nicht von ihm lösen. Und unwillkürlich gerührt, beeilte er sich, einen Grund für seinen Entschluß anzugeben.

      „Nicht alle jungen Mädchen sind bei ihrer Konfirmation bereits erwachsen. Aber du spürst sicher selber, daß du es bist.“

      Hätte sie im Schein eines großen Feuers gestanden, sie hätte nicht tiefer erröten können als bei diesen Worten. Sie atmete heftig, die Augen blickten unsicher und füllten sich mit Tränen, und wie gehetzt fügte er hinzu: „Oder wollen wir trotzdem fortfahren?“

      Erst hinterher wurde ihm bewußt, was er ihr da vorgeschlagen hatte. Das war ein Fehler gewesen. Er wollte ihn rückgängig machen. Doch schon sah sie zu ihm auf. Ihre Lippen sagten zwar nicht ja, aber ausdrucksvoller hätte es sich nicht sagen lassen. Um sich durch einen Vorwand vor sich selber zu rechtfertigen, fragte er: „Sicher möchtest du nun gern etwas Besonderes tun, etwas, wozu du“, er beugte sich zu ihr hinüber, „dich berufen fühlst, Petra?“

      „Nein!“ erwiderte sie so hastig, daß er rot wurde und – abgekühlt – in seine eigenen jahrelangen Grübeleien zurücksank. Ihre unerwartete Antwort hatte sie wieder zum Leben erweckt.

      Daß sich in ihr etwas Eigentümliches regte, daran hatte er nicht gezweifelt, seit er sie als Kind singend an der Spitze der Jungenschar der Stadt hatte marschieren sehen. Je länger er sie jedoch unterrichtete, desto weniger wurde er aus ihrer Begabung klug. Sie sprach aus jeder ihrer Bewegungen. Was sie dachte, was sie wollte – Geist und Glieder verkündeten es gleichzeitig, aus einer Fülle von Kraft heraus, die Schönheit umglänzte. Doch in Worte gekleidet und vor allem in schriftlicher Form wurden daraus nur lauter Kindereien. Sie sah aus wie die verkörperte Phantasie, er aber empfand es vor allem als Unruhe. Sie war sehr fleißig, doch ihr Streben zielte weniger darauf ab, etwas zu lernen, als vielmehr weiterzukommen; am meisten beschäftigte sie, was auf der nächsten Seite stand. Sie hatte Sinn fürs Religiöse, aber, wie sich der Propst ausdrückte, „keine Anlage zu einem religiösem Leben“, und Ødegaard war ihretwegen oft bekümmert. Nun stand er gleichsam wieder dort, wo er angefangen hatte. Unwillkürlich versetzte er sich in Gedanken wieder vor die Steintreppe, wo er Petra in Empfang genommen hatte. Er hörte die scharfe Stimme der Mutter, die ihm die Verantwortung übertrug, weil er den Namen des Herrn erwähnt hatte. Nachdem er mehrmals auf und ab gegangen war, nahm er sich zusammen.

      „Ich reise nun ins Ausland“, sagte er mit einer gewissen Scheu. „Ich habe meine Schwestern gebeten, sich inzwischen um dich zu kümmern, und wenn ich zurück bin, werden wir uns weiter unterhalten. Leb wohl! – Wir sehen uns sicher noch, bevor ich abreise!“

      Er ging so schnell ins Nebenzimmer, daß sie ihm nicht einmal mehr die Hand geben konnte.

      Sie sah ihn wieder, wo sie es am wenigsten erwartete – im Pfarrgestühl des Chorraumes, ihr direkt gegenüber, als sie inmitten der Mädchen vor dem Altar stand, um eingesegnet zu werden. Sie war so verblüfft, daß sie der heiligen Handlung, auf die sie sich in Demut und Gebet vorbereitet hatte, lange nicht folgen konnte. Ja, selbst Ødegaards alter Vater, der eben vortreten wollte, um zu beginnen, verharrte und blickte seinen Sohn lange an. Gleich darauf sollte Petra noch einen zweiten Schreck bekommen, denn etwas weiter hinten in der Kirche saß Pedro Ohlsen in seinen steifen Sonntagssachen. Er reckte den Hals, um über die Köpfe der Jungen hinweg zu der Mädchenschar, zu ihr, hinüberzusehen. Einen Augenblick später war er wieder verschwunden. Doch immer wieder sah sie seinen spärlich behaarten Kopf auftauchen und sofort wieder verschwinden. Das lenkte ihre Gedanken ab. Sie wollte nicht hinsehen und mußte es dennoch tun. Und da, als alle anderen tief ergriffen waren – viele in Tränen aufgelöst –, sah sie entsetzt, wie sich Pedro erhob, den Mund verzerrt, die Augen weit aufgerissen, schreckensstarr, außerstande, sich zu setzen oder auch nur ein Glied zu rühren. Ihm gegenüber aber stand Gunlaug, zu ihrer vollen Größe aufgereckt. Bei ihrem Anblick schauderte es Petra. Die Mutter war weiß wie das Altartuch. Ihr schwarzes, krauses Haar schien sich zu sträuben, während die Augen plötzlich voll eisiger Abweisung waren, als wollten sie sagen: Laß das Mädchen in Frieden! Was willst du von ihm? Unter der Wucht dieses Blickes sank er auf die Bank nieder, und eine Weile später schlich er zur Kirche hinaus.

      Danach hatte Petra Ruhe, und je länger die heilige Handlung voranschritt, desto stärker wurde sie davon ergriffen. Als sie nach abgelegtem Versprechen vom Altar zurückkehrte und durch Tränen zu Ødegaard hinüberblickte, dem Menschen, der all ihren guten Vorsätzen am nächsten stand, da gelobte sie in ihrem Herzen, seinem Glauben keine Schande zu machen. Die treuen Augen, die ihren Blick leuchtend erwiderten, schienen um das gleiche zu bitten. Als sie dann aber von ihrem Platz aus erneut zu ihm hinüberschaute, war er verschwunden. Bald darauf ging sie mit der Mutter nach Hause, die unterwegs sagte: „Nun hab ich das Meine getan. Jetzt muß der Herrgott das Seine tun.“

      Als sie gegessen hatten, sie beide allein, meinte die Mutter, indem sie aufstand: „Jetzt müssen wir wohl zu ihm gehen – zu diesem Pastorssohn. Ich weiß zwar nicht, wozu das gut sein soll, was er da treibt, aber gut gemeint hat er es wohl. Zieh dich also wieder an, Kind!“

      Der Weg zur Kirche, den die beiden so oft miteinander gegangen waren, verlief oberhalb der Stadt. Auf der Straße aber hatten sie sich noch nie zusammen gezeigt. Die Mutter hatte sich dort wohl kaum seit ihrer Rückkehr blicken lassen. Nun aber bog sie in Richtung Straße ab. Sie wollte die ganze Straße hinuntergehen, gemeinsam mit ihrer erwachsenen Tochter!

      Am Nachmittag des Konfirmationssontags ist in so einer kleinen Stadt alles unterwegs, entweder von Haus zu Haus, um zu gratulieren, oder die Straße hinauf und hinunter, um zu sehen und gesehen zu werden. Auf Schritt und Tritt tauscht man Grüße aus, bleibt stehen, schüttelt Hände und wünscht alles Gute. Die Kinder der Armen werden in den abgelegten Kleidern der Reichen vorgeführt, um sich zu bedanken. Die Seeleute der Stadt präsentieren sich in ausländischem Staat, die Mütze verwegen auf dem Ohr, und die Stutzer der Stadt, die nach allen Seiten grüßenden Kommis, kommen grüppchenweise daher. Die halbwüchsigen Lateinschüler, jeder Arm in Arm mit dem besten Freund der Welt, schlendern, altklug an allem herumkrittelnd, hinterdrein. Doch sie alle mußten heute im stillen dem Helden der Stadt den Vorrang lassen – dem jungen Kaufmann Yngve Vold, dem reichsten Mann des Städtchens, der gerade aus Spanien zurückgekehrt war, um von einem Tag auf den anderen den ausgedehnten Fischhandel seiner Mutter zu übernehmen. Einen hellen Hut auf dem hellen Haar, brillierte er in den Straßen, daß die jungen Konfirmanden beinahe in Vergessenheit gerieten. Alle hießen ihn zu Hause willkommen. Und er sprach mit allen und lachte allen zu. Straßauf, straßab sah man den hellen Hut auf dem hellen Haar und hörte Yngve Volds helles Lachen.

      Als Petra und ihre Mutter in die Stadt hinunterkamen, war er der erste, auf den sie stießen, und als wären sie tatsächlich

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