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Magiers, der das Karnickel aus dem Zylinder zaubert.

      Die Männer schwiegen. Sie starrten lautlos auf die Karte. Nicht jeder hat Gelegenheit, sich sein Grab vorher auszusuchen.

      „Warst du mal da?“ fragte Willi Seifried den Uscha Haubold.

      Der Unteroffizier nickte.

      „Ja“, erwiderte er dann, „die höchsten Bäume in der ganzen Gegend. Schön zum Ansehen. Schlecht zum Dranhängen.“

      Ab jetzt bekamen sie Schnaps in regelmäßigen Zuteilungen. Sie dachten nicht lange über die Gründe nach. Sie besoffen sich, wie es beabsichtigt war. Der Krieg hat bewährte Rezepte: gegen Verstopfung Rizinus, gegen Höllenangst Schnaps.

      Werner Eckstadt rührte seine Ration nicht an. Er schenkte sie Uscha Roettger, dem Stubenältesten.

      „Du bist ein feiner Kerl, Werner“, rülpste der Unteroffizier. „Ich hielt dich erst für ein Riesenarschloch … Aber du bist ’ne Nummer. Wir können dich in unseren Verein aufnehmen …“

      Der Uscha war im Suff über seine eigenen Worte so gerührt, daß er Wasser in den Augen hatte.

      „Danke“, erwiderte Eckstadt ganz ruhig. Er nahm das Glas aus Roettgers Hand und goß es dem Unterscharführer mitten in das Gesicht.

      Sie sprangen alle auf. Eckstadt sah von einem zum anderen.

      „Ihr könnt mich nicht riechen“, sagte er ruhig, „und ich die meisten von euch auch nicht. Ihr habt mich für eine feige Sau gehalten. Das bin ich auch. Ich bin nicht freiwillig zur SS gegangen. Aber ihr! Und jetzt scheißt ihr in die Hosen. Das stinkt! Das stinkt so sehr, daß ich davon das Kotzen bekomme …“

      Er knallte die Stubentüre hinter sich zu. Er war müde. Und er war voller Ekel. Wie er das alles durchschaute. Da saßen sie nun und wollten eigentlich mit ihm Händchen halten, wollten ihm sagen: Sieh Kamerad, wir sind genauso feige Schweine wie du. Aber weil es der Führer befiehlt, spielen wir manchmal Helden, solange der Vorrat reicht. Jetzt reicht er nicht mehr …

      Ganz plötzlich wurde es ernst. Auf einmal ging es los, noch bevor sie ihre Schnapsration ausgetrunken hatten. Der Alarm war hundertmal geübt. Er klappte. Undramatisch, mechanisch. Sie saßen zuerst in planverdeckten Lastautos der Waffen-SS und dann in Transportmaschinen der Luftwaffe.

      Der Flug dauerte eine Stunde. Eine Stunde Zeit zum Beten oder zum Fluchen. Eine Stunde Zeit für nichts. Für sinnlose Gedanken. Für das Würgen im Hals. Für die schweißtreibende Angst. Für die mausgrauen, starren Gesichter der Nebenmänner.

      „Es ist soweit“, sagte der Oberfeldwebel der Luftwaffe.

      Er öffnete das Ausstiegsluk.

      Dann sprang einer nach dem anderen.

      Unmittelbar vor Werner Eckstadt war der Unterscharführer Roettger dran. Er zögerte eine Sekunde. Der Oberfeldwebel gab ihm einen Tritt in den Hintern. Er trat mit Genuß.

      Eckstadt sah die Nacht unter sich.

      Da bekam auch er seinen Tritt vom Schicksal …

      2. kapitel

      Sie fielen lautlos vom Himmel, Partisanen eines wahnwitzigen Befehls. Während sie vom Wind auseinandergetrieben wurden und plötzlich allein im feindlichen Hinterland standen, in der falschen Uniform, den Strick des Henkers fast schon fühlbar um den Hals, während sie sich mit ihrer Angst beschäftigten und ihre Instruktionen vergaßen, rumpelten die Motoren der Panzervorausabteilung der SS-Division Leibstandarte Adolf Hitler zum Angriff. Laub, Reisig, Tarnnetze, alles flog zur Seite. Seit drei Tagen hatten die 40 Tigerpanzer der „Gruppe Florian“ auf den Einsatzbefehl gewartet. Tag und Nacht standen sie im Feuer feindlicher Flugzeuge, stets waren sie vom Tod gesucht, bedroht, verfolgt.

      Immer wieder war der Angriffsbefehl verschoben worden.

      Wegen des Wetters. Der Generalfeldmarschall von Rundstedt brauchte niedrighängende Wolken, schlechte Fliegersicht, damit seine Panzer operieren konnten. Die Besatzungen hätten ihm dankbar sein sollen. Aber sie verwünschten ihn und seine Offensive, den Scheißkrieg und den stählernen Sarg, in dem sie bereits aufgebahrt waren … sie verwünschten den besten Kameraden und die eigenen Eltern, denen sie ein Leben verdankten, das schon keines mehr war, ehe es überhaupt begonnen hatte.

      Obersturmführer Klausen, der Führer einer Panzerkompanie in der „Gruppe Florian“, fuhr seinen Panzer offen. Er lehnte im Turm und beobachtete, wie seine Leute hinter ihm einschwenkten. Er hatte das Manöver oft gesehen, aber jedesmal mit besseren Gefühlen als heute.

      Die Landser hatten der Ardennenoffensive bereits einen Namen gegeben, noch bevor sie gestartet worden war. Unternehmen „Von der Hand in den Mund“ hieß sie. Die Panzer hatten nicht genug Sprit.

      „Den müßt ihr euch von den Amis holen!“ hatte der Befehl allen Ernstes gelautet. „Ihr müßt so schnell sein, daß euch die Spritlager der Amis in die Hände fallen …“

      „Karbid“, schrie der Obersturmführer seinem Fahrer zu. Das heißt in der Panzersprache: „Gib Gas!“

      Und die Stahlkolosse rauschten los …

      Soweit ist Colonel Evans mit dem Aktenstudium gekommen. Wieder läuft er im Zimmer hin und her. Er wird sich diesen Eckstadt vornehmen. Gut, warum soll nicht auch ein Anständiger unter den Malmedy-Angeklagten sein! Es wird keiner gehängt, solange der Oberst von seiner Unschuld überzeugt ist. Dafür wird er seinen ganzen Einfluß, seinen ganzen Mut, sein ganzes Gewicht einsetzen.

      Er ruft den Staatsanwalt an.

      „Wie Sie wissen, habe ich die Verteidigung übernommen“, sagt der Oberst.

      „Ich hätte mir das an Ihrer Stelle noch einmal überlegt“, versetzt der Staatsanwalt knapp.

      „Ich brauche Ihre Ratschläge nicht“, fährt ihn der Colonel an. „Ich möchte eine Sprechkarte haben.“

      „Die kann ich Ihnen nicht geben.“

      „Passen Sie auf“, erwidert der Colonel langgedehnt, „entweder ich habe in einer Viertelstunde in meinem Büro eine Sprechkarte für das Kriegsverbrechergefängnis in Schwäbisch-Hall oder Sie können etwas erleben, was Ihnen noch nie passiert ist!“

      Der Oberst wirft den Hörer auf die Gabel zurück. Sein Gesicht ist gerötet. Wieder saust er hin und her. Er wird den Weg der vorstoßenden Panzer, der abgesprungenen Saboteure weiterverfolgen, bis er restlose Klarheit hat.

      Hier stimmt etwas nicht.

      Er fühlt, er ahnt, er weiß es.

      Die Stadt ist grau wie der Himmel, grau wie die Gesichter ihrer Passanten, die der Alltag gehetzt, verbissen, schweigend auf die schmutzigen Straßen spuckt. Nur die bunten Gruppen schwatzender Schwarzhändler vor dem Deutschen Museum, am Isartorplatz und in der Möhlstraße beleben das Stadtbild. Hilflose Polizisten beobachten Zigarettenverkäufe … Warum sollten sie eingreifen? Vielleicht sind ihre eigenen Frauen gerade unterwegs, verscheuern eine Kommode gegen Butter oder Butter gegen eine Kommode …

      Mit kräftigen, bulligen Soldaten besetzte Jeeps fahren langsam an den Gehsteigen entlang. Die GIs rufen in ihrem quakenden Landserenglisch den Mädchen Scherzworte zu, halten plötzlich den Wagen an und kontrollieren einen Passanten, dessen Nase ihnen mißfiel. Erst wenn der Abend kommt, endet für sie die Langeweile, in irgendeiner Beize, bei teurem Schnaps und billigen Mädchen.

      Vera geht durch die Maximilianstraße, ignoriert die Blicke der Männer, die Angebote der Schwarzhändler und die Rufe der Militärpolizei. Der Wind rafft ihren dünnen Mantel. Ihr Gesicht ist gerötet. Sie geht lässig und selbstbewußt, langsam, die Augen im Niemandsland der Gleichgültigkeit. Sie trägt Nylonstrümpfe, die den letzten Monatsgehalt kosteten, und sie geht so zierlich und sicher auf ihren hohen Absätzen, als sei sie mit ihnen bereits zur Welt gekommen.

      Am Max-Joseph-Platz fährt eine schwarze Limousine dicht an den Randstein heran. Ein Zivilist steigt aus und geht auf Vera zu.

      „Sie

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