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und ihr einen neuen, anderen Schmerz zufügte.

      Alle Schwestern sahen müde aus, als sie sich zum ersten Stundengebet, der Matutin, in der Kirche versammelten. Wüsste man es nicht besser, hätte man glauben können, sie hätten die ganze Nacht durchgefeiert. Kaum eine von ihnen hatte ein Auge zugemacht. Es gab auch keine Probleme mit dem Schweigen beim Frühstück. Die meisten waren in ihre eigenen düsteren Gedanken versunken und einige wirkten sogar verängstigt. Mutter Helene griff es beim Novizinnenunterricht auf.

      »Eine Schwester hat mir erzählt, dass in eurem Flügel heute Nacht ein Schrei gehört wurde. Ich wollte euch bisher nichts davon sagen, aus Sorge, euch zu verängstigen.«

      Niemand sprach ein Wort. Es war fast, als striche ein kalter Luftzug durch den Raum. Ein bisschen wie der, den Margaretha heute Nacht gefühlt hatte.

      »Ich habe diese Schreie ebenfalls gehört und auch mich haben sie erschreckt, bis ich begriffen habe, dass es sie gar nicht gibt – nur in uns selbst.«

      »Ja, aber da war ein Schrei. Wir haben ihn alle gehört«, protes­tierte Schwester Bodil.

      Mutter Helene sah sie scharf an. »Schwester Clara nicht und Schwester Lucia auch nicht.«

      Zur Bestätigung der Worte der Äbtissin schüttelten die beiden Schwestern den Kopf.

      »Schwester Clara und Schwester Lucia haben ihre Gebete gesprochen. Gott war mit ihnen und hat sie vorm Teufel beschützt. Denn das ist er gewesen. Habt ihr nicht seine Gegenwart gespürt? Er kann neben deinem Bett stehen und machen, dass es dich friert und du dich wie gelähmt fühlst, sodass du keine Luft mehr bekommst.«

      Margarethas Hals schnürte sich zusammen. Alle Schwestern nickten und blickten eingeschüchtert auf den Tisch herab, selbst Schwester Clara und Schwester Lucia.

      »Wie oft ist das jetzt schon passiert?«, fragte Mutter Helene.

      »Ein paar Nächte lang.« Schwester Bodils Stimme war leise.

      »Und ihr habt gespürt, dass der Teufel wollte, dass ihr Dinge tut, von denen ihr wisst, dass sie verkehrt sind? So, als würde er die Kontrolle über euren Körper übernehmen und euch gegen Gott aufbringen wollen?«

      Sie nickten. Margaretha rang ihre Hände unter dem Tisch und dachte an Lauras Brust an ihrem Arm, an ihren warmen Atem. War es Gott gewesen, der sie neben sie gelegt hatte, um sie auf die Probe zu stellen – oder der Teufel, um sie in Versuchung zu führen? War Schwester Laura vielleicht gar mit ihm im Bunde?

      »Ich habe mit Pater Josef über die Sache gesprochen, er hat zugesagt, mit einem Priester zu reden, den er im Vatikan kennt. Pater Josef kommt wieder, sobald er weiß, was wir tun sollen, um das Böse aus unserem Kloster zu vertreiben. Bis dahin sollt ihr den Rosenkranz beten, so viel und so oft ihr könnt. Wir müssen nur im festen Glauben zusammenhalten, dann wird das Böse uns schon nicht versuchen können.«

      Margaretha folgte dem Rest des Unterrichts mit höchster Aufmerksamkeit. Es war an der Zeit, Gott zu zeigen, dass sie ihm treu war.

      14

      Anne schloss auf und warf die Schlüssel auf den Küchentisch.

      »Bist du das, Liebes?«, ertönte die heisere Zigarettenstimme aus dem Wohnzimmer. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie wünschte, es wäre Adomas’ Stimme und gleich würde er noch hinzufügen, er habe Mittagessen gemacht und sie solle sich einfach an den Tisch setzen. Doch so etwas käme Rose Teresa Larsen nie in den Sinn.

      »Wer sonst, Mama?«, gab sie zurück und suchte im Kühlschrank nach Schwarzbrot. Als sie zur Arbeit gegangen war, hatte dort noch eine halbe Packung gelegen, jetzt war sie weg. Sie nahm eine Flasche Cola heraus und knallte die Tür zu.

      »Hätte ja Adomas sein können, der wieder zu Besuch kommt.«

      Hellhörig geworden stellte sich Anne in die Türöffnung zum Wohnzimmer. »Hast du mit ihm gesprochen? Ist er hier gewesen?«

      Mit einem überraschten Blick schaute ihre Mutter aus ihrer liegenden Position auf dem Sofa über den Rand eines Klatschblattes zu ihr auf. »Du klingst aber ganz schön wissbegierig.« Sie richtete sich auf und legte die Illustrierte auf den Couchtisch, der von benutzten Tassen und Gläsern, einem übervollen Aschenbecher, zerknüllten Zigarettenschachteln und einem Feuerzeug überquoll: die notwendigsten Dinge, um den Tag zu überstehen. Zum Glück keine Bierflaschen mehr. Anne hoffte, dass sie bald eine Wohnung für sie fanden; so konnte es nicht weitergehen.

      »Du hast also nicht mit ihm gesprochen?« Sie nahm einen großen Schluck aus der Colaflasche, um ihre Enttäuschung zu verbergen.

      »Ich habe gedacht, du interessierst dich nicht für deinen Cousin. Und überhaupt für deine Familie.«

      »Du wohnst doch hier.« Sie ließ sich in einen Sessel fallen, legte den Kopf an die Rückenlehne und streckte ihre bestrumpften Füße auf dem Couchtisch aus. »Mann, bin ich platt.«

      Ihre Mutter klopfte eine neue Zigarette aus der Schachtel. »Glaub ich. Du bist ja auch in aller Herrgottsfrühe aufgestanden.«

      »Ja, wir müssen schon morgens um vier da sein, aber dafür bin ich zur Abwechslung mal schon mittags wieder hier.«

      »Ja, und müde wie ein Altersheim, sodass du nichts mehr auf die Reihe kriegst. Wo bleibt da der Spaß?«

      Anne richtete sich auf. Der Rauch stach ihr in der Nase, als ihre Mutter sich die Zigarette ansteckte und einen so tiefen Zug nahm, als sei es ihr letzter für immer. »Spaß? Wer sagt, dass es immer lustig ist zu arbeiten? Aber irgendwer muss das ja tun und Steuern zahlen, damit Geld in die Staatskasse fließt, um Leute wie dich zu versorgen, die bloß auf dem Sofa rumhängen, Zigaretten rauchen und Klatschblätter lesen.« Sie bereute ihren Ausbruch sofort, wollte sich aber auch nicht für die Wahrheit entschuldigen.

      »Na, na, Schätzchen. Ich habe meinen Anteil zur Staatskasse beigetragen.«

      »Wann und wie, wenn ich fragen darf?«

      »Warum interessierst du dich so für deinen Cousin?« Die blassen Augen ihrer Mutter trafen sie wie die Augen eines Hundes, der den Befehl »Platz« erhalten hat und jetzt versucht seinen Besitzer zu bezirzen, um wieder aufspringen zu dürfen. Anne seufzte und nahm sich nun auch eine Zigarette aus der Prince-Schachtel mit der riesigen Aufschrift Rauchen kann tödlich sein. Menschen können auch tödlich sein. Rose hätte sehr leicht solchen tödlichen Menschen zum Opfer fallen können. Es war nicht lange her, dass Anne nah dran gewesen war, ihre Mutter zu verlieren. Sie zündete die Zigarette an.

      »Ich hab doch gar nichts gegen Adomas. Er hat ja eine Weile hier gewohnt, sodass ich ihn ein bisschen besser kennengelernt habe.«

      »Jaaa, das hast du wohl.« Ihre Mutter nickte und in ihrem Tonfall lag eine Andeutung davon, dass sie alles wusste. Zu ihrem Ärger spürte Anne, dass ihre Wangen heiß wurden.

      »Denkst du eigentlich nie mehr an Esben? Er war doch ein netter Junge.«

      »Esben! Wieso in aller Welt erwähnst du ihn plötzlich? Ich hätte nicht gedacht, dass du dich überhaupt an ihn erinnerst.«

      »Deine Jugendliebe. Doch, natürlich erinnere ich mich an Esben. Wie lange seid ihr denn zusammen gewesen? Das waren doch mehrere Jahre.«

      »Nur zwei. Und ich war ja noch ziemlich jung damals. Glaubst du nicht auch, mein böser Stiefvater hat ihn für immer weit, weit von mir weggejagt, indem er ihn so übel zugerichtet hat, dass sie ihn im Krankenhaus wieder zusammenflicken mussten?«

      Ihre Mutter seufzte, während sie geräuschvoll den Rauch ausstieß. Sie folgte mit verträumten Augen der Richtung Decke steigenden Wolke und überhörte Annes Bemerkung. »Ach ja, die erste Liebe vergisst man nie«, meinte sie wehmütig.

      »War das bei dir nicht Papa?«

      »Ja, das war Jonas.«

      »Wie war es, mit einem Litauer verheiratet zu sein?«

      Rose musterte sie aufmerksam. »Wieso willst du das wissen?«

      »Neugier.« Anne stand

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